Schweden:Untergetaucht und radikalisiert

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Eine improvisierte Gedenkstätte in Stockholms Innenstadt: Hier tötete ein Mann am Freitag fünf Menschen und verletzte 15 weitere. (Foto: Jonathan Nackstrand/AFP)

Der Usbeke, der in Stockholm vier Menschen tötete, hätte Schweden längst verlassen sollen.

Von Silke Bigalke, Stockholm

Die schwedische Polizei ist sich sehr sicher, dass sie den richtigen Mann festgenommen hat: Ein Usbeke, 39 Jahre alt, soll den Lastwagen gesteuert haben, der am Freitagnachmittag durch die Stockholmer Fußgängerzone raste und vier Menschen tötete. Wenn das stimmt, dann hat der Mann ein Land angegriffen, in dem er eigentlich gar nicht mehr sein durfte. Die Behörden hatten im vergangenen Sommer seine Ausweisung beschlossen. Doch als schließlich die Grenzpolizei im Februar an seine Tür klopfte, war er bereits untergetaucht.

"Frustrierend", nennt Premierminister Stefan Löfven diese Nachricht. Einen "Prachtskandal" nennt sie der Parteichef der rechtspopulistischen Schwedendemokraten, Jimmie Åkesson. Drei Tage nach dem Anschlag diskutiert man in Schweden über die Ausweisepraxis. Denn der Fall des 39-jährigen Usbeken ist nur einer von Tausenden: Der Mann hatte 2014 eine Aufenthaltsgenehmigung beantragt, diese war im Sommer 2016 abgelehnt worden. Im Dezember setzten die Behörden ihm eine Frist von vier Wochen, um das Land zu verlassen. Im Februar ging der Fall an die Grenzpolizei, die ihn nicht auffinden konnte. So ist es auch bei etwa 12 000 weiteren Menschen, die sich wahrscheinlich in Schweden aufhalten und ausgewiesen werden sollen. Sie sind untergetaucht.

Am lautesten kritisieren das nun die rechtsgerichteten Schwedendemokraten: "Wenn die Angaben, die wir über die Person bekommen haben, stimmen, dann müssen wir verlangen, dass jemand dafür die Verantwortung übernimmt. Vor allem von der Regierung", sagte Åkesson am Sonntagabend in einer TV-Runde.

Innenminister Anders Ygeman erinnert daran, dass die Regierung die Einwanderungsregeln bereits im vergangenen Jahr stark verschärft hat. Menschen, die nicht im Land bleiben dürfen, bekommen seither keine finanzielle Hilfe und keine Unterkunft mehr, sobald die Ausweisung beschlossen ist. Im nächsten Schritt wolle man gegen illegale Jobs vorgehen und gegen diejenigen, die diesen Menschen Arbeit geben, so Ygeman. Premierminister Löfven räumte ein, dass die Behörden besser darin werden müssten, entschiedene Abschiebungen durchzusetzen.

Bei dem Anschlag starb auch ein elfjähriges Mädchen auf seinem Nachhauseweg

Die schwedischen Medien graben derweil mehr Details über den mutmaßlichen Täter aus. Laut der Boulevardzeitung Express en hat der Festgenommene die Tat bereits gestanden. Aftonbladet berichtete, dass es sich um einen Vater von vier Kindern handele, der in Schweden als Bauarbeiter gearbeitet habe. Beide Zeitungen veröffentlichten Fotos von dem 39-Jährigen. Dieser hat eine Adresse im Stockholmer Norden, unter der er aber vermutlich nicht lebte. Dagens Nyheter berichtet zudem, dass er bei der Einwanderungsbehörde einen falschen Namen angegeben habe. Einiges erinnert an den Attentäter Anis Amri, der im Dezember mit einem Lkw zwölf Menschen auf einem Berliner Weihnachtsmarkt getötet hat.

Nach seiner Festnahme am Freitagabend habe der Usbeke ausgesagt, er habe "die Ungläubigen niedergemäht", zitierten Aftonbladet und Express aus dem Polizeiverhör. Er habe sein Ziel erreicht und sei "zufrieden mit dem, was er getan habe". Laut Medien soll er zudem ausgesagt haben, auf direkte Anweisung des IS gehandelt zu haben. Als Motiv gab er an, die "Bombardierung Syriens" müsse enden. Die Polizei wollte ein Geständnis nicht bestätigen. Der Mann sei jedoch "mit großer Sicherheit" der Täter, so Reichspolizeichef Dan Eliasson. Jan Evensson von der Stockholmer Polizei erklärte sich bereits am Sonntag überzeugt davon, dass er "den Rest seine Lebens eingesperrt" bleiben werde. Die Polizei hat über das Wochenende nach Komplizen und Netzwerken des Verdächtigen gesucht und nach eigenen Angaben mehr als 500 Menschen befragt. Eine Person, die sie "terroristischer Straftaten" verdächtigt, nahm sie am Sonntag fest. Vier weitere sitzen in Gewahrsam.

Eine drängende Frage ist nun auch, wie viel der schwedische Geheimdienst Säpo über den 39-jährigen Hauptverdächtigen wusste. Eine Säpo-Sprecherin bestätigte, dass der Name des mutmaßlichen Täters vergangenes Jahr auf dem Radar ihrer Behörde aufgetaucht sei, damals führte die Spur aber offenbar ins Leere.

Bei dem Anschlag starben ein Brite, eine Belgierin und zwei Schwedinnen. Ein Opfer war ein elfjähriges Mädchen, das auf dem Heimweg von der Schule war. Die Schweden gedachten der Opfer am Montag mit einer landesweiten Schweigeminute. Bei einer Gedenkfeier am Stockholmer Rathaus beschwor Regierungschef Stefan Löfven den internationalen Zusammenhalt gegen den Terror. Den Angehörigen der Opfer versicherte Löfven: "Ihr seid nicht einsam. Ganz Schweden ist bei euch." An der Gedenkfeier nahm auch die schwedische Königsfamilie teil.

© SZ vom 11.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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