Sánchez kündigte eine "aktive Arbeitsmarktpolitik" an, das heißt, er will ähnlich wie der portugiesische Kollege António Costa die Nachfrageseite stärken und dadurch mit der Doktrin der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik brechen, die seit Margaret Thatcher in der EU gilt. Er will Kürzungen im Gesundheitswesen zurücknehmen und die Rolle der Gewerkschaften bei Tarifverhandlungen stärken, die Löhne sollen moderat steigen, damit wieder mehr Geld ins darbende steuerfinanzierte Sozialsystem fließt. Er will Finanztransaktionen besteuern - ein Gruß an die bisher regierende Volkspartei, die mit schwarzen Kassen und Spekulationsgewinnen einen der größten Korruptionsskandale Spaniens auslöste, über den am Ende Rajoy stolperte. Und Sánchez plant eine spezielle Abgabe für Banken, die dem Sozialsystem zu Gute kommen soll, damit die sich auch mal an was beteiligen.
All das wird in Angela Merkels Ohren arg nach François Hollande klingen. Aber die deutsche Kanzlerin kann nach zehn Jahren Eurokrise froh sein, im Süden überhaupt noch eine berechenbare politische Kraft vorzufinden. Und wie lange Sánchez regiert, hängt ja auch von den baldigen Wahlen ab. Bis dahin wird er alles tun, um sein Image zu polieren - den Medienauftritt liebt er, anders als der scheue Rajoy.
Für Sánchez war der Machtantritt eine unverhoffte Wendung, denn bislang war er als Oppositionsführer glücklos gewesen. Dabei war er vor vier Jahren den spanischen Sozialisten fast aus dem Nichts als Hoffnungsträger erschienen. Seine Partei, die PSOE lag damals am Boden, sie wurde für die Wirtschaftskrise verantwortlich gemacht, Folge des Platzens einer gigantischen Immobilienblase. Die Mitglieder sollten damals per Urwahl einen Parteichef bestimmen. Völlig unerwartet siegte der Madrider Hinterbänkler. Zuvor hatte er unermüdlich mit seinem alten Peugeot Ortsverbände abgeklappert. Aufbruchsstimmung erfasste die Partei.
Bei seinem Amtsantritt als Parteichef war Sánchez 42 Jahre alt. Der 1,90 Meter große durchtrainierte Sportler galt als Schwiegermutterliebling, aber auch als politisches Leichtgewicht. Sánchez ist kein mitreißender Redner, auch ist ihm das Milieu der traditionellen PSOE-Wähler fremd, das der Arbeiter, Kleinhändler und Handwerker. Erste politische Erfahrungen sammelte er im fernen Brüssel als Assistent einer spanischen Europa-Abgeordneten. Vor seinem Aufstieg zum Parteichef war er Professor für Volkswirtschaft.
Die Abwärtsfahrt der einst stolzen PSOE konnte er zuerst nicht aufhalten. Von links nahm die linksalternative Gruppierung Podemos (Wir schaffen das) Stimmen weg, von rechts die liberale Bürgerpartei (Ciudadanos). Im Herbst 2016 kam es zum offenen Aufstand eines Teils der Parteidelegierten gegen Sánchez, weil er sich nicht zu einer Großen Koalition nach deutschem Vorbild überreden lassen wollte. Doch Sánchez gewann auch die nächste Urwahl, denn die PSOE ist in ihrer Mehrheit deutlich linker als die SPD. Wie es aussieht, hat sich der Widerstand für ihn ausgezahlt.