SPD:Martin Schulz' neue Perspektive

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Martin Schulz formulierte einmal selbst: Er sei nicht mehr in der ersten Reihe, aber eben auch nicht aus der Welt. (Foto: dpa)

Der 64-Jährige will an die Spitze der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung rücken. Gemessen an seinen früheren Ansprüchen ist das zwar eine niedrige politische Flughöhe. Aber: Er bleibt in der Luft.

Von Mike Szymanski, Berlin

Wenn es um den eigenen Rang in der Politik ging, dann war der SPD-Politiker Martin Schulz zuletzt ein Suchender. Anfang des Jahres führte ihn die Reise zum eigenen Ich sogar bis in den Vatikan, zum Papst. Schulz hatte eine Privataudienz ergattert. Es wurden pure Wohlfühltage für ihn in Italien: Der Premierminister empfing ihn. Der Europaminister hatte Zeit für ihn, der Finanzminister und auch noch der Gesundheitsminister. Martin Schulz sagte damals, diese Reise sei auch ein Test für seine "verbliebene politische Flughöhe". Und ja, der frühere Präsident des Europaparlaments, der frühere SPD-Chef, der frühere Kanzlerkandidat - er war damals tatsächlich noch in der Lage abzuheben.

Ein Dreivierteljahr später gibt Schulz, 64 Jahre alt, seinem Berufsleben noch einmal eine neue Wendung. Er will an die Spitze der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung rücken, was gemessen an seinen früheren Ansprüchen zwar eine eher niedrige politische Flughöhe bedeutet. Aber immerhin: Er bleibt in der Luft.

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Stiftungschef Kurt Beck - wie Schulz früherer SPD-Vorsitzender - hört zum Jahresende auf, und Schulz soll sein Nachfolger werden. Die Friedrich-Ebert-Stiftung ist im Kosmos der SPD ein durchaus angesehener Satellit. Als Ort der politischen Bildung versucht die Stiftung, nah dran zu sein an den großen Fragen, die in der Gesellschaft verhandelt werden. Mit 600 Mitarbeitern, 16 Standorten in Deutschland und mehr als 100 Auslandsbüros verfügt sie über Strukturen, die Schulz, der auch gerne Außenminister geworden wäre, viel Bewegungsfreiheit erlauben dürften. Andererseits ist das Willy-Brandt-Haus weit genug entfernt, um nicht Gefahr zu laufen, in die Scharmützel der Partei hineingezogen zu werden. Schulz formulierte es einmal so: Er sei nicht mehr in der ersten Reihe, aber eben auch nicht aus der Welt. Das trifft es ganz gut - auch mit der neuen Stelle. Beck machte jedenfalls einen recht entspannten Eindruck, wenn man ihn als Stiftungschef bei Parteiveranstaltungen traf; das war zuvor wahrlich nicht immer so.

Martin Schulz ist wohl die tragischste Figur der Bundestagswahl 2017. Er startete als Kanzlerkandidat und Parteichef mit gespenstischen 100 Prozent der Stimmen auf dem Parteitag der SPD, löste eine Begeisterung aus, die sich in Parteieintritten und Umfragewerten niederschlug, wie sie die SPD lange nicht gesehen hatte. Und dann stürzte die SPD doch auf 20,5 Prozent ab, weil die Kampagne nicht funktionierte, weil die Partei keinen Teamgeist entwickelte und gegen Kanzlerin Merkel kaum einen Punkt zu machen vermochte. Über Monate sah es so aus, als würde Schulz an dieser Niederlage zerbrechen. Als einmal Besucher im Bundestag ein Foto mit ihm haben wollten, verschwand der Abgeordnete mit den Worten in den Fahrstuhl: "Ich bin nichts mehr." Eine Zeit lang machte auch Schulz seinen Nachfolgern das Leben schwer - bis er sich doch wieder berappelte.

Er hatte ja einen sagenhaften Aufstieg hingelegt. 1974 trat Schulz in die Partei ein. Er wurde Buchhändler und machte sich selbständig. 1987 wurde er mit 31 Jahren Bürgermeister seiner Heimatstadt Würselen. 1994 zog er ins Europaparlament ein, dessen Präsident er 2012 wurde. Als die SPD ihn nach der Kanzlerkandidatur nicht mehr brauchte, begann er, sich selbst zu beschäftigen. Er gründete einen Verein: "Tu was für Europa". Bald stehen ihm dafür ganz andere Mittel bereit. Die Friedrich-Ebert-Stiftung macht ihn zu einem Botschafter unterhalb des Radars der großen Politik.

In Europafragen kraftvoller auftreten zu können, das wünscht sich auch die Stiftung. Auch sie muss sich an die neue Zeit anpassen: Digitalisierung und Klimawandel einerseits, alarmierender Rechtspopulismus und das Erstarken autokratischer Systeme andererseits bestimmen neuerdings die Agenda. Ein paar der Themen beherrscht Schulz, in den anderen muss er sich jetzt beweisen.

© SZ vom 09.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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