Straßburg:Das nie erklärte Bündnis

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Im Einsatz für Europa: Manfred Weber auf dem Weg zum Elysée-Palast in Paris. (Foto: Jacques Demarthon/AFP)

Der CSU-Mann Manfred Weber ist im Europaparlament für den stets heiklen Ausgleich mit den Sozialdemokraten zuständig. Das ist vor allem jetzt wichtig, da es um die Nachfolge von Parlamentspräsident Schulz geht.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Vierzig, findet Manfred Weber, sei ein "tolles" Alter. "Man hat schon viel Erfahrung gesammelt, aber man steht noch voll mit der Kraft und dem Engagement eines Jungen da. Man hat Schwung", sprach Weber vor ein paar Monaten bei der Feier zum 40-jährigen Bestehen der Europäischen Volkspartei (EVP), in der Christdemokraten, Christsoziale und Konservative aus ganz Europa zusammengeschlossen sind. Weber ist einmal jüngster Abgeordneter des bayerischen Landtags gewesen und in sehr jungen Jahren Mitglied des Europäischen Parlaments geworden. Seit 2014 führt er dort die EVP-Fraktion, seit 2015 ist er Vizevorsitzender der CSU. Weber ist jetzt 44. Schwung hat er noch, aber vermutlich nicht mehr beliebig viel Zeit.

Und gerade jetzt geht es in einem ganzen Knäuel aus deutschen und europäischen Machtkämpfen auch um seine Zukunft. Im Mittelpunkt steht dabei die Personalie Martin Schulz. Die Amtszeit des Präsidenten des Europäischen Parlaments läuft im Januar aus, und eigentlich ist mit Weber seit Beginn der Legislaturperiode vereinbart, dass der SPD-Politiker kein drittes Mal antritt. An diese - nie veröffentlichte - Vereinbarung fühlen sich die Sozialdemokraten aber nicht mehr gebunden. Seine Kandidatur hat Schulz zwar bisher nicht offiziell erklärt, aber die Möglichkeit, wieder an die Spitze des Parlaments zu treten, hält er sich offen. Damit entsteht ein Problem, das aus Sicht seiner Fraktion erst einmal Weber zu lösen hat. Weber ist Unterzeichner der Vereinbarung mit den Sozialdemokraten.

Wer wird Nachfolger von Martin Schulz? Womöglich Martin Schulz selbst?

Er ist überdies zusammen mit Schulz Mitglied des G 5 genannten innersten Brüsseler Machtzirkels, dem außerdem der christsoziale EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und für die Sozialdemokraten dessen Vize Frans Timmermans sowie Fraktionschef Gianni Pittella angehören. Der Kreis dirigiert jene große Koalition, die es nicht mehr geben kann, wenn es wegen Schulz zum Bruch kommt.

Weber muss nun zweierlei vollbringen: Er soll das zwar rissige, aber bislang tragfähige Bündnis mit den Sozialdemokraten erhalten. Und er soll dem Anspruch seiner Christdemokraten Geltung verschaffen, dass sie als stärkste Fraktion den Präsidenten stellen und überdies die in der Tradition des Hauses stehende Vereinbarung mit den Sozialdemokraten eingehalten wird. In dieser Lage hat Weber erst einmal einen Fahrplan durchgesetzt, der ihm Zeit verschafft. Am 16. November steht seine Wiederwahl als Fraktionschef an. Danach erst soll es um den Präsidentenjob gehen. Bis 12. Dezember, 18 Uhr, werden Bewerbungen aus der EVP-Fraktion entgegengenommen. Am Tag darauf soll die Fraktion ihren Kandidaten wählen.

Wenn die EVP einen Kandidaten aufstelle, müsse sie ihn auch im ersten Wahlgang durchsetzen, wird Weber aus einer Fraktionssitzung zitiert. Genau da liegt sein Problem. Weber will keine Zufallsmehrheit, er will die Stimmen der Sozialdemokraten. Stimmen, die er nicht bekommen kann, wenn Schulz mit dem Argument antritt, neben EU-Ratspräsident Donald Tusk und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker dürfe kein dritter Christdemokrat an der EU-Spitze stehen. Weber muss also hoffen, dass sich ein anderer Machtkampf für Schulz entscheidet: der um die Kanzlerkandidatur der SPD. In der EVP herrscht die Erwartung, dass sich die Sozialdemokraten dann plötzlich wieder an das alte Abkommen gebunden fühlen.

