Schulen:Leichter wird's nicht

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Ein Nationaler Bildungsrat sollte Ordnung in den deutschen Schulföderalismus bringen. Der Süden schert aus. Jetzt wollen die Länder über einen Staatsvertrag verhandeln - und sind so zerstritten wie selten zuvor.

Von Paul Munzinger, München

Markus Söder hat dem Nationalen Bildungsrat am Montag noch ein paar Worte in den politischen Orkus hinterhergerufen, in den er ihn tags zuvor selbst hinabgestoßen hatte. Das geplante Gremium sei ein "nett gemeinter Versuch" gewesen, sagte Bayerns Ministerpräsident, aber es stehe nun einmal im Widerspruch zum Bildungsföderalismus und sei daher "zum Scheitern verurteilt" gewesen. Zuvor hatte das noch drastischer geklungen. Als "bürokratisches Monstrum" hatte Söder den geplanten Bildungsrat im Oktober geschmäht, das vom fernen Berlin aus in die "kleinen Schulstuben" hineinregiere.

Nun kann man sich fragen, was das vernichtendere Urteil ist: "Monstrum" oder "nett gemeinter Versuch"? Wichtiger aber sind zwei andere Fragen: Versucht Söder, den Bildungsrat kleinzureden, nachdem er ihn zuvor selbst großgeredet hat? Und vor allem: Wie geht es jetzt weiter?

Hamburgs Bildungssenator hält den Alleingang der Unionsländer für "kaum noch erträglich"

Der Nationale Bildungsrat, so steht es im - auch von der CSU verfassten - Koalitionsvertrag der Bundesregierung, "soll auf Grundlage der empirischen Bildungs- und Wissenschaftsforschung Vorschläge für mehr Transparenz, Qualität und Vergleichbarkeit im Bildungswesen vorlegen und dazu beitragen, sich über die zukünftigen Ziele und Entwicklungen im Bildungswesen zu verständigen". Die Bundesländer waren von dieser Idee wenig begeistert. Für Transparenz, Qualität und Vergleichbarkeit im Bildungswesen sind sie schließlich selbst zuständig, die Kultusministerkonferenz (KMK) soll sicherstellen, dass sie auch das große Ganze im Blick behalten. Der Bildungsrat im Koalitionsvertrag war ein nur notdürftig verschleiertes Misstrauensvotum an die Adresse der Länder.

Nahrung für dieses Misstrauen gibt es seit Jahren im Überfluss. Der Bildungsföderalismus ist in der Bevölkerung notorisch unbeliebt, der Wust an unterschiedlichen Schulformen und -systemen kaum zu überblicken. Das Bundesverfassungsgericht stellte Ende 2017 in einem Urteil fest, dass das Abitur von Bundesland zu Bundesland zu unterschiedlich sei, um über den Zugang zum Medizinstudium allein anhand der Note zu entscheiden. Die Länder gelobten stets Besserung und verweisen heute etwa auf den 2017 eingeführten Pool gemeinsamer Abituraufgaben. Doch die Querelen um das Mathe-Abitur in diesem Sommer offenbarten, wie viele Schlupflöcher die Länder sich selbst zugestanden hatten. Alle Kritiker, die überzeugt sind, dass die Länder ohne einen Anstoß von außen einfach nicht vorwärtskommen, durften sich bestätigt fühlen. Auch der öffentliche Druck führte dazu, dass die Länder sich widerwillig auf die Verhandlungen zum Bildungsrat einließen.

Nach wie vor unterscheiden sich Abitur-Prüfungen – hier in Rostock – von Bundesland zu Bundesland. (Foto: Bernd Wüstneck/dpa)

Die Verhandlungen verliefen kontrovers, insbesondere über die Frage, wer wie viele Stimmen bekommen soll, wurde gezankt. Unstrittig aber war, dass der Bildungsrat nur Empfehlungen aussprechen sollte. "Als beratendes Organ", so heißt es in einem Entwurf der Verhandlungsgruppe, "trifft der NBR keine bildungspolitischen Entscheidungen." Das klingt nicht nach der von Söder vielfach an die Wand gemalten Fernsteuerung aus Berlin, im Gegenteil. Baden-Württembergs Bildungsministerin Susanne Eisenmann (CDU), die am Sonntag ebenfalls ihren Ausstieg aus den Verhandlungen verkündete, betonte stets, der Bildungsrat sei überflüssig. Aus anderen von der CDU mitregierten Ländern hört man das Wort "Alibigremium".

