Sonderparteitag in Berlin:Grünen-Spitze befürchtet Fiasko

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Die Ausgangslage ist skurril, denn im Ziel sind sich alle Grünen einig: Wer von ihnen würde schon eine Abkehr von der Atomkraft ablehnen? Aber statt einfach dem schwarz-gelben Ausstiegsbeschluss zuzustimmen, werden die Delegierten auf dem Sonderparteitag kräftig streiten - und zwar über den Weg. Ein Nein zum Antrag der Parteispitze wäre eine Katastrophe.

Michael Bauchmüller

In der Nacht zum Freitag saß Claudia Roth noch ziemlich lange am Schreibtisch. Sie quälte sich. Eine Rede, um die Grünen zum Atomausstieg zu bewegen - wer hätte gedacht, dass das so schwer sein könnte? Die Parteivorsitzende muss es trotzdem schaffen, an diesem Samstag in einer Berliner Messehalle. Gut 800 Delegierte werden dann zusammenkommen, um auf einem Sonderparteitag über den schwarz-gelben Atomausstieg abzustimmen. Folgen sie Roth und der gesamten Parteispitze, dann kann die Fraktion in der kommenden Woche für die Ausstiegspläne von Union und FDP stimmen. Dann bekommt die Bundeskanzlerin einen denkbar breiten Atomkonsens. Votiert die Partei dagegen, stehen Roth und die gesammelte Grünen-Führung vor einem Desaster.

Die Grünen wollen bei ihrem Sonderparteitag über die Zustimmung zu den Koaltionsplänen zum Atomausstieg abstimmen. (Foto: dapd)

Die Ausgangslage ist skurril, denn im Ziel sind sich alle einig: Welcher Grüne wollte schon eine Abkehr von der Atomkraft ablehnen? Nur über den Weg streiten die Delegierten. Garniert mit einigem Aber empfiehlt die Parteispitze Zustimmung zumindest zum Ausstiegsplan der Koalition. Ein "Schritt in die richtige Richtung" sei das, ein "Wert an sich" der parteiübergreifende Konsens. "Damit wird ein erneutes Aufbrechen der Vereinbarung politisch nahezu unmöglich" - so steht es im Leitantrag des Bundesvorstands, den Roth in ihrer Rede erklären will. Den Rest des Energiewendepakets lehne man ab. Nur geht das vielen in der Partei nicht weit genug; allein 97 Änderungsanträge lagen bis Freitag vor, dazu eine Reihe Alternativanträge, die meist den Atomfahrplan der Koalition ablehnen. Das alles birgt Stoff für Zoff.

Schließlich hatten auch die Grünen unmittelbar nach der Reaktorkatastrophe in Japan Konsequenzen gezogen, sie verlegten ihren eigenen Ausstiegsfahrplan um vier Jahre vor, auf 2017. Nun einem Ausstieg erst 2022 zuzustimmen, erscheint vielen unzumutbar. Andere wollen den Ausstieg wenigstens im Grundgesetz verankert sehen, was selbst die Parteispitze nicht rundweg ablehnt. Und wieder anderen gingen die grünen Zugeständnisse zu früh zu weit, sie fordern weitere Verhandlungen mit der Bundesregierung. "Wenn Schwarz-Gelb einen echten Konsens will, muss die Koalition in Verhandlungen den grünen Forderungen entgegenkommen", sagt der niedersächsische Grünen-Abgeordnete Sven-Christian Kindler. So ließe sich dann auch noch das Endlager Gorleben abräumen, oder die Urananreicherung in Gronau. Und insgesamt müsse der Ausstieg schneller gehen. Ein Ja zum schwarz-gelben Atomausstieg sieht anders aus.

Der Widerstand von außen wird die Sache nicht einfacher machen. Schon für die Morgenstunden lädt die Anti-Atom-Gruppe Ausgestrahlt zur "Aktion vor Beginn des Parteitags", die Mahnwache Gundremmingen hat sich angesagt, die Bäuerliche Notgemeinschaft aus dem Wendland auch. Teile der deutschen Umweltbewegung warnten die Delegierten in einem Appell schon davor, "über das Stöckchen zu springen, das die Regierung hinhält". Doch Roth und ihr Co-Vorsitzender Cem Özdemir sehen das ganz anders. Die Grünen müssten sich "auch am politisch Machbaren und praktisch Umsetzbaren orientieren", beschieden sie den Umweltgruppen jüngst in einem Brief. Schließlich wolle die Atomlobby nur die Grünen spalten. "Gönnen wir ihnen nicht den Triumph, uns selbst zu zerlegen", schrieben Roth und Özdemir.

Der Rückhalt für die Parteispitze ist zumindest unter den Funktionsträgern ziemlich stark. "Dass wir Grüne gegen den Atomausstieg stimmen, geht aus meiner Sicht gar nicht", sagt etwa Eveline Lemke, seit kurzem grüne Wirtschaftsministerin in Rheinland-Pfalz. So gehe es vielen in der Partei. "Im Übrigen sind die Grünen ziemlich erwachsen geworden im Umgang mit Kompromissen."

Erwachsen? Die Grünen? Für Überraschungen ist ein Parteitag immer gut, und ganz besonders bei so einem emotionalen Thema wie der Atomkraft. "Das Thema ist vielen extrem wichtig", sagt Gesine Agena, Sprecherin der Grünen Jugend. "Keine Ahnung, wie das ausgeht." Fieberhaft wirbt die Parteispitze seit Tagen schon für den eigenen Kurs, in Telefonkonferenzen, in Delegiertentreffen. Ein achtseitiges Papier für die Partei wägt Pro und Contra ab, Fazit: "Lasst uns endgültig das Schicksal der Atomenergie besiegeln." Wenn der Antrag durchfalle, dann sei das "eine Mordsklatsche", heißt es in der Grünen-Führung.

Dabei liegt der gefährlichste Sprengstoff wohl eher in jenen Anträgen, die ein Ja im Bundestag an Konditionen knüpfen. Sie kommen im Gewand der Zustimmung daher, sind aber faktisch eine Ablehnung: Chancen, in der nächsten Woche noch flott das Endlagerprojekt Gorleben zu beerdigen, oder den Atomausstieg vielleicht um ein, zwei Jahre vorzuziehen, sind wohl eher theoretischer Natur.

Weswegen die Grünen den Atomausstieg des politischen Gegners nun am liebsten zum Etappensieg ummünzen würden, mehr nicht. "Ein wichtiger Sieg ist nun errungen", heißt es in dem Antrag, den auch die Fraktionsspitze unterstützt, "aber der Kampf geht weiter." Und das womöglich dann auch in der eigenen Partei.

© SZ vom 25.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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