Regierungskrise:Das slowakische Drama endet - vorläufig

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Präsidentin Zuzana Čaputová hat in den vergangenen Jahren viele Minister kommen und gehen sehen. Nun nahm sie das Rücktrittsgesuch von Premier Eduard Heger (l.) an. (Foto: Radovan Stoklasa/Reuters)

Er wollte Korruption und verbrecherische Strukturen im Staat beseitigen, jetzt tritt Premier Eduard Heger zurück. Die Slowakei bekommt eine Expertenregierung. Doch es droht der Aufstieg der prorussischen Opposition.

Von Viktoria Großmann, Warschau

Premierminister Eduard Heger ist zurückgetreten, die Slowakei bekommt eine Expertenregierung. Am 30. September soll neu gewählt werden. Damit hat das Drama um die Regierung, die seit März 2020 im Amt ist, ein vorläufiges Ende gefunden. Es war ein Drama in vielen Akten, ein Kontrollverlust in mehreren Schritten, den Beobachter bereits seit Antritt der populistisch-liberalen Regierung zu Beginn der Corona-Krise befürchtet hatten.

Dabei sollte diese Regierung eine Erneuerung bringen, eine Abkehr von Korruption und verbrecherischen Strukturen. Der vorherige, langjährige Premier Robert Fico mit seiner Partei Smer-SD hatte ein Netz aufgebaut, das Unternehmen, Polizei, Verwaltung und Justiz verband, die EU-Kommission attestierte einen "captured state", einen Staat in Geiselhaft. Der Auftragsmord an dem jungen Journalisten Ján Kuciak, bei dem auch dessen zufällig anwesende Verlobte erschossen wurde, machte im Februar 2018 schlagartig deutlich, wie viel in dem 5,4-Millionen-Einwohner-Land schieflief. Es folgten Massendemonstrationen gegen die Regierung, der Rücktritt Ficos, im Frühjahr 2019 die Wahl der Bürgerrechtlerin Zuzana Čaputová zur Präsidentin und schließlich 2020 eine Wahlniederlage von Ficos Smer-SD.

Doch nun steht die Smer-SD vor einem erneuten Wahlsieg, derzeit führt sie alle Umfragen mit etwa 18 Prozent Zustimmung an. Dabei hat Fico aus seiner Partei, die noch immer die Sozialdemokratie im Namen trägt, zuerst eine Corona-Leugner-Partei und nun eine prorussische Putin-Fan-Vereinigung gemacht. In der Slowakei, wo Desinformation besonders weit verbreitet ist und russische Trolle seit Jahren erfolgreich soziale Netzwerke unterwandern, funktioniert das gut. Hinzu kommt die Politikverdrossenheit, die auch die nun endgültig zurückgetretene Regierung mit zu verantworten hat.

Robert Fico hat schon angekündigt, gegen alle vorzugehen, die in den vergangenen Jahren gegen ihn ermittelten oder über seine Machenschaften berichteten, sollte er wieder Premier werden. (Foto: Vladimir Simicek/AFP)

Dabei hat diese Regierung etwas vorzuweisen. In ihrer Amtszeit gingen Polizei und Justiz massiv gegen organisierte Kriminalität und korrupte Netzwerke vor, auch gegen Ex-Premier Fico und einen früheren Innenminister wurden wegen Gründung krimineller Banden offiziell Ermittlungen eingeleitet. In der Corona-Krise versuchte die Regierung die Bevölkerung durch Massentests und eine breite Impfkampagne zu schützen, was nur teilweise gelang. Mit dem Angriff Russlands auf das Nachbarland Ukraine stellte sich die Regierung klar auf die Seite der Ukraine, nahm Flüchtlinge auf, unterstützte mit Waffen.

"Es wird eine Regierung aus Leuten sein, für die Regieren nicht Wahlkampf bedeutet."

Doch in der Innenpolitik dominierte ständiger Streit. Angetreten als Viererkoalition, verließ eine der Parteien vergangenen Herbst im Streit um den Haushalt die Regierung. Heger blieb mit einer Minderheitsregierung zurück, verlor im Dezember eine Vertrauensabstimmung und war seither nur geschäftsführend im Amt. Seitdem waren insgesamt vier Minister zurückgetreten.

Eduard Heger war seit 2021 Premier. Er hatte Igor Matovič abgelöst, der die Wahl mit seiner populistischen Partei OĽaNO, kurz für "Gewöhnliche Leute und unabhängige Persönlichkeiten", gewonnen hatte. Matovič schien mit seinen ständigen Alleingängen, seinen Provokationen und Beschimpfungen aller anderen Politiker jegliches Vertrauen verspielt zu haben. Nun kommt seine Partei in Umfragen immerhin über die Fünf-Prozent-Hürde. Heger war Anfang des Jahres aus der OĽaNO ausgetreten und hatte eine eigene Partei gegründet, Demokrati, mit der er laut aktueller Umfragen den Einzug ins Parlament nicht schaffen würde.

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Mit der Expertenregierung soll etwas Ruhe einziehen, idealerweise schafft es das Kabinett, einen Haushaltsplan aufzustellen und der neuen Regierung im Herbst geordnete Verhältnisse zu hinterlassen. Dafür hätte Präsidentin Zuzana Čaputová wohl den geeigneten Premier ausgesucht. Denn anführen soll die neue Regierung der bisherige stellvertretende Direktor der Nationalbank NBS, Ľudovít Ódor. Der Hälfte der Slowaken unbekannt, wie die Tageszeitung Denník N bereits erfragte.

"Es wird eine Regierung aus Leuten sein, für die Regieren nicht Wahlkampf bedeutet", sagte Čaputová. Für sie steht eventuell bald selbst ein Wahlkampf an, es wird erwartet, dass sie sich in diesen Tagen über ihre Kandidatur zu einer zweiten Amtszeit äußern wird. Die Wahl soll im Frühjahr 2024 sein.

Die 49-Jährige hatte in den vergangenen Jahren viel in Regierungsangelegenheiten vermitteln müssen und wurde selbst heftig angegriffen, vor allem von Fico und aus dem rechtspopulistischen Spektrum. Im liberalen Milieu werden weiterhin große Hoffnungen in sie gesetzt. Die Slowakei brauche Čaputová, sagte der Chefredakteur von Denník N dem tschechischen Magazin Respekt. Sie sei, so Matúš Kostolný, "der Fackelschein in der Dunkelheit und dem Sturm, die uns erwarten".

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