Die Debatte sei nun "müßig", sagt Karin Prien, ebenfalls CDU und Bildungsministerin in Schleswig-Holstein, der Bildungsrat erledigt. Die Länder müssten jetzt beweisen, dass sie das, was der Bildungsrat hätte leisten sollen, auch selbst können. "Mit der Absage an den Bildungsrat ist noch kein Problem gelöst", sagt Prien, "wir haben ein Riesenproblem mit der Vergleichbarkeit des Abiturs, Eltern in Deutschland erwarten zu Recht, dass der Umzug von einem Bundesland ins andere ohne negative Auswirkungen auf die Schullaufbahn ihrer Kinder funktioniert. Deutschland ist sonst auf Dauer nicht wettbewerbsfähig." Prien fordert insbesondere, dass wissenschaftliche Erkenntnisse stärker als bisher in den Schulalltag einfließen sollen, sie spricht von einem großen "Theorie-Praxis-Gefälle". Prien betont: "Wir befinden uns an einem Punkt, an dem der Bildungsföderalismus ernsthaft in Frage gestellt wird. Wir Länder müssen jetzt zeigen, dass wir die Aufgaben aus eigener Kraft lösen können."

Wie andere Unionspolitiker auch verweist Prien auf den Bildungsstaatsvertrag. Er soll die Lücke schließen, die eigentlich der Bildungsrat stopfen sollte, den es nun nicht geben wird. Den Staatsvertrag gibt es freilich auch noch nicht, die Länder verhandeln, ohne den Bund. Der Vertrag soll die Zusammenarbeit der Länder auf eine neue Grundlage stellen. Er sei, schwärmt Eisenmann, "ein wirksames Instrument, um gemeinsame Standards für Schulabschlüsse oder für die Lehrerbildung in allen Ländern einheitlich und verbindlich zu regeln". Vor allem letzteres betont sie: die Verbindlichkeit. Alle 16 Landesparlamente müssten dem Dokument zustimmen.

Karin Prien, CDU, ist seit 2017 Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur in Schleswig-Holstein im Kabinett von Ministerpräsident Daniel Günther. Zuvor war sie sechs Jahre lang Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft. (Foto: Monika Skolimowska/dpa)

Genau deshalb hält Ties Rabe, SPD-Schulsenator in Hamburg, den Bildungsstaatsvertrag für eine "Herkulesaufgabe", jetzt umso mehr. Bayern und Baden-Württemberg hätten "offensichtlich kein Interesse an einer Einigung", es fehle der "Blick über den Tellerrand der eigenen Bildungspolitik". Die Chance auf einen erfolgreichen Vertragsabschluss sei "sehr viel geringer geworden". Für politische Verhältnisse war Rabes Reaktion auf den Exit der Südländer ein echter Wutanfall: Die Alleingänge der Unionsländer in der Schulpolitik seien "kaum noch erträglich". Eltern, die sich über das föderale Durcheinander ärgerten, wüssten nun immerhin, wer dafür verantwortlich sei. Für die weiteren Verhandlungen über den Staatsvertrag sind das keine günstigen Vorzeichen.

Eine Figur wird dann nicht mehr auf dem Spielfeld stehen: Bundesbildungsministerin Anja Karliczek. Wieder einmal musste die CDU-Politikerin die Erfahrung machen, dass besonders im Süden beheimatete Mitglieder der eigenen Parteifamilie den vermeintlich bedrohten Föderalismus gerne auf ihre Kosten verteidigen. Den Nationalen Bildungsrat, eines der wichtigsten Projekte ihres Hauses, haben nun ein CSU-Politiker und eine CDU-Ministerin zu Fall gebracht. Karliczek sagte am Montag, jetzt seien die Länder am Zug - sie erinnerte aber auch daran, dass "namentlich die CSU" aktiv am Koalitionsvertrag mitgewirkt habe. Da klang die Christdemokratin plötzlich genauso wie Ties Rabe von der SPD.

© SZ vom 26.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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