Sotschi-Absage von Gauck:Das Rätsel der Nicht-Reise

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Bundespräsident Joachim Gauck: Seine Sotschi-Absage hinterlässt offene Fragen. (Foto: dpa)

Hinter Gaucks Ankündigung, nicht zu den Olympischen Winterspielen nach Sotschi zu reisen, verbirgt sich ein gewaltiges Politikum. Es stellen sich große Fragen.

Ein Kommentar von Stefan Kornelius

Der Bundespräsident hat zwei, gar drei bemerkenswerte außenpolitische Reden gehalten - in Paris, in Oradour-sur-Glane, in Stuttgart zum Tag der Deutschen Einheit. Nun hat Joachim Gauck außenpolitisch gehandelt, und das Ergebnis ist, milde ausgedrückt, verwirrend. Ja, man kann die Sotschi-Absage kleinreden: Der Präsident muss da nicht hin, er boykottiert nicht, er unterlässt lediglich eine Reise.

Angeblich steckt dahinter keine tiefere politische Absicht. Damit kommt Gauck in Deutschland durch und wird sogar beklatscht. Endlich mal einer, der Putin zeigt, was er von ihm hält. In ihrer moralischen Überlegenheit sind die Deutschen ohnehin unschlagbar.

Aber hinter der Nicht-Reise-Ankündigung verbirgt sich ein gewaltiges Politikum, das Deutschlands Verbündete irritiert und wieder einmal bohrende Fragen am Berliner Kurs gegenüber Russland aufkommen lässt. Schon vor dem Assoziierungs-Debakel mit der Ukraine muss auch Gauck klar gewesen sein, dass Deutschland den Schlüssel zum Umgang der EU, ja des gesamten Westens mit Russland in Händen hält. Selbst die USA überlassen Berlin da die Führung. Ganz Europa schaut auf die Bundesregierung und wartet auf ein Signal, wie es weitergehen soll mit dem schwierigen Herrscher im Kreml.

Wer also nicht zu den Olympischen Spielen reisen mag, der setzt ein politisches Zeichen, zumal Entscheidungen dieser Tragweite in der Regel mit der Bundesregierung, sprich mit Kanzlerin Angela Merkel, abgestimmt sind.

Welche Botschaft aber will Gauck loswerden? Schlägt Deutschland nun einen konfrontativen Ton gegenüber Russland an? Selbst ein Boykottchen ist ja schon eine respektable Waffe im Umgang zwischen Staaten. Erwartet die Bundesregierung Gefolgschaft in der Sotschi-Entscheidung? Die Balten, die Skandinavier, die Polen würden es gerne wissen.

Oder haben Merkel und Gauck lediglich eine Rollenteilung verabredet - sie reist und redet, er drückt aus, was die Kanzlerin in Wahrheit von Putin denkt? Niemand weiß die Antwort auf die Fragen, weil Gauck sich nicht geäußert hat und die Bundesregierung schweigt. Also bleibt nur der Schluss: Der Bundespräsident hat sich verkalkuliert, eine politische Bedeutung ist der Entscheidung nicht beizumessen.

Nach der Episode bleiben deshalb zwei Botschaften hängen. Wer die Sensibilität für die Tragweite der Entscheidung nicht aufbringt, der boxt in der Fliegengewichts-Klasse. So etwas darf einem Bundespräsidenten nicht passieren. Schlimmer aber ist Botschaft Nummer zwei: Die deutsche Russland-Politik ist in einem schlechten Zustand, wenn diese Nicht-Reise solch eine Unruhe auslösen kann. Oder anders formuliert: Es ist höchste Zeit für eine aktive Russland-Strategie, die Putin fordert und bei der man erkennen kann, was die Bundesregierung will. Außenpolitik ist das Stiefkind im Koalitionsvertrag. Höchste Zeit, dass diese Koalition nun zu leben beginnt und die programmatischen Lücken durch Taten schließt.

© SZ vom 11.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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