Sri Lanka:Proteste im Pool

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"Sie genossen den Superluxus, während wir litten": Demonstranten im gestürmten Präsidentenpalast. (Foto: AP)

Nachdem Demonstranten den Präsidentenpalast in Colombo gestürmt haben, erklärte Staatschef Gotabaya Rajapaksa seinen Rücktritt für kommenden Mittwoch. Doch wie soll es nun weitergehen in Sri Lanka?

Von David Pfeifer, Bangkok

Die Macht ist gebrochen, von Mittwoch an wird es in Sri Lanka keinen Regierungschef mehr geben. Präsident Gotabaya Rajapaksa hat seinen Rücktritt für den 13. Juli angekündigt. Auch Ministerpräsident Ranil Wickremesinghe erklärte, er werde zurücktreten, damit eine parteiübergreifende Interimsregierung übernehmen kann. Nur wer diese Regierung leitet und wer die ohnehin schleppend verlaufenden Gespräche mit dem Internationalen Währungsfond (IWF) führen soll - das ist bislang unklar.

Am Sonntag waren immer noch Demonstranten im verwüsteten Präsidentenpalast in Colombo unterwegs, den sie am Samstag gestürmt hatten. Die Nachrichtenagentur Reuters sprach eine Demonstrantin an, die 61-jährige Taschentuchverkäuferin B. M. Chandrawathi, die mit ihrer Tochter und ihren Enkelkindern in ein Schlafzimmer im ersten Stock schlenderte. "So etwas habe ich noch nie in meinem Leben gesehen", sagte Chandrawathi, während sie ein Plüschsofa ausprobierte. "Sie genossen den Superluxus, während wir litten", sagte sie. Sicherheitskräfte standen vor dem Gebäude, hinderten die Menschen aber nicht daran hineinzugehen.

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Seit Monaten leidet Sri Lanka unter einer schweren Wirtschaftskrise. Nun kann die nächste Lieferung von dringend benötigtem Benzin und Diesel nicht bezahlt werden. Leidtragende sind vor allem die, die ohnehin wenig haben.

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Hunderte von Demonstranten hatten am Samstag das Gelände der weiß getünchten Residenz aus der Kolonialzeit gestürmt, nachdem die Sicherheitskräfte sie durchgelassen hatten, um eine Eskalation zu vermeiden. Die Stimmung war ausgelassen und friedlich, Videoaufnahmen zeigen, wie einige Demonstranten auf einem Himmelbett und auf Sofas herumlümmeln oder im Pool baden. Einige sahen am Samstagabend, wie Demonstranten im Fernsehzimmer des Palastes die Demonstrationen ansahen.

Der Aktivist und Faktenchecker Yudhanjaya Wijeratne schrieb auf Twitter: "Ich bin nicht sicher, ob ich heute Gotas Ohrenstäbchen und Unterhosen hätte sehen wollen. Aber nun kann ich sie nicht mehr nicht gesehen haben." Gota ist der Spitzname des Präsidenten, er wurde auf den Protesten in den vergangenen Monaten vorwiegend in der Formel "Gota Go Home" gerufen. Am späten Samstagabend steckten Demonstranten das Privathaus von Ministerpräsident Ranil Wickremesinghe in Brand. Er und Rajapaksa seien in Sicherheit gebracht worden, teilte ein Sprecher des Präsidentenbüros mit. Sie sollen auf einer Militärbasis untergetaucht sein.

Seit Wochen schon wird täglich der Strom abgestellt

Das Vakuum, das nun entsteht, wird die Verhandlungen mit dem IWF erschweren, die sich bereits seit Monaten hinziehen. Der IWF hatte mit der Regierung Gespräche über ein mögliches Rettungspaket in Höhe von drei Milliarden US-Dollar geführt und erklärte am Sonntag, man verfolge die Ereignisse in Colombo genau. "Wir hoffen auf eine Lösung der aktuellen Situation, die eine Wiederaufnahme unseres Dialogs über ein IWF-gestütztes Programm ermöglicht", wurde in einem Statement am Sonntag erklärt.

