Sri Lanka:Zeiten der Verunsicherung

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Sieben Monate nach den Anschlägen auf christliche Einrichtungen wählt Sri Lanka einen neuen Präsidenten. Das Misstrauen ist immer noch groß zwischen den vielen Volks- und Religionsgruppen des Inselstaats - und ermöglicht Figuren aus der Vergangenheit womöglich ein Comeback.

Von Arne Perras, Negombo

Nur die dumpfen Schritte der Soldaten hallen am Morgen durch die Kirche. Die beiden Männer in Kampfanzügen tragen klobige Stiefel, alle anderen, die auf den neu gezimmerten Bänken sitzen und in aller Stille beten, sind barfuß.

Die Männer der srilankischen Luftwaffe patrouillieren im reparierten Gotteshaus. Vorne am Altar bleiben sie stehen, betrachten die Figur, die auf einem Podest steht. Es ist Jesus, in weißem Gewand. Er blickt in den Himmel. Die Statue ist durchlöchert von Splittern, auf dem Körper klebt noch Blut. Die Priester haben sich entschieden, sie so zu belassen, wie sie nach der Explosion am 21. April gefunden wurde. Gezeichnet vom Terror steht die Figur nun vorm Altar, im Gedenken an die Opfer, die an Ostern in der Kirche ihr Leben ließen.

St. Sebastian in Negombo, 200 Tage nach der Tat: Die Patrouille blickt abwechselnd auf Jesus und dann wieder auf die Besucher. Jeder von ihnen wurde draußen schon durchgecheckt. Durch die zweite Tür links trat damals der Attentäter, ein Mann mit Baseballkappe und Rucksack. Draußen hatte er noch einem Mädchen den Kopf getätschelt, wie Sicherheitskameras dann zeigten. Wenig später sprengte er sich in die Luft. Inzwischen ist alles repariert oder ersetzt: Dach, Wände, Fenster aus buntem Glas. Drei Monate lang waren Soldaten als Bauarbeiter im Einsatz.

Die Sehnsucht nach einem starken Mann ist überall zu spüren - nach einem, der als Wächter taugt

Der Terror an Ostern forderte 259 Todesopfer, islamistische Extremisten attackierten Kirchen und Hotels, allein in St. Sebastian starben 115 Menschen. Sicherheitsapparat und Regierung hatten auf ganzer Linie versagt, es gab schon Tage zuvor konkrete Warnungen, aber niemand nahm sie ernst. Vom Terror, aber auch vom Staatsversagen hat sich Sri Lanka noch nicht erholt. Die Taten haben Angst gesät und Misstrauen geschürt zwischen den religiösen Gruppen im Land, das mehrheitlich von Buddhisten bevölkert ist. Zu spüren ist nun überall eine breite Sehnsucht nach dem starken Mann. Viele wollen einen Politiker an ihrer Spitze sehen, der als Wächter taugt; einen, der sie schützt, wenn es darauf ankommt.

In Zeiten der Verunsicherung sind die Bürger nun am 16. November aufgerufen, ihren Präsidenten neu zu wählen. Und es gibt einen Mann, dem dieses Klima besonderen Auftrieb verschafft: Gotabaya Rajapaksa. Der 70-Jährige gehört zur reichsten Politikerfamilie im Land und war einmal Verteidigungsminister. Mehr noch: Gotabaya hat unter der Präsidentschaft seines Bruders Mahinda 2009 den zähen Bürgerkrieg gegen die separatistischen "Tamil Tigers" gewonnen. So fällt es ihm nicht schwer, sich zumindest der singhalesischen Mehrheit als Beschützer zu empfehlen. Gut möglich, dass ihm das schon zum Sieg reichen wird.

Um Rajapaksa im Wahlkampf zu erleben, fährt man von Negombo hinauf ins Bergland, nach drei Stunden leuchtet eine große Buddhastatue aus dem Wald, umringt von Betenden. Von hier ist es nicht weit bis Kandy, einem der heiligsten Orte für das Mehrheitsvolk der Singhalesen. "Rajapaksa hat seinen Wahlkampf ganz auf die Mobilisierung der singhalesischen Mehrheit zugeschnitten", sagt der Politologe Paikiasothy Raravanmuttu vom Centre for Policy Alternatives. Es gebe Parallelen zur Strategie Narendra Modis in Indien, der als Hindu-Nationalist erfolgreich die religiöse Mehrheit seines Landes umworben hat, die Minderheiten aber entfremdet.

Favorit Gotabaya Rajapaksa beim Wahlkampf. (Foto: Pradeep Dambarage/imago images/ZUMA Press)

Später Nachmittag im Ort Gelioya: Es blitzt, knattert und kracht. Qualm steigt auf. Ein kleiner Junge klammert sich ans Bein seines Vaters, aber der beschwichtigt. Es ist ja keine Bombe, sondern Feuerwerk für den Kandidaten. Wer eine feurige Rede von Rajapaksa erwartet hat, wird enttäuscht. Dieser Mann ist kein Charismatiker wie sein Bruder Mahinda. Gotabaya wirkt sehr nüchtern, er hat keine mitreißende Stimme, er macht auch keine Witze, um die Leute bei Laune zu halten. Dieser Mann variiert nur immer wieder eine doppelte Botschaft: "Vertraut mir, ich werde Sicherheit schaffen und das Land wieder voranbringen", sagt er. Alle hätten erlebt, wie die jetzige Regierung versagt habe.

Seit dem Sieg gegen die tamilischen Rebellen gelten die Brüder Mahinda und Gotabaya in der singhalesischen Mehrheit als Nationalhelden, Tamilen allerdings begegnen ihnen mit großem Misstrauen. "Die Rajapaksas reden nicht von Versöhnung", sagt der Analyst Paikiasothy. Und sie wehren sich gegen alle Versuche, Untersuchungen über mögliche Kriegsverbrechen während des langen Konflikts anzustrengen.

Trotz des Heldenmythos verlor der Rajapaksa-Clan bei Wahlen 2015 seine Macht, Korruptionsvorwürfe waren ans Licht gekommen, und viele hatten den Nepotismus satt, den die Rajapaksas auf die Spitze trieben. Es gab damals Hoffnung, dass eine neue Regierung den Kampf gegen die Günstlingswirtschaft vorantreiben könnte. Doch Präsident Maithripala Sirisena, der Rajapaksa ablöste, hat enttäuscht. Anstatt Reformen voranzutreiben, lieferte er sich Machtkämpfe mit dem Premier. Und dann kamen die islamistischen Anschläge, die den Staat als ohnmächtig vorführten.

Das alles spielt dem Rajapaksa-Clan in die Hände. Mahinda, der von 2005 bis 2015 Präsident war, darf das höchste Amt laut Verfassung nicht noch einmal einnehmen. Aber wenn sein Bruder das Rennen macht, könnte das Mahinda den Weg ebnen, nach Parlamentswahlen im Frühjahr Premier zu werden. Dann wären die Rajapaksas in doppelter Stärke zurück.

Als der Clan regierte, baute er ein Wirtschaftsimperium auf und etablierte autokratische Verhältnisse, die sich immer weiter vom Rechtsstaat entfernten. Politische Gegner und Journalisten lebten gefährlich. Viele wurden verfolgt, manche ermordet, Verbrechen blieben ungesühnt. Die Rajapaksas beteuern, sie hätten mit Menschenrechtsverletzungen nichts zu tun.

Nur einer kann die Rückkehr des Clans noch gefährden: Sajith Premadasa. Als Sohn eines Präsidenten, der von einem tamilischen Selbstmordattentäter ermordet wurde, genießt der 52-Jährige breiten Respekt. Er führt einen engagierten Wahlkampf, obgleich er viel weniger Geld hat als seine Gegner. Er punktet unter gemäßigten Kräften der singhalesischen Mehrheit, genießt Sympathien unter Armen und kann darauf zählen, dass die tamilische Minderheit und viele Muslime für ihn stimmen. Ob das für Premadasa reicht? Belastbare Prognosen fehlen, das Rennen in Colombo gilt unter Analysten als knapp.

Blutbefleckte Jesusstatue in der Kirche St. Sebastian in Negombo. (Foto: Arne Perras)

Im Westen und in Indien provoziert der Gedanke an eine Rückkehr der Rajapaksas Unbehagen. Mahinda öffnete als Präsident die Türen für China, Peking kam mit Milliarden und erkaufte sich großen Einfluss. Sri Lanka kämpft bis heute damit, seine Schulden zurückzuzahlen. Allerdings weiß niemand, wie sich Premadasa geopolitisch positionieren will. Bei einer Fragerunde war ihm nicht zu entlocken, wo er sein Land im Kraftfeld zwischen Peking, Delhi und Washington verortet.

In Negombo, nördlich der Hauptstadt, macht sich Sakuni Anuththara Kaluarachchi ihre eigenen Gedanken zur Wahl. Sie ist 19, Studentin, und wer sie fragt, welchen der beiden führenden Kandidaten sie bevorzugt, antwortet sie: "Keinen." Politiker in ihrem Land hätten bislang nur bewiesen, dass sie für sich selber arbeiteten.

Viele junge Leute blicken ratlos, manchmal frustriert auf ihre Politiker, denn die schaffen nicht genug Jobs für die Jugend. Schon vor dem Terror war das Wachstum lau, seit den Attacken leidet der Tourismus, was man auch am recht leeren Strand von Negombo sieht, nur wenige Hundert Meter von St. Sebastian entfernt.

In den Alltag hat sich diffuses Misstrauen eingeschlichen, das spürt Sakuni vor allem im Umgang mit muslimischen Freunden. Sie seien nicht radikal, "aber dennoch kann ich mit ihnen nicht über das hier sprechen", sagt sie und deutet hinüber auf die Kirche, die ein Extremist im Namen des IS vor sieben Monaten zerbombte. Sakuni ist Buddhistin, gerade eben saß sie noch drinnen in St. Sebastian und hielt die Hand einer guten Freundin, die zur christlichen Gemeinde gehört. "Wir haben beide viele Freunde hier verloren", sagt Sakuni. "Und wir haben sie nicht vergessen."

© SZ vom 14.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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