Selbstmordattentat in Pakistan:"Ich sah Rauch, Blut und überall Körperteile"

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Heimtückischer Anschlag: Die pakistanischen Rekruten waren auf dem Weg in den Heimaturlaub, als zwei Selbstmordattentäter ihre Sprengsätze zündeten. Mindestens 80 Menschen wurden getötet, darunter auch Zivilisten. Inzwischen haben sich die Taliban zu dem Anschlag bekannt - und feiern die Tat als Rache für den Tod Osama bin Ladens.

Der Ort gleicht einem Schlachtfeld: Die Bilder aus Pakistan zeigen blutüberströmte Verletzte, die andere, noch schwerer Verwundete stützen und versuchen, sich in Sicherheit zu bringen. Zwischen zerstörten Autos und Trümmern liegen Leichen. Bei der zweiten Explosion an diesem Freitagmorgen vor dem Ausbildungszentrum pakistanischer Sicherheitskräfte im Nordwesten des Landes sind die Helfer selbst zu Opfern geworden.

Pakistan: Attentat auf Ausbildungszentrum
:Blutige Rache für Bin Laden

Es sind Bilder des Grauens die an diesem Freitag aus Pakistan kommen: Zwei Selbstmordattentäter haben sich vor einem Ausbildungszentrum für Sicherheitskräfte im Nordwesten des Landes in die Luft gesprengt und dabei bis zu 90 Menschen getötet.

Zwei Selbstmordattentäter haben einen Doppelanschlag auf das Camp der paramilitärischen Frontier Constabulary (FC) in Shabqadar im Nordwesten des Landes verübt. Die Rekruten waren gerade dabei, ihr Gepäck in Busse außerhalb des Lagers zu verladen, als die Attentäter auf einem Motorrad kamen.

Einer der Männer sei abgestiegen und habe sich versteckt, berichtet ein Polizeisprecher. Der andere habe sich an den Bussen vor dem Haupteingang des Ausbildungszentrums in die Luft gesprengt. Als sich Menschen am Anschlagsort versammelten, um Hilfe zu leisten, habe der zweite Attentäter seinen Sprengstoff in der Menge gezündet. Mindestens 80 Menschen kamen ums Leben. "Ich sah Rauch, Blut und überall Körperteile", schildert ein Gemüsehändler die Szenen vor Ort.

Drei der Toten sind nach Polizeiangaben Zivilisten, bei den anderen Opfern handele es sich um Rekruten. Nach Krankenhausangaben wurden mindestens 115 Menschen verletzt, 15 davon schweben in Lebensgefahr. Es ist der bislang verheerendste Selbstmordanschlag seit der Tötung von Osama bin Laden durch US-Spezialeinheiten am 2. Mai im pakistanischen Abbottabad.

Militante Gruppen hatten unmittelbar nach der Erschießung des Al-Qaida-Chefs Rache angedroht. Inzwischen haben sich die pakistanischen Taliban zu dem Anschlag bekannt und bestätigt, dass es sich um einen Racheakt gehandelt habe. Agenturen zitieren einen Sprecher namens Ehsanullah Ehsan: "Dieser Angriff wurde ausgeführt, um Rache für den Märtyrertod von Osama bin Laden und für die Grausamkeiten der pakistanischen Sicherheitskräfte in den Stammesgebieten zu üben."

Das Camp der Frontier Constabulary liegt in Shabqadar im Bezirk Charsadda nahe der Grenze zu Afghanistan und den pakistanischen Stammesgebieten, etwa 35 Kilometer nördlich von Peshawar. Das FC wird an der afghanischen Grenze vor allem im Kampf gegen militante Gruppen eingesetzt, die al-Qaida und Taliban angehören oder nahestehen. Der Nordwesten des Landes gilt als Hochburg islamistischer Kämpfer. Die Sicherheitskräfte sind deshalb häufig Ziel solcher Attacken. Allerdings handelt es sich bei der Explosion an diesem Freitag um den bislang blutigsten Anschlag in diesem Jahr.

Rekruten wollten Heimaturlaub machen

Die Rekruten wollten nach einem neunmonatigen Trainingskurs für zehn Tage Heimaturlaub bei ihren Familien machen. Sie trugen zum Zeitpunkt des Anschlags Augenzeugen zufolge Zivilkleidung. "Ich saß in einem Kleinbus und wartete auf meine Kollegen", schildert einer der Rekruten dem britischen Sender BBC das Geschehen. "Wir freuten uns darauf, unsere Familien zu sehen." Dann habe er gehört, wie jemand "Allahu Akbar" ("Allah ist groß") gerufen habe, darauf folgte die erste laute Explosion. "Ich wurde von irgendwas an der Schulter getroffen, dann hörte ich die zweite Explosion. Ich sprang aus dem Bus und bemerkte, dass ich verletzt war und blutete."

Der Sprecher der pakistanischen Taliban kündigte weitere Anschläge auf die Sicherheitskräfte an. "Wir warnen die Menschen davor, ihren Kindern zu erlauben, zur pakistanischen Armee oder den paramilitärischen Truppen zu gehen", sagte er Berichten von Nachrichtenagenturen zufolge. In Kürze werde es noch größere Anschläge gegen die Sicherheitskräfte geben. "Osama war unser großer Führer und die Mörder von Osama werden dafür bezahlen", zitiert der Fernsehsender CNN einen weiteren Sprecher der Gruppe. "Pakistanische und amerikanische Sicherheitskräfte sollten sich auf weitere Anschläge gefasst machen."

Bei den pakistanischen Tehrik-e Taliban (TTP) handelt es sich um eine Vereinigung militanter Gruppen mit dem Hauptziel, das pakistanische Militär aus den paschtunischen Stammesgebieten zurückzudrängen. Islamabad macht die TTP für die meisten Anschläge in Pakistan verantwortlich, darunter die Ermordung der früheren Premierministerin Benazir Bhutto im Dezember 2007.

TTP-Führer hatten bereits mehrfach auch den USA mit Anschlägen gedroht. Im vergangenen Jahr bekannten sie sich in einem Video zu dem missglückten Bombenanschlag am 1. Mai auf dem Times Square in New York. Die Vereinigung steht Experten zufolge in engen Kontakt mit Al-Qaida-Führern.

Amerikaner befragen Bin-Laden-Witwen

Der Anschlag fällt für das pakistanische Militär mit einem brisanten Termin zusammen: Später an diesem Freitag sollen ranghohe Vertreter vor dem Parlament in Islamabad Stellung beziehen bezüglich ihrer Kenntniss zum Verlauf der US-Kommandoaktion in Abbottabad, berichtet die BBC. Die Volksvertreter seien dem Vernehmen nach weniger besorgt angesichts der Tatsache, dass Bin Laden jahrelang in Pakistan untertauchen konnte, als vielmehr wie die USA in der Lage waren, den Einsatz auf pakistanischen Gebiet durchzuführen.

Derweil haben amerikanische Ermittler einem Bericht von CNN zufolge die drei Witwen des Al-Qaida-Chefs in Pakistan befragt. Allerdings hätten die ersten wenig Informationen erbracht, berichtet CNN unter Berufung auf zwei amerikanische und einen pakistanischen Regierungsvertreter. Mitarbeiter des pakistanischen Geheimdienstes ISI seien bei der Befragung anwesend gewesen, bei der die älteste der Witwen für die Gruppe gesprochen habe. Die Frauen seien den Amerikanern gegenüber "feindselig" gewesen.

© sueddeutsche.de/dpa/dapd/AFP/Reuters/hai - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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