Lars Klingbeil:Dahin gehen, wo es den anderen wehtut

Lesezeit: 4 min

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil Im Februar im Willy-Brandt-Haus in Berlin. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Lange ist es keinem SPD-Generalsekretär mehr gelungen, die CDU-Führung derart zu triezen wie Klingbeil. Seine Anpassungsfähigkeit könnte ihn in Zukunft noch weiter nach oben bringen.

Von Mike Szymanski, Berlin

Lars Klingbeil sitzt in seinem Büro im Willy-Brandt-Haus. Fünfter Stock, der Blick aus dem Fenster fällt auf Hochhäuser, in denen die Wohnstuben so groß sein dürften wie das Zimmer des Generalsekretärs der SPD. Er berichtet jetzt über den Montag dieser Woche, einen Tag, der eine besondere Wendung nehmen sollte.

Es saß am Schreibtisch. Der Fernseher lief. Die Führung der SPD hatte getagt. Er freute sich auf seinen Auftritt vor der Presse. Es sollte um Peter Tschentscher gehen, Erster Bürgermeister aus Hamburg und Sieger der Bürgerschaftswahl. Wann hatten sie zuletzt Sieger zu Gast im Haus? Aber dann ging es plötzlich um ihn. Er hörte seinen Namen im Fernsehen. Dort lief die Pressekonferenz von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer. Für sie war es kein so guter Tag. Sie war soeben mit dem Versuch gescheitert, eine Kampfabstimmung über den CDU-Parteivorsitz zu verhindern. Ihr Auftritt dauerte schon einige Zeit, dann folgte ein regelrechter Wutausbruch: Klingbeil greife immer wieder die CDU mit dem Vorwurf mangelnder Abgrenzung zur AfD an, beschwerte sie sich. Er führe eine bewusste "Diffamierungs- und Schmutzkampagne gegen die CDU". Und dann folgte noch ein Satz, der es in sich hatte: "Dann soll er die Konsequenz ziehen und seine Partei auffordern, diese Regierung zu verlassen."

Olaf Scholz
:Warum Hamburgs SPD-Wahlsieg den Vizekanzler zurück ins Spiel bringt

Der Erfolg der Hamburger Sozialdemokraten verschafft Olaf Scholz neue Möglichkeiten. Plötzlich ist eine Schlüsselrolle denkbar: die des Spitzenkandidaten für die nächste Bundestagswahl.

Von Mike Szymanski

Klingbeil saß hier oben im fünften Stock. Unten, im Foyer des Willy-Brandt-Hauses, warteten schon die Journalisten auf seinen Auftritt. Kommt jetzt Klingbeil - der Koalitionssprenger?

Der Posten des Generalsekretärs gehört zu den schwierigsten in der Politik. Im Idealfall ist er eine ständige Gratwanderung: Es gilt, die Positionen der Partei klarzumachen und in der politischen Auseinandersetzung bis an die Schmerzgrenzen zu gehen. Außerdem muss ein Generalsekretär immer den eigenen Laden im Blick behalten. Klingbeil ist seit Dezember 2017 Generalsekretär. Seither war er vor allem damit beschäftigt, die Partei zusammenzuhalten. Wer ihn aber in diesen Tagen in seinem Büro trifft, das Sakko abgelegt, erlebt einen gut gelaunten Politiker mit spitzbübischem Lächeln, der eine gewisse Freude, es den anderen gezeigt zu haben, nur schwer verbergen kann. "Ich habe später nicht zu Hause gesessen und gedacht, etwas falsch gemacht zu haben", sagt er.

Seitdem die CDU in Thüringen zusammen mit Stimmen der AfD dem FDP-Politiker Thomas Kemmerich ins Amt des Ministerpräsidenten verholfen hat, treibt Klingbeil die CDU vor sich her: Mal wirft er dem Koalitionspartner vor, es sei ihm darum gegangen, in Thüringen "Hand in Hand mit Nazis" an Ministerposten zu kommen. An anderer Stelle spricht er der CDU jeden Anstand ab. Kramp-Karrenbauers Wutausbruch? Ändert nichts: "Ich werde auch weiterhin darauf hinweisen, wenn ich sehe, dass die CDU vor Ort mit der AfD gemeinsame Sache macht und sich eben nicht an den Beschluss der Bundespartei hält."

Es ist lange her, dass ein SPD-Generalsekretär die CDU-Führung derart auf die Palme gebracht hat. 2006 piesackte ein Generalsekretär namens Hubertus Heil die CDU mit dem Satz, die SPD schwitze im Maschinenraum, und die Kanzlerin und Parteichefin Angela Merkel schone sich auf dem "Sonnendeck". Merkel soll Heil damals in einem Koalitionsausschuss regelrecht zusammengefaltet haben. Geschadet hat es ihm nicht. Heil ist heute Arbeitsminister.

1 / 4
(Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Die anderen kommen und gehen, der General bleibt: Lars Klingbeil im Oktober 2017 mit dem damaligen SPD-Vorsitzenden Martin Schulz.

2 / 4
(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Im Februar 2018 mit Andrea Nahles, damals noch SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag.

