Steinmeier im Wahlkreis nominiert:Ein Mann, ein Brandenburg

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Steinmeier ist Kanzlerkandidat, SPD-Vize und Außenminister. Nun ist er auch noch Wahlkreiskandidat.

Thorsten Denkler, Brandenburg an der Havel

Es sprach von Beginn an nicht viel für Steinmeier. Klar, da gab es die, die sich vom Promifaktor haben blenden lassen. Der Außenminister ist seit heute Kandidat im Wahlkreis 61 Brandenburg an der Havel. Und Kanzlerkandidat. Als 19. Mitglied im Ortsverein Kirchmöser-Plaue. Da kann einem schon schummrig werden.

Steinmeier: In Brandenburg zum Direktkandidaten für Bundestag gewählt (Foto: Foto: dpa)

Andere haben das nüchterner gesehen. So wie Britta Kornmesser, die im CulturCongressCentrum von Brandenburg an der Havel den 65 Delegierten des Bezirkesverbandes breit erklärte, dass da am Anfang "eher Ablehnung als Sympathie war". Weil der Steinmeier weder aus der Region kommt, noch je hier tätig war. Weil er auch keine Zeit hat, sich um den Wahlkreis zu kümmern. Und weil sich dann eben die Frage stelle: "Warum kann das keiner von uns machen?"

Ein anderer Delegierter aus Jüterbog merkte noch an, dass die Kandidatur trotz Steinmeiers Prominenz "kein Selbstläufer" werden würde. Wer das hörte, hat zwar nicht an der Wahl Steinmeiers zum Wahlkreiskandidaten für den Bundestag gezweifelt. Aber dass er nur eine Gegenstimme bekommen sollte, war dann doch überraschend.

Aber Steinmeier hat sich ins Zeug gelegt, um innerhalb eines Jahres seine zweite Heimat kennen zu lernen. Zwei ausgiebige Reisen über das Land hat er unternommen, Radtouren, private Wochenendausflüge. Er war auf Spargelhöfen, Erlebnisbauernhöfen, in Kirchen und Backstuben, hat unzählige Hände geschüttelt. Wie das ein Wahlkreiskandidat eben zu machen hat, aber als Außenminister einem terminlichen Hürdenlauf gleichkommen muss. Das hat die Menschen offenbar beeindruckt.

Er wirkte am Anfang noch etwas steif im Umgang mit den Menschen an der Basis. Redete auf Ortsvereinsfesten über internationale Abkommen und partnerschaftliche Verständigung, als hätte er das diplomatische Corps vor sich. Aber, und das scheinen ihm die Genossen im Wahlkreis hoch anzurechnen: Er hört vor allem zu.

So wie er an diesem Samstag seinem Ortsvereinschef Frank Gerstermann zuhört, der während der Mittagspause neben ihm in der ansonsten verwaisten ersten Reihe sitzt. Gerstmann im schwarzen Rolli unterm graukarierten Sacko redet und redet. Steinmeier nickt und nickt und legt die Stirn in Falten.

"Jawoll, der Mann ist gut"

Gerstmann hat eine gute Stunde zuvor noch am Rednerpult gestanden und sein Grußwort gesprochen. Als er ihm das erste Mal begegnet sei, seien sie sich im Ortsverein schon nach ein paar Sätzen einig gewesen: "Jawoll, der Mann ist gut. Auch als Mensch." Und er versicherte Steinmeier, "dass wir kein Blatt vor den Mund nehmen und nicht in Ehrfurcht erstarren". Gerstmann ist der Typ Genosse, dem man das ohne Zögern abnimmt. Und Steinmeier ist der Typ, den das nicht stören wird.

Die Brandenburger tragen es also mit Fassung, dass sie möglicherweise nach der Bundestagswahl vom neuen Bundeskanzler vertreten werden. Die Delegierten applaudieren zwar stehend, als das Wahlergebnis verkündet wird. Aber Jubel klingt anders.

Hier haben sie andere Probleme. Der Ausbau der Bundesstraße 101 etwa, der sich seit Jahren hinzieht. Oder dass jetzt endlich für den westbrandenburgischen Raum Ziesar ein neuer Landarzt gefunden wurde, was einem Sechser im Lotto gleichkomme, wie Ortbürgermeister Dieter Sehm bekennt.

Inzwischen weiß Steinmeier, dass er die Leute nur erreicht, wenn er ihre Sorgen anspricht. Über eine Stunde dauert seine Bewerbungsrede, in der er immer wieder die Probleme vor Ort benennt um dann die Lösungen aus Bundessicht zu formulieren. Knapp ein Drittel der Arbeitnehmer im Wahlkreis müssen sich ihren Lohn vom Staat aufstocken lassen. Steinmeiers Antwort: Mindestlohn. Das Ost-West-Gefälle bei den Renten? Wird angepackt.

Das Vertrauen scheint groß zu sein, dass Steinmeier hält, was er verspricht. "Jetzt können wa wieder in die Zukunft blicken", sagt ein Delegierter zu einem anderen, als schon alle aus dem Saal strömen.

Das müssen sie vor allem Leuten wie dem Wachmann erklären, der später von einer Frau begleitet durch die leeren Stuhlreihen läuft. "Mindestlohn", sagt sie und es klingt etwas Zynisches in ihrer Stimme mit. Ihrem blau uniformierten Nebenmann zischelt sie zu: "Was kriegst Du die Stunde? 4 Euro 30, oder?" Der Wachmann hebt nur die Hände und schweigt.

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