Ukraine:"Neutralisierung der Kollaborateure"

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Zupackend: Wolodimir Selenskij vor einigen Tagen bei der Verteilung von Orden an Soldaten im Marienpalast in Kiew. (Foto: Ukraine Presidency/imago)

Präsident Selenskij demonstriert Entschlossenheit gegen feindliche Unterwanderung und Korruption. Ein rascher Erfolg der nötigen Reformen ist aber unwahrscheinlich.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij wendet sich nicht nur jede Nacht mit aktuellen Informationen zum Krieg an die Bürger. Er, beziehungsweise sein Multimedia-Team, ist auch höchst aktiv in den sozialen Netzwerken. Dort werden unter Selenskijs Namen täglich Fotos gezeigt, auf denen das zu sehen ist, was die Russen vom ukrainischen Leben übrig lassen: ausgebombte Häuser, verletzte Soldaten, erschöpfte, verzweifelte Menschen. Dazu gibt es ermutigende Worte. Am Dienstag zum Beispiel schrieb Selenskij, dass die ukrainischen Truppen dem Gegner empfindliche Verluste zugefügt hätten und es für die russische Armee zunehmend schwierig werde, erobertes Territorium zu halten. "Schritt für Schritt arbeiten wir uns vor, vernichten die Ausrüstung der Besatzer, identifizieren und neutralisieren Kollaborateure."

Dann allerdings folgt noch ein weiterer, kurzer Absatz, der sich auf Schlagzeilen vom Vortag bezieht und zeigt, warum Selenskij die "Neutralisierung von Kollaborateuren" erwähnt: Es gebe neue Informationen zum Geheimdienst, heißt es; man führe Befragungen des Personals durch, die Entlassung von 28 weiteren hochrangigen Mitarbeitern werde auf unterschiedlichen Ebenen, in unterschiedlichen Bereichen geprüft. Der Grund dafür sei immer der gleiche: unbefriedigende Arbeitsergebnisse.

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Das ist ziemlich vorsichtig formuliert. Denn am Wochenende war bekannt geworden, dass Selenskij per Dekret sowohl den bisherigen Geheimdienstchef, Iwan Bakanow, als auch die bisherige Generalstaatsanwältin Iryna Weneditkowa suspendiert hatte. Am Montag wurden die beiden dann auch mit einem formellen Parlamentsbeschluss entlassen. Bekannt geworden war auch, dass gegen Dutzende Mitarbeiter des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes SBU ermittelt wird - wegen Hochverrats. Von 650 bekannten Fällen ist die Rede, in knapp zweihundert davon glaubt man die Namen der Täter zu kennen.

Die Entscheidung, Bakanow und Wenediktowa ihrer Posten zu entheben, hatte in Kiew hohe Wellen geschlagen. Sie scheint darauf hinzudeuten, dass der Geheimdienst massiv unterwandert ist von Ukrainern, die entweder auf den Gehaltslisten Moskaus stehen, oder aber von Bürgern, die aus Überzeugung in den sogenannten Volksrepubliken und den seit dem 24. Februar besetzten Gebieten für Moskau arbeiten.

Es gibt Geschichten von Heldenmut und Widerstand - und von Verrat

Aus Städten wie Cherson, Mariupol, Lyssytschansk oder Sjewjerodonezk etwa kommen einerseits immer wieder Berichte von Heldenmut und Widerstand gegen die Besatzer, der oft mit Terror und Folter bestraft wird, andererseits aber auch Berichte von Beamten und Politikern, die mit den Besatzern zusammenarbeiten. Oder von Einwohnern, die den Russen die genauen Positionen ukrainischer Waffensysteme anzeigen, damit diese präzise getroffen und zerstört werden können. Auch von Korruption in der Armee und dem Verkauf ukrainischer Waffen an den Feind ist immer wieder die Rede.

Selenskij hatte nach der Suspendierung des Geheimdienstchefs und der Generalstaatsanwältin schnell interimistische Nachfolger berufen. Bis auf Weiteres leitet Wassyl Maljuk den SBU, und Oleksij Symonenko soll vorläufig als Generalstaatsanwalt amtieren. Vermutungen, dass diese beiden frischen Wind in die zwei Riesenbehörden bringen und mit den dringend nötigen Umstrukturierungen beginnen werden, könnten sich allerdings als allzu optimistisch erweisen. Der Kyiv Independent etwa, eine Selenskij-kritische, englischsprachige Zeitung, zitiert Geheimdienstkreise und Antikorruptionsaktivisten damit, dass beide Männer, wie schon zuvor die gefeuerten Amtsinhaber, alte Vertraute des Präsidenten seien. Ihr Job sei es wohl eher, korrupte Staatsangestellte zu schützen, anstatt sie zu verfolgen. Beide sollen dem Vizestabschef im Präsidialamt, Oleh Tatarow, nahestehen, dem ebenfalls Korruption vorgeworfen wird.

Gleichzeitig mit diesen Bestellungen wurde auch bekannt, dass Oleksandr Klymenko, ein erfahrener Ermittler aus dem Nationalen Antikorruptionsbüro, die Abteilung für Korruptionsbekämpfung bei der Generalstaatsanwaltschaft leiten soll; der Posten ist seit zwei Jahren unbesetzt. Da aber nur ein formal im Amt bestätigter Generalstaatsanwalt den neuen Top-Ermittler tatsächlich ernennen kann, bleibt der wichtige Posten bis auf Weiteres vakant.

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