Sommerreise der Grünen-Spitze:Robert Habeck trifft Hermann den Cherusker

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Das Hermannsdenkmal, ein Ort, "an dem man besonders präzise studieren kann, wie sich Geschichte und Mythen zu großen Gefühlen aufladen lassen", sagt Robert Habeck. (Foto: Friso Gentsch/dpa)
  • Die Grünen-Chefs Robert Habeck und Annalena Baerbock reisen in diesem Sommer durchs Land.
  • Unter dem Motto "des Glückes Unterpfand" besuchen sie Institutionen und Orte, die mit Deutschland, mit Nation und mit Demokratie zu tun haben.
  • Sie wollen über die Republik reden - und herausfinden, wie sie positive Energie für ein demokratisches und liberales Europa erzeugen können.

Von Stefan Braun, Bückeburg/Bielefeld

Kein Pomp, keine Fernsehkameras, kein großer Medien-Auftrieb. Stattdessen warten im schmucklosen Konferenzraum des Kommandanten zwanzig Soldaten, die aus ihrem Leben erzählen. Robert Habeck ist in eine Kaserne gekommen. Und der Parteichef der Grünen macht dabei anderthalb Stunden vor allem eines: Zuhören.

Es sind keine schönen Geschichten, die Habeck an diesem Vormittag im Juli erzählt werden. Freundlich im Ton, geht es schnell um die großen Probleme. Es geht um mangelnde Anerkennung und fehlende Strategien der Politik, es geht um marodes Material und schwindendes Personal, es geht um eine fortschreitende Entfremdung von den Zivilisten draußen und um die Hoffnung, dass Politiker irgendwann redlicher mit Soldaten umgehen.

Bückeburg in Niedersachsen, Internationales Hubschrauberausbildungszentrum, hier arbeiten und leben viele Piloten und Techniker, die nicht nur trainieren, sondern auch schon im Kosovo, in Mali oder im afghanischen Mazar al-Sharif waren. Das gilt auch für Oberst Ulrich Ott, den Kommandanten. Hier wird nicht drum rumgeredet, sondern geradeheraus geredet. Zentrale Botschaft: Es ist zurzeit kein Spaß, Soldat zu sein in Deutschland.

Dass der Gast von den Grünen ist, stört Ott bei all dem wenig. Im Gegenteil: "Wir sind froh, wenn überhaupt ein Politiker zuhört, egal welche Partei er vertritt." Wichtig sei allein, dass Politiker kämen, die tatsächlich wissen wollten, was wirklich los ist.

Keine Sensation - aber auch nicht gerade üblich

Das immerhin wird Habeck anschließend bescheinigt. Ein Offizier erklärt nach der Begegnung, er werde nicht gleich grün wählen. Aber "der Vorsitzende" sei in dem Gespräch hinter verschlossenen Türen neugierig, lernbereit und zugewandt aufgetreten. Mehr ist kaum drin, das dürfte Habeck gewusst haben.

Ein Grünen-Chef bei der Bundeswehr - das ist keine Sensation mehr, aber auch nicht gerade üblich. Insbesondere dann, wenn er fast ausschließlich zuhört. Und was Habeck und seine Kollegin Annalena Baerbock in diesem Sommer versuchen, ist erst recht alles andere als alltäglich.

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Beide reisen im Juli und August nicht dorthin, wo es für Grünen-Chefs schön ist. Sie besuchen keine NGOs, die sich um Umweltschutz oder Flüchtlinge kümmern; sie schauen nicht bei Unternehmen vorbei, die den Klimaschutz fördern. Sie schauen sich Institutionen und Orte an, die mit Deutschland, mit Nation, mit Demokratie zu tun haben. Habecks Begründung: "Parteien, die sich nur auf ihre klassischen Milieus konzentrieren, entdecken nicht mehr, was im Land insgesamt los ist."

Damit meinen die beiden von der Grünenspitze vor allem das, was sie als Generalangriff auf das demokratische, liberale, weltoffene Deutschland und Europa ausgemacht haben. Und sie wollen darüber nicht nur mit Freunden sprechen, die ohnehin wie sie selber denken. Sie wollen zu denen gehen, die sich in diesem Kampf alleingelassen fühlen. "Der Nationalismus bedroht uns von außen und von innen", betont Habeck auf seiner Tour immer wieder. Umso wichtiger sei es, "dass die Institutionen und Symbole der Republik nicht von Rechten vereinnahmt werden können".

