Schweiz:Nicht mehr nur die Tochter von Christoph Blocher

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  • Magdalena Martullo-Blocher, die Tochter des bekanntesten Schweizer Politikers, will ihrem Vater nachfolgen.
  • Ihr Vater machte die Schweizerische Volkspartei (SVP) zur erfolgreichsten rechtspopulistischen Kraft Europas.
  • Die vier Milliarden Franken schwere Tochter wurde lange nicht ernst genommen, das ändert sich jetzt.
  • Sie steht für ein wirtschaftsliberales Programm: Niedrige Steuern, Abschaffung der Gebühren für das öffentlich-rechtliche Fernsehen.

Von Philipp Loser und Charlotte Theile, Bern

Schweizer Politiker bilden sich etwas darauf ein, normale Leute zu sein. Keine Personenschützer, keine Limousinen, dafür Geschichten von Regierungsmitgliedern, die mit wehender Krawatte dem Zug hinterherrennen.

Magdalena Martullo-Blocher rennt nicht. Sie steht nicht einmal auf. Während der Berner Nationalrat in dieser Woche seine Beratungen führt, sitzt die Chefin des milliardenschweren Chemie-Konzern Ems in ihrer Abgeordnetenbank. Wer etwas von ihr möchte, kommt zu ihr. Journalisten verweist sie an einen kleinen Mann im makellosen Anzug, der vor dem Nationalrat eine Art mobiles Büro aufgebaut hat. "Persönlicher Mitarbeiter Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher" steht auf seiner Visitenkarte, Martullo selbst nennt ihn "meinen Cousin".

Der Cousin bedauert, seine Chefin habe keine Zeit für ein Gespräch. Dann muss er rennen. Martullo-Blocher hat sich in Richtung Aufzug begeben. Vor zwei Jahren kündigte die Tochter des bekanntesten Schweizer Politikers an, ihrem Vater nachzufolgen. Die 48-Jährige hatte mit Mitte 30 die Ems Chemie von Christoph Blocher übernommen. Mit der Nationalratskandidatur schickte sie sich 2015 an, sein politisches Erbe anzutreten: Die Führung der Schweizerischen Volkspartei (SVP), die ihr Vater zur erfolgreichsten rechtspopulistischen Kraft Europas machte.

Für die Schweizer war diese Vorstellung anfangs nicht mehr als ein Witz. Magdalena Martullo-Blocher ist eine kleine resolute Frau, die keinen besonderen Wert auf Kleidung oder Umgangsformen legt. Wenn sie, wie in einer Dokumentation des Schweizer Fernsehens geschehen, ihre Mitarbeiter in ziemlich schweizerdeutschem Englisch zurechtweist, wirkt das nicht nur befremdlich, sondern völlig absurd. Komödie, Youtube-Sensation.

Sie soll ein Vermögen von vier Milliarden Franken besitzen

Zwei Jahre später ist Martullo-Blocher zur Hoffnungsträgerin ihrer Partei avanciert. Vor Kurzem kündigte sie an, dass sie "im Notfall" auch für ein Regierungsamt zur Verfügung stünde. Die Witze von damals? Klingen heute deutlich anders. Eine Abgeordnete erzählt, wie Martullo-Blocher jedes Mal zusammenzucke, wenn man sie mit dem im Nationalrat üblichen Du anspreche - und fügt dann hinzu, die Frau sei es eben gewohnt, von "ihren Leuten" gesiezt zu werden.

Eine andere Geschichte: Martullo-Blocher soll ein Vermögen von vier Milliarden Franken besitzen - und damit fünfmal so viel wie alle anderen Abgeordneten zusammen. "Der Raum ist ihr noch nicht so ergeben, wie das beim Vater war. Er war Gott. Aber die Leute hören ihr zu", sagt ein Fraktionskollege.

In ihrem Umfeld wird die Wandlung ebenso wahrgenommen. Als Kind sei sie scheu gewesen, ängstlich fast. Selbst als sie die Firma schon lange selber führte, hieß es immer nur Blocher, Blocher, Blocher. Einer, der sie schon lange begleitet, sagt: "Jetzt, wo sie physisch in Bern anwesend ist, merken die Menschen, dass sie selber es ist, die diese Leistung bringt." Innerhalb von zwei Jahren hat sie sich einen Namen gemacht. Und egal, wie oft sie über das Parlament lästerte, über die Zeitverschwendung da oben, die "Berufspolitiker" in den Reihen neben und hinter ihr: Es ist klar, dass sie die Politik ernst nimmt. So ernst, dass ein linker Politiker sagt: "Ihr einziges Ziel ist es, ihren Reichtum mithilfe der Politik zu vermehren."

Parteikollegen sagen, sie sei lustig. Davon bekommt die Öffentlichkeit wenig mit. Stattdessen gibt sie die knallharte Unternehmerin: Niedrige Steuern, Abschaffung der Gebühren für das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Auch gegen die von NGOs eingebrachte Konzernverantwortungsinitiative kämpft Martullo. Sie steht damit für eine Modernisierung der einstigen Bauernpartei. Für einen harten, wirtschaftsliberalen Kurs, der nicht an Landesgrenzen Halt macht. Ihre Ems Chemie ist schließlich auf der ganzen Welt aktiv.

Je größer das Machtzentrum der Blocher-Tochter wird, desto weniger strahlen andere. Das gilt in erster Linie für Weltwoche-Verleger Roger Köppel, der lange Zeit als Blochers Kronprinz gehandelt wurde, aber sich mit seiner Doppelrolle als Journalist und Politiker geschadet hat. Im Nationalrat fehlt er häufig, die Leser der Weltwoche werden weniger. Martullos Kandidatur soll auch eine Reaktion auf jene von Roger Köppel gewesen sein. Der Dritte, der sich Ambitionen ausrechnet, den inzwischen 77-jährigen Patriarchen zu beerben, ist Thomas Aeschi, ein ehrgeiziger Unternehmensberater, der vor wenigen Wochen zum Fraktionschef befördert wurde.

Doch keiner scheint das mitzubringen, was die Unternehmerin hat. Immer häufiger wird sie in diesen Tagen mit ihrem Vater verglichen - eines der größten Komplimente, das es in der Schweiz gibt. Doch auch ihre Gegner sind wachsam geworden. "Sie lebte lange davon, unterschätzt zu werden. Das ist nun vorbei", fasst eine Nationalrätin zusammen.

© SZ vom 01.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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