Singapur:Denkzettel für den Sieger

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Premier Lee Hsien Loong vor einem Wahllokal in Singapur. Er räumte hinterher ein, es sei keine „Wohlfühlwahl“ für die PAP gewesen. (Foto: Edgar Su/reuters)

Die erfolgs­verwöhnte Regierungspartei erhält von den Wählern einen Dämpfer.

Von Arne Perras, Singapur

Die People's Action Party (PAP) in Singapur hat bei den Wahlen erneut einen Sieg eingefahren. Sie ist daran schon gewöhnt, schließlich führt sie den Stadtstaat seit 1959, so lange regiert keine andere Partei der Welt in einem Staat, der seine Bürger regelmäßig zu Wahlen aufruft. Und doch kam in der PAP kein rechter Jubel auf, als das Ergebnis am frühen Samstagmorgen bekannt wurde. Es war keine "Wohlfühlwahl" für die erfolgsverwöhnte PAP, wie es Premier Lee Hsien Loong formulierte.

Lee hatte die Bürger um ein "starkes Mandat" gebeten, damit die von ihm geführte Regierung die Finanzmetropole mit ihren 5,7 Millionen Einwohnern durch die Corona-Krise steuern und die Wirtschaft erneut ankurbeln könne. Der Wahltermin am 10. Juli war mit Bedacht gewählt, kurz zuvor hatte der Staat einen partiellen Lockdown - "Circuit Breaker" genannt - gelockert, und dann rasch eine Abstimmung organisiert. Der Wahlkampf dauerte nur neun Tage, Versammlungen gab es nicht, die Parteien warben bei Rundgängen von Haustür zu Haustür und über die sozialen Medien. Allgemein war damit gerechnet worden, dass das Timing - mitten in der Corona-Krise - jenen in die Hände spielen würde, die das Ruder in der Hand halten. Aber dann verlor die PAP doch acht Prozentpunkte gegenüber der Wahl 2015, sie rutschte von fast 70 Prozent der Stimmen auf 61,2 Prozent. "Respektabel" nannte das Lee, Sohn des Staatsgründers Lee Kuan Yew. Doch die Ernüchterung angesichts der deutlichen Verluste war ihm anzumerken.

Die oppositionelle Workers' Party (WP) errang zehn von 93 Sitzen, mehr als je zuvor. Nach Ansicht des Politologen Garry Rodan von der University of Queensland in Australien ist die Entscheidung der Regierung, frühe Wahlen in Corona-Zeiten anzusetzen, "dramatisch nach hinten losgegangen". Auch zeige sich die PAP heute "weniger dynamisch und einfallsreich, als sie es früher mal war". Rodan hält die Partei inzwischen für "besser gerüstet, zu bewahren als zu verändern", wie er auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung schrieb.

Der Zulauf, den die Opposition erfuhr, spiegelt einen Grad von Unzufriedenheit in der Bevölkerung wider, den die Regierenden nicht gewöhnt sind. Wählen ist in Singapur Pflicht, der Staat folgt dem Westminster-System, dessen Mehrheitswahlrecht eine Dominanz der starken Kräfte begünstigt. Doch der Schub für die Opposition sende "klare Botschaften" aus, erklärte Innenminister Kasiviswanathan Shanmugam, nun sei es an der Zeit für die PAP, "die Seele zu durchforsten" und zu reflektieren, wo die Ursachen für die Verluste liegen.

Unzufriedenheit gibt es über den Zuzug von Ausländern, vor allem aus China und Indien

Singapurs Bürger schrecken häufig davor zurück, offen über ihre politischen Vorstellungen zu sprechen, aus Angst vor Nachteilen, die ihnen dadurch erwachsen könnten. Der Staat setzt Debatten enge Grenzen, die Meinungsfreiheit ist eingeschränkt, allzu forsche Kritiker müssen mit Verleumdungsklagen rechnen. Wer sich aber umhörte unter Sympathisanten der Opposition, bekam zuletzt oft zu hören, dass die Regierung überheblich agiere, dass sie die Bodenhaftung teils verloren und viele Fehler gemacht habe. Der Zuwachs für die Opposition gilt in diesem Sinne als ein Denkzettel für die PAP.

Unzufriedenheit gibt es etwa über den Zuzug ausländischer Arbeitskräfte, vor allem aus China und Indien. Viele Singapurer klagen, dass dies ihre Jobmöglichkeiten einschränkt, weil die Kräfte von außen billiger sind. Auch gibt es Unmut darüber, wie die Regierung Auszahlungen aus der verpflichtenden Pensionskasse regelt, in die Singapurer für ihre Alters- und Krankenversorgung einzahlen. Manche klagen, sie kämen zu spät an ihr Erspartes, sie hätten gerne mehr Freiheiten, wann und wie sie das Geld einsetzen können.

Nicht zuletzt schürte wohl auch das Krisenmanagement während der Corona-Pandemie Zweifel innerhalb der Bevölkerung. Zwar galt Singapur anfangs als globales Vorbild, weil es so schnell und effizient agierte, um Kontakte von Infizierten nachzuverfolgen. Und auch die medizinische Versorgung gilt als exzellent, die Zahl der Todesfälle ist vergleichsweise gering geblieben. Doch kletterten die Infektionszahlen später steil nach oben, weil es nicht gelungen war, das Virus frühzeitig in den engen Unterkünften der Gastarbeiter einzudämmen. Seither fragen sich Singapurer, was womöglich versäumt wurde. Mit mehr als 45 000 Fällen hat Singapur pro Kopf inzwischen eine der höchsten Infektionsraten in Asien.

Im Wahlergebnis zeichnen sich Veränderungen ab, die auch Fragen für die künftige Führung der PAP aufwerfen dürften. Der designierte Nachfolger von Premier Lee, Finanzminister Heng Swee Keat, hat seinen Sitz nur mit knapper Mehrheit gewonnen, in einem Wahlkreis, in dem die Opposition allerdings als stark galt. Es muss sich erst noch zeigen, ob das Ergebnis Heng als Schwäche ausgelegt wird. PAP-Kandidaten in anderen Wahlkreisen fuhren jedenfalls mehr Zustimmung ein. Eine offene Debatte darüber gibt es nicht.

Doch Lee klang unmittelbar nach der Wahl nicht so, als werde er sein Amt demnächst übergeben wollen. Ursprünglich wurde damit vor seinem 70. Geburtstag im Februar 2022 gerechnet, doch nach der Wahl erklärte Lee, er werde das Mandat nutzen, um Singapur verantwortungsvoll durch die Covid-Krise zu steuern - "und darüber hinaus".

© SZ vom 14.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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