"Der Nationalismus bedroht uns von außen und von innen"

Über ihre Sommerreise haben Baerbock und Habeck das Motto "des Glückes Unterpfand" geschrieben. Sie erinnern damit bewusst an die dritte Strophe der Nationalhymne. "Einigkeit und Recht und Freiheit sind des Glückes Unterpfand", heißt es dort. Und genau diese republikanischen Grundpfeiler sind es, denen das Duo als Antwort auf die antiliberale und antieuropäische Rhetorik der Rechten neues, größeres Gewicht verleihen möchte.

Deshalb Habecks Besuch und großes Ohr für die Soldaten. Und deshalb später seine Weiterreise zum Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald. Das mächtige Monument aus dem 19. Jahrhundert erinnert an den Sieg des Cheruskers Arminius, der einst die germanischen Stämme einte und die römischen Heere besiegte.

Bei der Grundsteinlegung 1841 galt es zumindest teilweise als Symbol der Freiheit und des Sieges gegen Unterdrücker; bald aber wurde es mit seinen antifranzösischen Inschriften und seiner martialischen Bildsprache zu einem Wallfahrtsort rechter und rechtsextremer Gruppierungen.

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In der Weimarer Republik tobte hier schließlich ein besonderer Kampf zwischen rechtsextremen Gruppierungen und linken Parteien, die sich die Lesart des knapp 54 Meter hohen Denkmals streitig machten. Erst in den vergangenen Jahrzehnten verlor es viel von dieser Aufladung. Für Habeck bleibt es freilich ein Ort, "an dem man besonders präzise studieren kann, wie sich Geschichte und Mythen zu großen Gefühlen aufladen lassen".

Und so sitzt der Grünen-Chef an einem Juli-Tag 2018 im Gras vor dem Denkmal im Südwesten von Detmold und diskutiert mit Kunsthistorikern, örtlichen Grünen und Besuchern über die Frage, wie viel emotionale Aufladung demokratische Politik und Parteien heute brauchen, da sie durch negative und nationalistische Stimmungen und Parteien massiv herausgefordert und in Frage gestellt werden.

Deutschland: hypernervös und gereizt

Das Resümee der Historiker fällt recht eindeutig aus: "Ratio reicht nicht. Emotion ist nötig." Ein Blick auf die Geschichte würde das belegen. Nachkriegsdeutschland habe sich zwar jahrzehntelang über das Lernen und den Verstand sehr gut und befriedend organisiert. Aber in der Selbstverständlichkeit der Demokratie sei keine Leidenschaft, sondern emotional ein zunehmend "luftleerer Raum" entstanden.

Und wie ist die Lage heute? Für den Grünen-Chef ist sie bedrückend. "Deutschland ist hypernervös und gereizt", so Habeck. "Im besten Fall ist es auf der Suche nach seinem Gemeinsinn; im schlechtesten Fall ist es längst gespalten." Die Regierung aber schaffe es nicht, die Lage zu befrieden. Mit ihrem Streit heize vor allem die Union die ohnehin vorhandene Spannung noch mehr an. Deshalb seien es vor allem die Grünen, die im Streit um Deutschland und Europa, um Weltoffenheit oder Nationalismus zur "stabilisierenden Mitte" werden müssten.

Keine einfache Kost ist das, nicht für Habeck und Baerbock und noch viel weniger für ihre Grünen. Zu intellektuell klingt es manchen, zu abgehoben anderen, zu wenig grün kritischen Dritten. Ob es alle Grünen also mitmachen werden, ist noch lange nicht sicher.

Das Duo an der Parteispitze will sich von seinem Fokus trotzdem nicht abbringen lassen. Als Habeck am Abend vor gut 200 Grünen und Interessierten in Bielefeld gefragt wird, warum er sich nicht auf urgrüne Ziele wie Klima-, Umwelt- und Flüchtlingsschutz konzentriere, antwortet er, dass es jetzt um viel mehr gehe, nämlich um die Zukunft Europas. Der Kampf, der jetzt ausgefochten werde, sei der Kampf zwischen Nationalismus und Europa und also ein Kampf "zwischen liberaler Demokratie und autoritärer Wutpolitik".

Mit anderen Worten: Sollte dieser Kampf verloren gehen, könne man auch alle ökologischen Hoffnungen vergessen. Bei Habeck klingt das so leidenschaftlich wie unmissverständlich. Und ist beim Publikum auch genau so ankommen.

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