3 / 4
(Foto: picture alliance/dpa)

Selfie mit Genossen: Im Februar 2018 mit Manuela Schwesig, Malu Dreyer, Martin Schulz, Andrea Nahles, Carsten Schneider und Olaf Scholz (v.l.)

4 / 4
(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Im November 2019 mit den neuen Parteivorsitzenden Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken.

Klingbeil dürfte die Attacke auch nicht schaden. Nachdem die quälende Vorsitzsuche 2019 gezeigt hat, wie sehr die SPD an der Spitze ausgezehrt ist, fragen sich viele in der Partei, wer es künftig einmal ganz nach oben schaffen könnte. Klingbeil, ein Mann von schrankhafter Statur, Anfang 40, der gerne auf Hip-Hop-Konzerte geht und sich im Internet souverän bewegt: Das klingt nach einer Option für die Zukunft. Dass er 2019 nicht in den Wettbewerb um den Vorsitz eintrat, lag nur daran, dass er keine Teampartnerin gefunden hatte. Die Doppelspitze für die SPD war sein ausdrücklicher Wunsch. Als Generalsekretär dürfte er es mittlerweile sportlich sehen, wer unter ihm die Partei führt. Martin Schulz hatte ihn 2017 zum Generalsekretär gemacht. Rechnet man die kommissarischen Chefs hinzu, dann hat er in diesen zwei Jahren schon sechs Vorsitzenden gedient. Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sind Nummer 7 und 8. Er kann es sich erlauben, die Konditionen zu bestimmen: "Mir war von Anfang an wichtig, dass wir auf Augenhöhe arbeiten", sagt er.

Franz Müntefering stellte ihn 2005 so vor: "Der Lars ist Jungsozialist - und das sieht man ihm auch an."

Bei Martin Schulz war er immer auch ein bisschen als Kummerkasten gefragt, bei Andrea Nahles hatte er den vollen Frust der Basis über die große Koalition aushalten müssen. Irgendwann fingen die Leute auch an, sich für Nahles' verunglückte Auftritte zu schämen. Danach steuerte Klingbeil die Partei durch ein halbes Jahr der Vorsitzsuche mit 23 Regionalkonferenzen. Heute kennt kaum einer die Partei von unten und oben so gut wie er. Dass er als Generalsekretär eine Mitverantwortung trägt für Niederlagen bei der Europawahl und in den Ländern hat ihm bislang nicht merklich geschadet. Genauso wenig, dass er mit der Reform der Parteistrukturen - er wollte die Gremien und den Parteitag deutlich verkleinern - weitgehend gescheitert ist. Klingbeil hat aber mehr als einmal unter Beweis gestellt, dass er loyal sein kann: Dies lässt das eher linke Führungsduo Esken und Walter-Borjans darüber hinwegsehen, dass ihr engster Mitarbeiter im Willy-Brandt-Haus bei den konservativen Seeheimern der SPD ist, was auch schon wieder ein bisschen überraschend ist. Er kam von den Jusos. Als er 2005 zum ersten Mal als Nachrücker im Bundestag saß, hatte er ein Piercing in der linken Augenbraue und Franz Müntefering stellte ihn in der Fraktion mit den Worten vor: "Der Lars ist Jungsozialist - und das sieht man ihm auch an."

Klingbeil verfügt über eine fast schon sagenhafte Anpassungsfähigkeit, er betoniert sich nicht ein. Er wuchs im niedersächsischen Munster in einem Soldatenhaushalt auf, machte dann Zivildienst und beschäftigte sich später im Bundestag mit Verteidigungspolitik. Als Schüler demonstrierte er gegen die Bildungspolitik von Ministerpräsident Gerhard Schröder. Das Motto damals: "Schüler immer blöder dank Gerhard Schröder". Im Studium hat er dann in dessen Abgeordnetenbüro angefangen zu arbeiten. In seinem Wahlkreis Rotenburg I - Heidekreis hat er bei der Wahl 2017 mit 41,2 Prozent der Erststimmen das Direktmandat erobert.

Dass ihm der Kampf gegen rechts so wichtig ist, hat auch mit Niedersachsen zu tun. Dort kämpfte er gegen einen Treff- und Schulungsort für Neonazis in der Lüneburger Heide. In dieser Frage hat sich sein Standpunkt nie verändert.

Die Attacke gehört zum Instrumentenkasten des Generalsekretärs. Annegret Kramp-Karrenbauer war selbst Generalsekretärin. Sie weiß das. Die beiden können gut miteinander. Am Mittwoch ist ein Brief mit Glückwünschen von ihr bei Klingbeil eingetroffen, Klingbeil ist vor ein paar Tagen 42 Jahre alt geworden. Es ist ein Brief voller warmer Worte. Trotz allem.

© SZ vom 28.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

MeinungSozialdemokraten
:Die SPD hat weder Kraft noch Zentrum

Der Erfolg in Hamburg ändert wenig an der Not der Partei, den Vorsitzenden fehlt noch immer die Autorität. Doch eine Chance hat die SPD noch.

Kommentar von Mike Szymanski

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: