Wahlen in der Schweiz:Wieder einmal: ein Rechtsrutsch

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Die Schweizerinnen und Schweizer waren am Sonntag dazu aufgerufen, das neue Parlament mit Sitz im Bundeshaus in Bern zu wählen. (Foto: Fabrice Coffrini/AFP)

Erneut geht die rechtspopulistische SVP als stärkste Kraft aus den Schweizer Parlamentswahlen hervor. Und die "grüne Welle" von 2019? Ist eindeutig abgeebbt.

Von Isabel Pfaff, Bern

Bei den Parlamentswahlen in der Schweiz am Sonntag hat die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei (SVP) einen deutlichen Sieg errungen. Gemäß Schlussresultat haben 27,9 Prozent der Wählerinnen und Wähler für die SVP gestimmt, gut zwei Prozentpunkte mehr als bei den letzten Wahlen 2019.

Die Partei des mittlerweile 83-jährigen Christoph Blocher, die - einmal mehr - fast vollständig auf das Wahlkampfthema Zuwanderung gesetzt hatte, bleibt demnach mit Abstand stärkste politische Kraft im Land und kommt wieder in die Nähe ihres Rekordergebnisses von 2015 (29,4 Prozent).

Umfragen hatten der SVP bereits einen Zuwachs von mehreren Prozentpunkten vorhergesagt, nachdem sie 2019 ein vergleichsweise schlechtes Ergebnis (25,6 Prozent) erzielt hatte. Ein Faktor, der sich zeitlich noch nicht in den Umfragen spiegeln konnte und den Rechtspopulisten wohl zugute kam: der neu aufgeflammte Krieg in Nahost, der das Gefühl der Unsicherheit und den Wunsch nach Abschottung befeuert haben dürfte.

Insofern deckt sich die schweizerische Entwicklung mit der in vielen europäischen Nachbarstaaten: Auf Konflikte, Krisen und Unsicherheit reagieren viele Wählerinnen und Wähler, indem sie für Parteien stimmen, die sich für Abgrenzung und eine Besinnung aufs Nationale einsetzen. In der Schweiz, wo die rechte Partei schon viele Jahre fest im Sattel sitzt, wäre es überraschend gewesen, wenn ausgerechnet sie nicht von dieser Stimmung profitiert hätte.

Der zweite große Trend des Wahlsonntags sind die großen Verluste der Grünen. Sie erzielten nur noch einen Anteil von 9,8 Prozent - gut drei Prozentpunkte weniger als vor vier Jahren.

Ein scharfer Kontrast zur "Klimawahl" 2019: Damals gewannen die Grünen auf einen Schlag sechs Prozentpunkte hinzu und wurden viertstärkste Kraft im Parlament. Zusammen mit den ebenfalls erstarkten Grünliberalen bildeten sie sogar die zweitstärkste Kraft hinter der SVP.

Doch die grüne Welle ist eindeutig gebrochen. Auch die Grünliberalen haben leicht an Zustimmung verloren: Sie landen nun bei 7,6 Prozent (2019: knapp acht Prozent).

Für die grünen Träume von einem Regierungssitz bedeutet das Ergebnis nichts Gutes, auch wenn sie weiterhin stärker sind als nach der Wahl 2015. Die siebenköpfige Schweizer Regierung, der Bundesrat, wird stets im Dezember nach den Wahlen vom Parlament bestimmt und setzt sich traditionell aus den vier wichtigsten Parteien zusammen, aufgeschlüsselt nach der sogenannten Zauberformel: je zwei Sitze für die drei stärksten, einen für die viertstärkste Kraft. In den vergangenen Legislaturen sah die Zusammensetzung so aus: je zwei Sitze für SVP, Sozialdemokraten und die liberale FDP, einen Sitz für die Mitte-Partei (früher CVP).

Allerdings sind diese Regeln nicht festgeschrieben, sondern eher so etwas wie das Gewohnheitsrecht der Schweizer Politik - weshalb die Grünen bei der Regierungswahl im Dezember 2019 scheiterten. Der grüne Trend müsse sich erst verfestigen, hieß es damals im Parlament. Hinzu kam natürlich auch, dass keine der im Bundesrat vertreten Parteien einen Sitz abgeben wollte. Nun, da die grünen Parteien deutlich schwächer da stehen als 2019, dürfte sich an der Zusammensetzung des Bundesrats erst recht nichts ändern.

Interessant im Vergleich zu den Entwicklungen im restlichen Europa ist das relativ gute Abschneiden der Sozialdemokraten (SP). Sie bleiben mit 18,3 Prozent zweitstärkste Partei im Parlament und konnten sich zu ihrem Ergebnis von 2019 (16,8 Prozent) verbessern. Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil die Partei unter ihrem Führungsduo Mattea Meyer und Cédric Wermuth - zwei "sehr lauten und sehr linken Sozis", wie das Magazin des Tages-Anzeigers schrieb - alles andere als in die Mitte gerutscht ist. Zuletzt konzentrierte sich die SP sogar auf ganz klassische linke Themen wie Mieten, Löhne und die hohen Krankenkassenkosten.

Kleiner als bei der SP fallen laut Endergebnis die Verschiebungen bei der Mitte und der FDP aus: Die Mitte-Partei legt leicht zu auf 14,1 Prozent, die FDP verliert geringfügig und steht neuerdings bei 14,3 Prozent.

Anmerkung der Redaktion: Das Schweizer Bundesamt für Statistik hat nach den Parlamentswahlen am 22. Oktober 2023 zunächst ein fehlerhaftes Endergebnis veröffentlicht. Am Mittwoch nach den Wahlen wurde dies korrigiert. Wir geben in diesem Text die korrigierten Wähleranteile wieder und haben den Text, wo nötig, leicht an die neuen Ergebnisse angepasst.

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