Die schlechte Nachricht erreichte den deutschen Außenminister in Rom. Zusammen mit Bundespräsident Richard von Weizsäcker weilte Hans-Dietrich Genscher am 24. Juni 1991 zu einem Besuch in Italien, als ihm mitgeteilt wurde, die Parlamente Kroatiens und Sloweniens seien für den Abend zusammengerufen worden, um über die Unabhängigkeit ihrer Länder zu entscheiden. In seinen "Erinnerungen" schildert Genscher jene Stunden in der Villa Madama, dem Gästehaus der Regierung in Rom mit dem "herrlichen Blick über die Stadt". Politisch war es ein Blick in den Abgrund. Zusammen mit seinem italienischen Kollegen Gianni De Michelis rief Genscher den jugoslawischen Außenminister Budimir Loncar an, "um ihn aufzufordern, alles in seiner Macht Stehende zu tun, damit ein militärisches Eingreifen vermieden werden konnte".
Erfolglos, wie sich schon bald herausstellen sollte. Es folgten der slowenische Zehn-Tage-Krieg und die lange Reihe der Kriege um die Unabhängigkeit Kroatiens, Bosniens sowie schließlich des Kosovo. Jahre später sollte der Serbe Slobodan Milosevic vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag Genscher als "Hauptkriminellen bei der Zerstörung Jugoslawiens" beschimpfen. Mit dem Vorwurf, Genscher und die damalige Bundesregierung trügen eine Mitschuld am Zerfall Jugoslawiens und somit an den Balkan-Kriegen, stand der einstige Belgrader Machthaber keineswegs allein. "Niemand wagt es auf politischer Seite, die Bundesrepublik damals unter Kohl und Genscher mitverantwortlich zu machen. Obwohl sie ohne jeden Grund und voreilig Slowenien und Kroatien anerkannt hat", klagte etwa der Schriftsteller Günter Grass.
Die angeblich verfrühte Anerkennung der beiden Staaten wird oft als Makel in der politischen Biographie des Langzeit-Außenministers Genscher aufgeführt. Dass ihm damals ein schwerer Fehler unterlaufen sei, wird vielfach als historische Tatsache hingestellt. "Die vom damaligen deutschen Außenminister Genscher durchgesetzte völkerrechtliche Anerkennung von Slowenien und Kroatien hat die derzeitige Balkankrise nicht behoben, sondern verschärft, insofern sie der historisch überholten und durch die Geschichte des 20. Jahrhunderts kompromittierten Idee des Selbstbestimmungsrechts neuen Auftrieb gab", war 1999 auch im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung zu lesen.
Die zeitlichen Abläufe lassen diese Version wenigstens zweifelhaft erscheinen. Zumindest bis zum Juni 1991 hatte Genscher sehr wohl auf einen Erhalt Jugoslawiens gesetzt, dessen Rolle als blockfreier Staat er während des Kalten Krieges zu schätzen wusste. Der Umschwung kam Anfang Juli. Genscher reiste als Vorsitzender des Ministerrates der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) nach Belgrad und wollte von dort in die slowenische Hauptstadt Ljubljana weiterfliegen. Über der Stadt vollführte die jugoslawische Armee allerdings Tiefflüge. "Ganz offensichtlich sollte versucht werden, den Vorsitzenden des KSZE-Ministerrates zu hindern, das bedrängte Slowenien zu besuchen", schrieb Genscher in seinen "Erinnerungen". Mit seinen slowenischen Gesprächspartnern traf sich Genscher daraufhin in Klagenfurt.
Nach Bonn kehrte er in der Gewissheit zurück, "dass die Führung der Jugoslawischen Volksarmee und die hinter ihr stehenden politischen Kräfte ihre Ziele unter Ausnutzung aller Mittel durchsetzen wollten". Die folgenden Monate wurden geprägt vom Kroatien-Krieg und von einer unerwarteten Erfahrung des wiedervereinigten Deutschland. In der Jugoslawien-Krise brachen alte Ressentiments auf. Weil die Bundesregierung sich zunehmend für eine Anerkennung Sloweniens und Kroatiens stark machte, wurde Deutschland auch von Verbündeten unterstellt, aus alter historischer Verbundenheit Partei für Kroatien gegen Serbien zu ergreifen.
Zwar führte der Versuch, zu einer einheitlichen europäischen Haltung zu finden, bei einem Außenministertreffen am 16.Dezember zum Beschluss, Slowenien und Kroatien unter gewissen Bedingungen später anzuerkennen. Bereits am 19.Dezember aber beschloss das Bundeskabinett, eben dies zu tun. International löste der Alleingang Empörung aus, wenngleich Genscher behauptete, die Partner seien informiert gewesen und hätten keinen Widerspruch erhoben.
Bis heute hält Genscher den Vorwurf, der deutsche Vorstoß habe die Lage verschärft, für grundfalsch. Der Zeit sagte er kürzlich: "Es war umgekehrt. Die Anerkennung von Slowenien und Kroatien brachte Slobodan Milosevic dazu, den Krieg gegen diese beiden Staaten zu beenden. Ist das nichts?"