Serie "Deutscher Herbst":Schusswechsel in Den Haag - die Entführer werden nervös

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Möglicherweise an der Schießerei in Den Haag beteiligt: Knut Folkerts. (Foto: picture-alliance/ dpa)

Vor 40 Jahren: Die Schlinge um die RAF-Terroristen zieht sich enger. Die Schleyer-Entführer wissen: Es kann nur noch Tage dauern, bis ihr Versteck auffliegt.

Von Robert Probst

Tag 14: Sonntag, 18.9. "Wie eine heiße Kartoffel"

Rundfunk- und Fernsehjournalisten diskutieren in der ARD mit Regierungssprecher Klaus Bölling über die "Nachrichtensperre". Seit zwei Wochen sollen die Medien nur mit "größter Behutsamkeit" - also ohne Details - über die Entführung berichten, um die Arbeit der Ermittler nicht zu beeinträchtigen. Bislang zeigen die meisten Redakteure großes Verständnis für ihre "Pflichten" in Notzeiten, keiner will den Terroristen die Medienplattform geben, die diese sich so sehr wünschen. Von Zensur redet niemand. Doch mehren sich kritische Stimmen, die vor Missbrauch dieser rechtlich nicht geregelten Maßnahme durch die Behörden warnen. Wer kontrolliert die Motive der Regierung, wer die Notwendigkeit, Nachrichten zu unterdrücken, fragt der Hörfunk-Korrespondent Ulrich Blank.

Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Heinrich Windelen, prophezeit: Solange in Redaktionen, Funkhäusern und Schulen "von Männern der Kirchen und Politik, der Gewerkschaften und des Geisteslebens der klassenkämpferische Haß auf diesen Staat und alle die ihn stützen, gepredigt wird, solange wird immer neue Gewalt nachwachsen."

In einem Kommentar der Neuen Zürcher Zeitung heißt es: "Eine große Alibi- Übung mit zugehöriger Legendenbildung ist im Gang. Linke lassen die Terroristen fallen wie eine heiße Kartoffel; sie hätten mit diesen Menschen nichts zu tun und nie etwas zu tun gehabt. Herbert Marcuse leugnet jegliche Vaterschaft. Rudi Dutschke verwahrt sich dagegen, daß die ,emanzipativ orientierte Intelligenz in die Mitgliedschaft oder den Sympathiesantenkreis des individuellen Terrors' eingeordnet werde." In der Zeit hatten der Philosoph Marcuse und der frühere Studentenführer Dutschke ebenso wie der Schriftsteller Heinrich Böll den Anschlag von Köln verurteilt.

Tag 15: Montag, 19.9. Schießerei in Den Haag

Die dritte Woche der Verschleppung Schleyers bricht an. Die Entführer werden immer nervöser. Sie rufen die jüngste Mitteilung des BKA beim Schweizer Kontaktmann Denis Payot ab. Auf die Frage, ob die Terroristen denn eine Nachricht zu übermitteln hätten, erhält er zur Antwort: "Wir haben nur mitzuteilen, daß wir nicht noch weitere 14 Tage verhandeln werden. Das nur zur Information . . ."

In Den Haag, wo die RAF den Arbeitgeberpräsidenten seit dem 16. September in einem Stadthaus versteckt hält, kommt es zu einem Zwischenfall. Die Terroristen greifen für ihre Aktionen oft auf Mietautos zurück, die sie unter falschem Namen leihen. Als das RAF-Mitglied Angelika Speitel unter falschem Namen bei einer Firma telefonisch um die Verlängerung eines Vertrags für einen Ford Granada nachsucht, wird der Vermieter misstrauisch und lässt die Polizei deren Angaben prüfen - der Ausweis ist gefälscht.

Gegen 20.45 Uhr erscheint Speitel in der "Trompgarage Autoverhuur", der Inhaber hält sie hin und verständigt die Polizei. Speitel rennt sofort davon, als ein Streifenwagen vorfährt. Der 21 Jahre alte Polizist Randy Siersema nimmt die Verfolgung auf und packt sie an der Schulter. Ein unbekannter Komplize jedoch befreit Speitel kaltblütig und mit brutaler Gewalt. Mit zwei Pistolenschüssen aus kurzer Distanz streckt er Siersema nieder, der erleidet schwere Verletzungen an Schulter und Leiste. Den Terroristen gelingt die Flucht.

Der Schütze könnte das RAF-Mitglied Knut Folkerts gewesen sein. Kurz vor der Schießerei sitzt er in einer Bar. Er bittet den Kellner auf seine Tasche aufzupassen, er müsse kurz etwas erledigen. Er kommt nicht zurück. Als der Kellner von der Schießerei hört, verständigt er die Polizei. In der Tasche finden die Beamten ein Tonbandgerät, mehrere Tonbänder, ein Mikrophon, Schreibmaschinenpapier und Briefumschläge - alles mit deutschen Herstellerbezeichnungen.

Keine drei Kilometer entfernt geraten die Entführer in der Stevinstraat 266 in Panik. Sie wissen: Die Hinweise dürften ausreichen, um in kurzer Zeit auf Schleyers Versteck zu stoßen. Noch in der Nacht wird der Arbeitgeberpräsident in den Kofferraum eines Autos gezerrt, wieder in den Korb, in dem er schon in die Niederlande transportiert worden war.

Das Innenministerium in Stuttgart gibt bekannt, dass zwei der Bewacher Schleyers bei dem Überfall am 5. September zurückgeschossen hatten. Polizeimeister Helmut Ulmer schoss achtmal aus seiner Maschinenpistole, Polizeimeister Roland Pieler dreimal aus seiner Pistole. (Getroffen hatten sie keinen der Terroristen.) Die Behörde reagiert damit auf einen Bericht des Stern, wonach die Personenschützer ihre Maschinenpistolen im Kofferraum mitgeführt hätten. Auch den Vorwurf, die Polizisten seien schlecht ausgebildet gewesen, weist das Ministerium zurück.

Die Serie erschien in einer ersten Version 2007 - und wurde für die Neuveröffentlichung leicht überarbeitet und erweitert. Die Rechtschreibung in Zitaten entspricht der Schreibweise der damaligen Zeit.

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Serie "Deutscher Herbst"
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