Wer Deutschland mag, wer sich womöglich gar als Patriot versteht, hat es nicht leicht in diesen Tagen. Das liegt auch an den Deutschen selbst - und nicht nur an denen, für die ein Wort wie Heimatliebe bis heute bäh ist.
"Patriotismus? Nein danke!", verkündete die Grüne Jugend pünktlich zum Start der Fußball-EM. Im schönsten Neusprech hieß es, eine Trennung zwischen "guten PatriotInnen und schmuddeligen NationalistInnen" sei unmöglich. Kurz darauf stellte sich ein Kleinverleger aus der Hauptstadt mit Pickelhaube ins Fernsehen und schnäuzte in ein schwarz-rot-goldenes Taschentuch. Beides, den Appell im Netz und den Rotz im Fähnchen, muss man nicht ernst nehmen.
Der Selbsthass gehört ebenso zu diesem Land wie schmerzhafte Dialekte und qualvolle Debatten darüber, ob und wie locker man sich machen darf. Und dieser Selbsthass wird spätestens seit der WM 2006 im eigenen Land zu jedem Sportgroßereignis wieder hervorgepopelt.
Mindestens so anstrengend wie die Hasser sind aber auch die Mutigen. Also diejenigen, die sich ebenfalls pünktlich zum Fußball, und dann aber ganz besonders gerne, an ihr Deutschsein erinnern - und so tun, als wäre ihr öffentlich bekundeter Stolz eine irgendwie kontroverse Sache.
Die CDU im hessischen Landtag etwa. Unter dem Titel "Hessen fiebert bei der EM: Patriotismus und Unterstützung der deutschen Nationalmannschaft schließen sich nicht aus", hat sie für diesen Donnerstag allen Ernstes eine Aktuelle Stunde beantragt.
Darin will sie nach Angaben ihres Parlamentarischen Geschäftsführers Holger Bellino über all jene Dinge reden, die ihrer Meinung nach dafür sprechen, dass man auf dieses Land stolz sein darf: "Deutschland erfährt aus aller Welt Bewunderung für seine Errungenschaften, sei es in Wirtschaft, Kultur, im sozialen oder politischen Bereich. Wir sind erfolgreiches Exportland, die deutsche Innovationskraft ist weltberühmt und unsere Nationalmannschaft ein Beispiel für gelungene Integration." Und so weiter.
Ausgelutschte Sprechblasen aus dem Parteibaukasten
Man weiß nicht, was trauriger ist an solchen Bekenntnissen. Die ausgelutschten Sprechblasen aus dem Parteibaukasten oder das freche "Wir", zu dem man, wenn Herr Bellino auch dabei ist, lieber nicht gehören möchte.
Warum malen sich so viele, vor allem junge Menschen die deutsche Fahne auf die Wangen? Warum singen sie, die sich mitunter mäßig bis gar nicht für Politik interessieren, beim Public Viewing mit, sobald die Hymne kommt (einige stehen dafür sogar auf)? Weil unser innovatives Exportland "so viel erreicht" hat? Weil wir alle kleine Ingenieure sind, die nachts im Keller am nächsten Hybridmotor basteln? Oder weil inzwischen so viele exotische Namen unsere Nationalmannschaft schmücken? Ernsthaft? Sitzt irgendjemand zu Hause und denkt: Ja, der Özil, das ist schon ein tüchtig Integrierter, und erst die neuen Absatzzahlen von BMW... da geh ich jetzt lieber mal mein Trikot anziehen?
Wer schon mal mit jungen Deutschen über ihr Deutschsein geredet hat, also mit denen, die sich heute schwarz-rot-gold anmalen, der hört etwas anderes. Da ist dann, ganz banal, von einem guten Gefühl die Rede. Davon, dass man zu denen, die da auf der Leinwand rumflitzen, und denen, die neben einem zittern und jubeln, irgendwie, ja: gehört. Oder: dass das doch "normal" sei. Also das Für-die-Deutschen-Sein. Weil man selbst deutsch ist. Keine Exportrekorde. Keine angebliche Bewunderung aus dem Ausland. Nur so ein Gefühl: Das sind meine, und ich bin einer von ihnen.
Auch die Nationalfarben werden von den meisten Deutschen eher gefühlsmäßig ins Gesicht gepinselt oder an die Autoscheibe gepatscht. Wer kennt schon noch deren Herkunft? Die paar Deppen im Stadion in der Ukraine, die ihre Gastgeber mit dumpfen "Sieg"-Rufen kränken, vermutlich nicht. Genauso wenig der antideutsche Kleinverleger, der sich mit dem Fähnchen die Nase putzt.
Schwarz-Rot-Gold. Das ist eben nicht das Symbol für teutonische Großmannssucht. Wenn der Nazi-Propagandaminister Joseph Goebbels über die Weimarer Trikolore sprach, dann machte er daraus ein verächtliches "Schwarz-Rot-Gelb". Aus seiner Sicht war das nur konsequent.
Das nervös beäugte Wir-Gefühl ist normal geworden
Die Farbkombination Schwarz-Rot-Gold ist das Symbol für die liberalen und aufgeklärten Gentlemenrebellen aus der Paulskirche von 1848. Sie steht für die Uniformen des aus allen Landsmannschaften wild zusammengewürfelten Lützowschen Freikorps - des wahren Vorläufers einer bunten Republik. All das wissen die wenigsten, die heute jubeln. Sie tragen ihre Farben einfach so: mit einem irgendwie guten Gefühl. Und warum auch nicht?
Das 2006 bei der WM noch so nervös beäugte Wir-Gefühl der Deutschen ist von alleine normal geworden. Stinknormal, schimpfen die stramm Rechten, denen dieser "Party-Patriotismus" zuwider ist. Viel zu normal, schimpfen die ängstlichen Linken.
Und dazwischen, ganz entspannt, feiern Millionen Deutsche. Sie werden sich auch an diesem Donnerstag wieder anmalen. Sie werden singen und bangen, saufen und brüllen, und vielleicht prügeln sich auch ein paar. Aber sie werden ganz sicher nirgendwo einmarschieren. Außer ins Finale.