Serbien:Kontrolle nach der Kontrolle

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Die serbische Regierung muss ihre Medien veräußern, das ist Vorbedingung der EU: 235 Euro werden für ein Infozentrum aufgerufen, gleich sieben Millionen für eine Tageszeitung.

Von Florian Hassel, Warschau

235 Euro für das Infozentrum der Gemeinde Novi Kneževac? 85 000 Euro für das Lokalfernsehen des Städtchens Kragujevac? Oder doch lieber eines der großen Medien - 761 000 Euro kostet die Belgrader Nachrichtenagentur Tanjug oder die Tageszeitung Dnevnik in Novi Sad, für mindestens 7,3 Millionen Euro? Gleich 50 Medien bietet die serbische Regierung seit dem 30. Juni zur Versteigerung an - und will danach mindestens die oben angegebenen Startpreise in der Staatskasse sehen.

Der Rückzug des Staates aus den Medien ist eine Vorbedingung der EU, bevor sie mit dem EU-Kandidaten Serbien Beitrittsgespräche beginnt - auch über Pressefreiheit. Die ist in Serbien und anderen Balkanländern gefährdet. Und obwohl Serbiens Kultur- und Informationsminister Ivan Tasovac die nun begonnene Versteigerung zum Beginn neuer Pressefreiheit erklärte, ist zweifelhaft, dass es so kommen wird.

Missliebige Publikationen müssen mit dem Entzug von Anzeigen rechnen

Das liegt nicht nur daran, dass Belgrad die wichtigsten Medien behält: etwa den Fernseh- und Radiosender RTS und die Tageszeitung Politika, einst einflussreichste Zeitung des Balkan und Sprachrohr der jeweiligen Regierung in Belgrad. Dazu kommen staatliche Anteile an einflussreichen Boulevardzeitungen ( I nformer, Novosti), die oft für Kampagnen gegen Regierungsgegner eingesetzt werden. Zudem werden Einfluss und Zensur in Serbien auch über Zuschüsse und Werbegeld ausgeübt. Die Wirtschaft kränkelt, Anzeigen sind ebenso rar wie treu zahlende Fernsehkunden. Der Fernsehsender RTS etwa sollte sich eigentlich, wie in Deutschland, durch den Gebührenzahler finanzieren. Doch weil nicht einmal ein Drittel der Zuschauer die Gebühr von umgerechnet fünf Euro auch zahlte, musste RTS schon 2013 wieder um Geld aus dem Haushalt nachsuchen.

Schon die bis 2012 in Belgrad regierenden Demokraten schufen Werbeagenturen, die Gefolgsleuten gehörten - und drohten Medien, die nicht in ihrem Sinne berichteten, mit dem Entzug von Anzeigen. Die Serbische Fortschrittspartei des heutigen Ministerpräsidenten Aleksandar Vucic übernahm dieses Mittel, berichtete 2014 das Reporter-Netzwerk Balkan Investigative Reporting Network (Birn).

Derlei Abhängigkeiten lassen Serbiens Journalistenunion Sinos befürchten dass auch nach einem nominellen Verkauf von Staatsmedien "alles unter ihrer (der Regierung) Kontrolle sein wird".

Der unangefochten regierende Ministerpräsident Vučić diente einst dem Autokraten Slobodan Milošević als Informationsminister - und führte ein Strafgeld für unbotmäßige Journalisten ein. Davon kann der neue Direktor des Staatsfernsehens RTS, Dragan Bujošević, ein Lied singen. 1998, zur Milošević-Zeit, wurde der damalige Chefredakteur des Magazins Evropljanin wegen angeblicher Gefährdung der verfassungsmäßigen Ordnung zu einer Geldstrafe von 60 000 Dollar verurteilt. Zweimal arbeitete Bujošević auch bei Politika; zweimal erlebte er den Einfluss der Politik und musste wieder gehen.

Der Regierungschef nennt Journalisten "Lügner" und bezichtigt die EU einer Kampagne

Ministerpräsident Vučić gibt sich in Brüssel heute als Reformer. Serben freilich kennen eine andere Seite Vučićs: Als 2014 bei einem Hochwasser die Regierung keine gute Figur machte, verschwand der Beispiele für ihr Versagen sammelnde Blogdienst Druga Strana vorübergehend aus dem Internet ebenso die gleichfalls regierungskritische Site teleprompter.rs. oder der Infodienst Peščanik.net: Der hatte enthüllt, dass Vucics Innenminister seine Doktorarbeit abgeschrieben hatte.

Ein Dorn im Auge Vučićs ist Das Netzwerk Birn, das dank Geld von EU und Stiftungen unabhängiger ist als andere Belgrader Medien. 2014 veröffentlichte Birn umstrittene Verträge zur Privatisierung der staatlichen Fluglinie, Anfang 2015 folgte die Recherche über eine anrüchige Auftragsvergabe für die Sanierung eines staatlichen Bergwerks. Darauf beschimpfte der Regierungschef die Birn-Journalisten als Lügner und beschuldigte die EU, eine Kampagne gegen seine Regierung zu führen.

Im World Press Freedom Index 2015 der "Reporter ohne Grenzen" liegt Serbien nur noch auf Platz 67. Auch andere Balkanländer liegen weit zurück: Bulgarien auf Platz 106, Mazedonien gar auf 117. Im Ranking der Washingtoner Organisation Freedom House nimmt Serbien unter 199 Ländern nur Platz 80 ein, als Land mit nur "teilweise freien Medien". Der Konrad-Adenauer-Stiftung gaben im September 2014 gut neun Zehntel der befragten serbischen Journalisten an, Zensur und Selbstzensur seien in Serbien üblich. Die EU-Kommission nimmt dazu eine zweifelhafte Position ein: Bei einem Belgrad-Besuch im Februar verlangte EU-Regionalkommissar Johannes Hahn, ehe er handle, wolle er "Belege" für Zensur oder andere Einschränkungen der Pressefreiheit.

© SZ vom 06.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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