Für den Fall müsste es Weber, der gerne Aufregungen vermeidet und seine Fraktion so leise führt wie er spricht, nur noch gelingen, ohne Kampfkandidaturen einen Bewerber auf den Schild zu heben. Fünf Leute sind im Gespräch: eher als Außenseiter gelten der Österreicher Othmar Karas und der Slowene Alojz Peterle. Mögliche Überraschungssiegerin könnte die Irin Mairead McGuinness werden. Favoriten sind der Italiener Antonio Tajani und der Franzose Alain Lamassoure. Klar ist: Keiner von ihnen würde das Amt mit der Wucht und dem Sendungsbewusstsein eines Martin Schulz ausüben, was sich auf die Brüsseler Kräfteverhältnisse auswirken würde.

Für Weber müsste das nicht schlecht sein. Er könnte darauf setzen, dass der Einfluss der Fraktionschefs wieder steigt, wovon der Sozialdemokrat Gianni Pittella, aber auch er selbst profitieren würde. Der Machtkampf würde sich zu seinen Gunsten auflösen.

Weber hätte dann aber den Beweis anzutreten, dass die Stabilität in Brüssel nicht von Schulz abhängt. Genau das hatte Juncker in einem Doppel-Interview mit seinem Kameraden Schulz aber insinuiert. Juncker hatte im Juli im Spiegel dafür plädiert, "mit einem bewährten Team" weiterzumachen. Sein Ziel war es, die Wiederwahl des polnischen Ratspräsidenten Tusk mit jener von Schulz zu verknüpfen. Im Ergebnis aber zwang er Weber zur Klarstellung, dass der Parlamentspräsident immer noch vom Parlament bestimmt werde. Sollte der CSU-Mann eine weitere Amtszeit von Schulz insgeheim erwogen haben, wäre der Plan spätestens damit durchkreuzt.

Unklar ist die Lage für den Fall, dass Schulz auf einer Kandidatur in Straßburg besteht. Er wolle bleiben, soll er vor wenigen Tagen in vertraulichen Gesprächen gesagt haben. "Das wird dann auch Webers Problem", sagt ein Mitglied der EVP-Fraktion. Das Ziel, einen EVP-Kandidaten durchzusetzen und die große Koalition zu erhalten, ließe sich dann jedenfalls kaum noch erreichen. Der Albtraum vieler Christdemokraten ist, dass ein Bündnis aus Sozialdemokraten, Liberalen, Linken und Grünen einen EVP-Parlamentspräsidenten verhindert. Hinzu kommt: Fast ein Drittel der Abgeordneten im Europäischen Parlament gehört zu Gruppierungen, die der EU skeptisch oder feindlich gegenüberstehen. Es sei besser, argumentieren einige in der EVP, Schulz zu wählen als sich von den Brexit-Tories oder gar der rechtsextremen Französin Marine Le Pen abhängig zu machen.

Andere bringen eine Kandidatur des angeblich stärksten EVP-Bewerbers ins Spiel: Manfred Weber. Von der Chance, mit 44 Jahren Parlamentspräsident zu werden, hält dieser aber bisher wenig. Weber will Fraktionschef bleiben und ist gerade dabei, sein Profil zu schärfen: mal freundlich mit der Forderung nach einem kostenlosen Interrail-Ticket für junge Europäer, mal unerbittlich mit Botschaften an die britische Regierung, über deren "Arroganz" er sich beschwert. Als Fraktionschef will er, dass bei der Europawahl 2019 das Systems "Spitzenkandidat" erhalten bleibt, also das Verfahren, wonach Kommissionspräsident wird, wer in der Europawahl siegt. In diesem Punkt unterscheidet er sich nicht von Schulz.

© SZ vom 14.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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