Sigmar Gabriel:Gabriel: "Das geht immer so einen Kilometer über die normalen Leute hinweg"

Lesezeit: 3 min

Der SPD-Chef stellt sich Fragen normaler Bürger. Ob Flüchtlingspolitik, TTIP oder Waffenexporte: Er setzt auf Pointen. Auch wenn er keine Ahnung hat.

Von Christoph Hickmann, Berlin

Eigentlich dürfte Sigmar Gabriel sich auf diese Pressekonferenz gefreut haben. Warum? Weil ihm an diesem Sonntagmittag ausnahmsweise mal nicht die aus seiner Sicht recht anstrengenden Hauptstadtjournalisten gegenübersitzen, sondern, wie man so sagt, ganz normale Bürger.

Die Bundesregierung hat zum Tag der offenen Tür geladen, die Bundespressekonferenz macht mit, weshalb jetzt jeder hier im voll besetzten Saal den SPD-Vorsitzenden, Vizekanzler und Wirtschaftsminister mal fragen darf, was er will. Aber schon der erste Fragesteller, ein Herr aus Berlin, leitet seine Frage so ein, wie Gabriel das von der Hauptstadtpresse gewohnt ist.

Die SPD "juckelt seit Jahren bei 22 Prozent", so beginnt der Herr, um dann von Hartz IV bis zur Steuerpolitik Gründe für die Misere der Sozialdemokratie aufzuzählen. So etwas kann bei Gabriel ziemlich schiefgehen - wenn er einen schlechten Tag hat, neigt er dazu, solche Fragesteller verbal zu filetieren. Doch an diesem Sonntag hat er offensichtlich einen guten Tag. All das sei "ein bisschen zu kurz gegriffen", sagt er, um dann zu einer ausgewogenen Antwort anzusetzen, in deren Verlauf er dem Fragesteller sogar "in Teilen" recht gibt. Der nickt am Ende immerhin kurz.

1 / 4
(Foto: Rainer Jensen/dpa)

"Komm, wir gehen Merkel gucken": Beim Tag der offenen Tür der Bundesregierung konnten sich Bürger am Wochenende einen Händedruck der Kanzlerin abholen.

2 / 4
(Foto: Paul Zinken/dpa)

Auch ein Spaziergang vor ihrem Büro war erlaubt, für Besucher wurde sogar ein roter Teppich ausgerollt.

3 / 4
(Foto: Paul Zinken/dpa)

Linsen erlaubt: Neben den Gebäuden durften Interessierte sich im Innern von Merkels Dienstwagen umschauen - zumindest durch die Scheiben.

4 / 4
(Foto: dpa)

Auch der BND öffnete seine Pforten - ein bisschen.

An guten Tagen ist dies hier eine von Gabriels Paradedisziplinen: das direkte Gespräch mit den Bürgern, ohne auf die Vermittlung durch jene Medienvertreter angewiesen zu sein, von denen er sich so gern missverstanden fühlt. Gabriel überzeugt in solchen Gesprächen zuweilen auch Menschen, die ihm bis dato skeptisch gegenüberstanden. Zu seinen Methoden gehört es dabei allerdings, sich regelmäßig ein Stück vom Politikbetrieb abzusetzen und so zu tun, als hätte er damit nichts zu schaffen. Das ist auch diesmal nicht anders.

Die Pressekonferenz läuft gerade seit einer knappen halben Stunde, es geht um die Flüchtlingspolitik - vor allem um Gabriels Kritik daran, dass man nicht genug für die Integration von Flüchtlingen tue und die Sorgen der Bevölkerung nicht ernst genug nehme. Da sagt er: "Berlin hat so 'n Radar, das geht immer so einen Kilometer über die normalen Leute hinweg." Kurzes Auflachen im Publikum.

Andererseits ist es beileibe nicht so, dass Gabriel hier nur die billigen Punkte machen würde. Ein junger Mann etwa spricht ihn auf das Thema Waffenexporte an, für das Gabriel als Wirtschaftsminister zuständig ist - und fragt bewusst provozierend, ob auch Gabriel der Meinung sei, dass solche Exporte den Weltfrieden sicherten. Gabriel könnte jetzt sagen, dass er für manche Genehmigungen gar nicht verantwortlich sei, weil die Vorgängerregierung hier bereits die entscheidenden Pflöcke eingeschlagen habe.

Vizekanzler
:Gabriel verteidigt "Stinkefinger"-Geste gegenüber Neonazis

SPD-Chef Gabriel steht im ZDF-Sommerinterview zu seiner eindeutigen Geste gegen pöbelnde Neonazis. Er bereue bloß eines.

Stattdessen senkt er die Stimme und reflektiert beinahe leise über Sinn und Zulässigkeit von Waffenlieferungen. "Sie können sich schuldig machen, indem Sie Waffen liefern. Und Sie können sich schuldig machen, auch wenn Sie keine Waffen liefern."

Was sei denn etwa mit Ägypten - solle man dem Regime jegliche Rüstungsgüter verweigern, oder solle man es dabei unterstützen, die Sinai-Halbinsel gegen Terroristen zu sichern? Den jungen Fragesteller überzeugt er damit offenbar nicht. Gabriel sagt: "Ich finde, man darf es sich nicht einfach machen."

Aber es gibt auch angenehmere Themen - etwa den Freihandel, für den er ebenfalls zuständig ist und der ihm gerade in seiner Partei so viel Ärger macht. Zum weithin unbeliebten europäisch-amerikanischen Abkommen TTIP aber hat Gabriel mittlerweile eine klare Aussage parat, die ihm auch hier im Saal viele Sympathien einbringen dürfte: "Nach meinem Verständnis sind die Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten praktisch gescheitert", sagt er. Das ebenfalls unbeliebte europäisch-kanadische Freihandelsabkommen Ceta hingegen nennt er einen "Quantensprung", verglichen mit all den "schlechten Abkommen", die es bislang gegeben habe.

Für Gabriel, der sich über mangelnden Gegenwind nie beklagen kann, ist das hier ein Durchmarsch. Das steht spätestens fest, als sich eine Frau, die nach eigener Aussage seit 22 Jahren bei Kaiser's Tengelmann arbeitet, bei ihm bedankt - für seine Erlaubnis zur Fusion der Supermarktkette mit Edeka. Was anderswo juristisch umstritten ist, dafür wird er hier gefeiert.

Die stärkste Pointe setzt er allerdings, als ihm ein Herr eine äußerst komplizierte Frage zur Bundesnetzagentur und zu Flughafengebühren stellt. Da sagt Gabriel: "Keine Ahnung." Und: "Den Politiker, der Ihnen auf jede Frage 'ne Antwort geben kann, den würd' ich schon mal nicht wählen." Applaus, Gelächter. So mag er das.

© SZ vom 29.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: