Nachfolgerin von Kevin Kühnert:"... und manchmal auch mit erhobenem Mittelfinger"

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Spricht und wartet auf die Ergebnisse der Briefwahl: die designierte Juso-Chefin im Willy-Brandt-Haus. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Jessica Rosenthal rückt an die Spitze der Jusos - und will der Jugend eine stärkere Stimme in der Politik geben. Zu Olaf Scholz steht sie inzwischen trotzdem treu.

Von Mike Szymanski, Berlin

Was die Corona-Krise für junge Leute bedeutet, für Schülerinnen und Schüler, für Auszubildende, für Studierende und Jobeinsteiger - dieses Wissen muss sich die Politikerin Jessica Rosenthal nicht mühevoll aneignen. Die 28-Jährige, die sich am Samstag auf dem Bundeskongress der Jusos um den Vorsitz beim SPD-Parteinachwuchs beworben hat und nun auf das Ergebnis der Briefwahl wartet, wird in dieser Woche wieder vor ihren Schulklassen stehen. Als Vertretungslehrerin an einer Bonner Gesamtschule weiß sie, was es heißt, wenn in Haushalten keine Rechner stehen und deshalb schon Fernunterricht nicht möglich ist. Sie weiß, wie schwierig es wird, Schülerinnen und Schüler Hausaufgaben zukommen zu lassen, wenn niemand in den Familien über eine E-Mail-Adresse verfügt. Auf dem Höhepunkt der ersten Welle in dieser Pandemie hatte sie als Lehrerin angefangen - mit dem damals schon etwas klammen Gefühl, nicht zu wissen, was in diesem Jahr alles noch auf sie zukommen wird.

Seit Samstag ist klar: Mehr Arbeit, dies in jedem Fall. Die Jusos haben sich unter ihrem omnipräsenten Vorsitzenden Kevin Kühnert daran gewöhnt, rund um die Uhr geführt und vertreten zu werden. Für Kühnert gab es, einmal abgesehen von seiner Leidenschaft für Fußball, wenig anderes als Politik. Als er mit seinen 31 Jahren am Samstag auf sein Schaffen zurückblickte, hörte sich das nach einem satten Politikerleben an, wie man es eigentlich vom Ende der Karriere kennt und nicht vom Anfang. Jessica Rosenthal hat ein Leben neben der Politik. Als Lehrerin will sie weitermachen. Auf einer halben Stelle, anders würde es nicht gehen.

Mit einer Ausbildungsgarantie in den Wahlkampf

In der Corona-Krise dürfte das eher von Vorteil sein. Wann waren die Zeiten wohl interessanter, um an der Spitze eines Jugendverbandes zu stehen und sich in die politische Diskussion einzumischen? Studierende müssen um ihre Existenz kämpfen, weil ihnen die Nebenjobs wegbrechen. Wird womöglich eine ganze Generation abgehängt, wenn das System Schule nicht mehr richtig funktioniert und das Projekt Berufseinstieg scheitert? Kühnert hat die Jusos zum Machtfaktor in der SPD ausgebaut. Darauf kann Rosenthal aufbauen.

In ihrer Bewerbungsrede am Samstag sprach sie an, dass in der Politik die Stimme der Jugend, der jungen Leute, fehle. Sie sagte selbstbewusst: "Zukunft machen wir selbst, mit Mut, mit Willen, mit klarem Kopf und manchmal auch mit erhobenem Mittelfinger." Nicht unbedingt ein Satz, der ihr vor der Klasse über die Lippe gehen dürfte, bei den Jusos aber kommt das an. Ins Wahljahr 2021 starten die Jusos mit ihren Forderungen nach einer Job- und nach einer Ausbildungsplatzgarantie.

Zum Karneval geht Rosenthal gerne mal als Robin Hood, praktische Politik macht sie mittlerweile auch als Chefin der SPD in Bonn. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz, der am Samstag Gast bei den Jusos war, dürfte Jessica Rosenthal aus dem vergangenen Jahr in Erinnerung haben. Damals wollte er Parteichef werden. Aber die Jusos arbeiteten nach Kräften gegen ihn - vor allem in Nordrhein-Westfalen unter Führung von Jessica Rosenthal. Beim Bundeskongress 2019 richtete sie sich mit scharfen Worten an Scholz: "Lieber Olaf, ich nehme dir nicht mal mehr das Linksblinken ab." Jetzt sicherte sie ihm zu, gemeinsam für den Wahlerfolg 2021 kämpfen zu wollen.

Kühnert hatte die Kehrtwende der Jusos von den Scholz-Gegnern hin zu Scholz-Unterstützern vollzogen. Nicht, dass ein falscher Eindruck entsteht: Es gehe lediglich darum, sich "gegenseitig schadlos" zu halten, so hat einer aus der SPD das neue Miteinander beschrieben. Freundschaft wird das nicht mehr. Etwa 80 Jusos bemühen sich gerade darum, als Kandidaten für die Bundestagswahl aufgestellt zu werden. Ihnen dürfte klar sein: Nur wenn Scholz eine Chance hat, haben sie auch eine. Das gilt auch für zwei Spitzenjusos, die in den Bundestag wollen: Kevin Kühnert und Jessica Rosenthal.

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