Die schlimmste Wirtschaftskrise seit der Unabhängigkeit Sri Lankas von Großbritannien im Jahr 1948 wurde durch Devisenmangel ausgelöst, der die Einfuhr von lebenswichtigen Gütern wie Kraftstoff, Lebensmitteln und Medikamenten zum Erliegen brachte. Ohne neue Dollars wird es keine neuen Lieferungen geben. Schon seit Wochen wird der Strom täglich für mehrere Stunden abgestellt, in einigen Regionen des Landes gibt es seit zwei Wochen gar kein Benzin mehr. Wer sich zwei Tage an einer der vom Militär bewachten Tankstellen anstellt, wird häufig trotzdem ohne Treibstoff wieder weggeschickt.

Die Schulen haben geschlossen, und Regierungsmitarbeiter wurden gebeten, von zu Hause aus zu arbeiten und keine Fahrten zu unternehmen, die nicht dringend notwendig sind. Präsident Rajapaksa, der sich in den vergangenen Jahren immer wieder abwechselnd Geld bei China oder Indien lieh, hatte noch in der vergangenen Woche Wladimir Putin um Unterstützung gebeten. Russland pflegt gute Handelsbeziehungen mit Sri Lanka, vor allem was den Import des berühmten Ceylon-Tees angeht.

Die aktuelle Krise entwickelte sich, nachdem die Pandemie den Tourismus quasi auf null reduziert hatte, von dem die Wirtschaft Sri Lanks mit mindestens zehn Prozent des Bruttosozialprodukts abhängig ist. Zudem gingen die Überweisungen von Arbeitnehmern aus dem Ausland zurück, die der Rajapaksa-Regierung nicht mehr trauten. Sie schickten keine Dollars mehr nach Hause, "weil sie Angst haben, dass die aktuelle Regierung sie bestiehlt", wie der Ökonom Gopinath Ganeshamoorthy der SZ schon vor einigen Wochen erklärte.

Verschärft wurde die Lage durch steigende Ölpreise und ein Einfuhrverbot für chemische Düngemittel im vergangenen Jahr, das die Landwirtschaft ruinierte. Die Inflation erreichte im vergangenen Monat 54,6 Prozent, und die Zentralbank warnt davor, dass sie in den kommenden Monaten auf 70 Prozent steigen könnte. Wer keine Dollars hat, um auf dem Schwarzmarkt einzukaufen, bekommt keine Grundversorgung mehr. Auf den Lebensmittelmärkten explodierten die Preise für minderwertiges Obst und Gemüse. Vor allem die Armen können sich die Nahrung nicht mehr leisten.

Am Freitag war noch eine Order erlassen worden, die als "polizeiliche Ausgangssperre" bezeichnet wurde, aber eine solche gibt es laut Gesetz in Sri Lanka gar nicht; Präsident Gotabaya Rajapaksa hatte sie sich ausgedacht. Vermutlich hatte er geahnt, was kommen würde. Am späten Freitagabend wurde sie wieder zurückgezogen, am Samstag waren die Demonstranten dann trotz Treibstoffmangel in Bussen und auf Lkws nach Colombo geströmt und in einer Menge und mit einer Wut auf der Uferpromenade Galle Face Green und vor dem Präsidentenpalast erschienen, die Rajapaksa, der sich seit Monaten an sein Amt klammert, zum angekündigten Rücktritt bewegten.

Schüsse und Explosionen in Colombo

Landesweit wurden 45 Menschen, darunter zwei Polizisten, während der Proteste am Wochenende verletzt, wie die Krankenhäuser am Sonntag mitteilten. In Colombo waren in der Nacht von Samstag auf Sonntag immer wieder Schüsse und Explosionen zu hören gewesen, der Geruch von Tränengas lag in der Luft. Vereinzelt wurde vom harten Vorgehen der Polizei gegen Demonstranten berichtet, doch angesichts des Chaos in Colombo blieb es weitgehend friedlich.

Den Gesprächen mit dem IWF hilft es natürlich nicht, wenn die Gesprächspartner von ihren Wählern verjagt werden. Aber den Protestierenden ist das egal. Sie wollen, dass Ranil Wickremesinghe und Gotabaya Rajapaksa und seine Familie, die einige hohe Regierungsposten besetzt hatte, endlich gehen. Parlamentspräsident Mahinda Yapa Abeywardena hatte am Samstagabend bei einem dringend einberufenen Treffen der politischen Parteien erklärt, Rajapaksa habe sich zum Rücktritt entschlossen, "um eine friedliche Übergabe der Macht zu gewährleisten". Und er schlug vor, dass das Parlament innerhalb einer Woche einen neuen Präsidenten wählt. Nur wen?

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