Sozialexperte Dreßler zur SPD:"Sich Steinmeier in den Weg stellen"

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Zur Zukunftsdebatte der SPD: Rudolf Dreßler, ehemaliger Sozialexperte, erklärt, auf welche Themen und Personen die Partei künftig setzen muss.

Michael König

Rudolf Dreßler, 68, war einer der führenden Sozialexperten in der SPD und lange Mitglied im Bundestag sowie im SPD-Präsidium. Er wird dem linken Parteiflügel zugeordnet. Nach seinem Abschied von der Parteipolitik war er von 2000 bis 2005 deutscher Botschafter in Israel. Im Mai 2007 spekulierte Dreßler öffentlich über einen Wechsel zur Linkspartei, weil er mit der Sozialpolitik der SPD unzufrieden war.

sueddeutsche.de: Herr Dreßler, wie haben Sie den Wahlabend erlebt?

Rudolf Dreßler: Mir war am Sonntag sofort klar: Wenn jetzt nichts passiert, ist die Partei am Ende. Dann hat sie ihre Daseinsberechtigung verloren. Ich war nur unsicher, ob es genügend Leute gibt, die jetzt die Reißleine ziehen.

sueddeutsche.de: Wie schlimm steht es um die SPD?

Dreßler: Sie ist tief gefallen. Man muss bis ins vorherige Jahrhundert zurückgehen, um eine ähnliche Situation vorzufinden: 1893 gewann die SPD bei der Reichstagswahl 23,4 Prozent, das waren immer noch 0,4 Prozentpunkte mehr als jetzt. Das verdeutlicht die Tiefe des Sturzes.

sueddeutsche.de: Ist die Personaldebatte, die jetzt geführt wird, ein Schritt in die richtige Richtung?

Dreßler: Ja, ganz eindeutig. Als Steinmeier vor der Fraktionssitzung ankündigte, nicht Parteivorsitzender werden zu wollen, da war mir klar: Die wollen den Umbruch.

sueddeutsche.de: Wer sind denn "die"?

Dreßler: Das sind diejenigen, die die Partei nun führen werden: Andrea Nahles, Sigmar Gabriel, Klaus Wowereit, Hannelore Kraft, vielleicht auch Heiko Maas. Sie haben sehr klug gehandelt, indem sie Steinmeier dazu gebracht haben, vor der Fraktionssitzung seinen Verzicht auf den Parteivorsitz zu erklären.

sueddeutsche.de: Wie kommen Sie darauf? Steinmeier hätte doch schon am Tag vor der Fraktionssitzung Anspruch auf den Parteivorsitz erheben können.

Dreßler: Hätten sich die anderen nicht rechtzeitig formiert, wäre er nach der Fraktionssitzung nicht mehr zu stoppen gewesen, wenn er nach dem Parteivorsitz hätte greifen wollen. Niemand hätte ihm das verwehren können. Genau das war die Strategie. Gabriel, Nahles und die anderen haben die einzige Chance genutzt, sich Steinmeier in den Weg zu stellen.

sueddeutsche.de: Was ist ihr Motiv? Sie haben bislang voll hinter Steinmeier gestanden.

Dreßler: Das stimmt und das ist schlimm genug. Aber an und für sich stehen diese Leute für andere Inhalte. Und sie haben jetzt erkannt, dass ihre Firma Insolvenz anmeldet, wenn nicht bald etwas passiert.

sueddeutsche.de: Trauen Sie der SPD zu, wieder Volkspartei zu werden?

Dreßler: Sie hat die Chance dazu. Aber Volkspartei zu sein hängt von bestimmten Bedingungen ab. Eine hat sie schon erfüllt: Alle Flügel sind bei der Vergabe von Positionen berücksichtigt. Jetzt liegt es an deren Vertretern, Kompromisse zu finden. Der nötige Druck ist vorhanden: Wer jetzt aus der Reihe tanzt, lädt eine gehörige Portion Schuld auf sich. Das kann niemand wollen.

sueddeutsche.de: Die SPD neigt traditionell zu Flügelkämpfen, die bis zur Selbstzerfleischung reichen. Warum soll das diesmal anders sein?

Dreßler: Es hat ihr im Laufe der Geschichte nicht geschadet, diskussionsfreudig zu sein. Das ist kein Makel. Das Ringen um Positionen gehört zu den normalen Auseinandersetzungen in einer Demokratie.

sueddeutsche.de: Der bisherige Umweltminister Sigmar Gabriel soll neuer Parteivorsitzender werden. Ist er ein würdiger Nachfolger von Politikern wie August Bebel und Willy Brandt?

Dreßler: Ich traue es ihm zu. Erstens ist er fleißig, das hat er in den letzten vier Jahren bewiesen. Zweitens ist er rhetorisch das Beste, was die SPD zur Zeit zu bieten hat. Das spielt in der Opposition keine geringe Rolle und darf man gerade in einer Mediengesellschaft nicht unterschätzen. Und drittens verfügt er als 50-Jähriger über viel Erfahrung.

sueddeutsche.de: Sie haben die Agenda 2010 als "neoliberale Gesetzgebung" bezeichnet. Kann die SPD sich davon abwenden, solange Steinmeier Fraktionsvorsitzender ist?

Dreßler: Er muss sie ja nicht verteufeln, aber er muss die Fähigkeit unter Beweis stellen, Fehler zu erkennen und als solche anzusprechen. Und er muss den Mut haben, dann auch die Korrektur zu fordern. Man muss sich mal vergegenwärtigen, dass selbst Guido Westerwelle ein höheres Schonvermögen für Hartz-IV-Empfänger fordert, während Steinmeier weiterhin betont, wie stolz er auf das Erreichte ist. Das ist fast schon Material für die Satire-Sendung "Neues aus der Anstalt".

sueddeutsche.de: Ist die Sozialpolitik der Schlüssel zum Erfolg?

Dreßler: Meiner Überzeugung nach ist das so. Die SPD hat immer ihre Identität aus der Gesellschafts- und Sozialpolitik geschöpft. Die Schröder-Politik war eine Abkehr davon, sie hat den Niedergang eingeleitet. Nun muss die Partei ihre Identität wiederfinden. Das geht nur über glasklare Analyse und Korrektur. Aber das kann lange dauern und ist keine Sache von ein paar Wochen.

sueddeutsche.de: Noch am Wahlabend sind einige hundert Menschen der SPD beigetreten. Was könnte ein Grund dafür sein?

Dreßler: Wahrscheinlich die Chance, der Partei dabei zu helfen, ihre Identität wiederzufinden und ihren Kurs neu zu bestimmen. Wer nicht möchte, dass diese große demokratische Volkspartei eliminiert wird, muss gerade jetzt mitarbeiten.

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