Saudi-Arabien:Angriff ohne Risiko

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Warum legt Saudi-Arabien sich ausgerechnet mit Kanada an? Weil Kanada ein vergleichsweise ungefährliches Ziel ist, an dem der mächtige Kronprinz Mohammed bin Salman seine Machtfülle demonstrieren will.

Von Matthias Kolb, Toronto

Kritik von außen mag er gar nicht: der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman (links). Vom kanadischen Premierminister Justin Trudeau fühlt er sich herausgefordert. (Foto: Fayez Nureldine/AFP; Chris Young/AP)

Der saudische Außenminister ließ kaum Zweifel, dass in der diplomatischen Krise zwischen Saudi-Arabien und Kanada alle Zeichen auf Zuspitzung stehen: "Es gibt nichts zu vermitteln", sagte Adel al-Dschubeir in Riad, "es wurde ein Fehler gemacht, und der muss korrigiert werden." Was die Regierung in Ottawa tun müsste, um das ultrakonservative Königreich zu besänftigen, sagte der Außenminister nicht. Stattdessen drohte er weitere Maßnahmen an - zuletzt hatte Riad entschieden, dass 16 000 saudische Studenten ihre Ausbildung außerhalb Kanadas fortsetzen müssen und alle medizinischen Behandlungsprogramme saudischer Bürger in Kanada eingestellt werden.

Ähnlich konsequent gibt sich Kanada. Am dritten Tag nach der Ausweisung ihres Botschafters aus Saudi-Arabien bezog Premierminister Justin Trudeau erstmals Stellung und betonte, seine Regierung werde sich weder entschuldigen, noch aufhören, sich weltweit für Menschenrechte einzusetzen. "Das haben Kanadier stets von ihren Regierungen erwartet, und das werde ich immer machen." Zugleich betonte Trudeau, dass es Dialog gebe.

Auslöser des Streits war ein Tweet von Außenministerin Chrystia Freeland, die die Verhaftung der Bürgerrechtlerin Samar Badawi kritisiert und deren Freilassung gefordert hatte. Badawis Bruder Raif sitzt seit 2012 ebenfalls in einem saudischen Gefängnis, während seine Ehefrau mit den drei gemeinsamen Kindern in Quebec lebt und mittlerweile die kanadische Staatsbürgerschaft besitzt.

Die Bestellung von 3000 Radpanzern dient mehr der Kontaktpflege

In Kanada dominiert die Ansicht, dass der mächtige Kronprinz Mohammed bin Salman, bekannt als MbS, dem Rest der Welt demonstrieren wolle, dass es Konsequenzen habe, wenn jemand Kritik an den Zuständen in seinem Königreich übt. Kanada ist dabei ein vergleichsweise ungefährliches Ziel. "Wir sind kein besonders wichtiges Land für sie, und Saudi-Arabien ist für uns auch nicht so wichtig", sagt Thomas Juneau, Nahost-Experte der Universität Ottawa. In der Tageszeitung Globe and Mail erklärt die Politikprofessorin Bessma Momani, was Riad an Trudeau stört: "Da ist ein Premier, der sich stolz als Feminist bezeichnet und eine Frau zur Außenministerin ernannt hat. Wenn westliche Politiker dafür bestraft werden, dass sie anderen vorgeben, was sie tun sollen, dann kommt das zu Hause und unter den gleichgesinnten Autokraten und Diktatoren gut an."

Als Grund für saudischen Frust nennt Analyst Juneau einen 15-Milliarden-Dollar-Deal, den Riad 2014 mit Trudeaus konservativem Vorgänger Stephen Harper schloss. Demnach liefert das Unternehmen General Dynamics Land Systems 3000 Radpanzer, was in Kanada Tausende Jobs sichert. Trudeau hatte als Oppositionsführer das Abkommen attackiert und sich nach seinem Wahlsieg im Herbst 2015 gegenüber Riad äußerst reserviert gezeigt.

Laut Juneau braucht Saudi-Arabien solche gepanzerten Transporter gar nicht für militärische Zwecke. Das arabische Land nutzt solche Verträge vielmehr, um Beziehungen und Partnerschaften zu festigen. Mit den USA, Großbritannien oder Frankreich werde auch nicht anders verfahren. Bisher hat Trudeau den Panzer-Deal nicht aufgekündigt, obwohl in Kanada diese Forderung immer populärer wird.

Kanada exportiert pro Jahr Waren im Wert von knapp vier Milliarden Dollar nach Saudi-Arabien, wovon die Radpanzer einen erheblichen Teil ausmachen. Im Handel mit den USA ist diese Summe nach nur zwei Tagen erreicht. Allzu hart trifft das Einfrieren der Handelsbeziehungen das Land also nicht; die Importe von saudischem Rohöl machen weniger als zehn Prozent des Gesamtvolumens aus und sind nach Expertenmeinung leicht zu ersetzen. Die Öllieferungen der staatlichen Gesellschaft Aramco an Kanada sind nach Angaben des Energieministers Chalid al-Falih auch gar nicht vom diplomatischen Streit betroffen. Öllieferungen unterlägen keinen politischen Erwägungen, sagte der Minister am Donnerstag.

Dass die staatliche Fluglinie Saudia vom 13. August an Toronto nicht mehr direkt ansteuert, dürfte fast allen 36 Millionen Kanadiern egal sein. Auch die Meldung, dass die saudische Zentralbank kanadische Wertpapiere abstoße, löst im Finanzzentrum Toronto wenig Aufregung aus. Dass mindestens 16 000 saudische Studenten, deren Ausbildung vom Königreich finanziert wird, ihre Studien anderswo fortsetzen sollen, könnte Auswirkungen auf das Budget mancher Hochschulen haben: Die Saudis zahlen oft den Höchstsatz von 60 000 Dollar und bringen Angehörige mit, die Geld ausgeben. Mittelfristig müssen wohl auch die 800 saudischen Ärzte ausreisen, die in Kanada ihre medizinische Fachausbildung absolvieren - auch hierfür übernahm das Königreich bisher die Kosten von etwa 80 000 US-Dollar pro Person.

"Die saudischen Mediziner leisten einen ganz wichtigen Anteil, um die Patienten hier in Ontario zu versorgen", sagte die Ärztin Caroline Just dem Toronto Star. Zuletzt meldete die staatliche saudische Nachrichtenagentur Spa, dass die medizinische Behandlung saudi-arabischer Staatsbürger gestoppt werden solle. Die Patienten würden von Krankenhäusern in anderen Ländern aufgenommen.

Die arabischen Staaten haben sich hinter Riad gestellt. Auch Russland unterstützt Saudi-Arabien, was damit zu tun haben mag, dass Kanadas Außenministerin Freeland eine ausgewiesene Putin-Kritikerin ist und auf der Sanktionsliste des Kreml steht. Westliche Regierungen, darunter die Bundesregierung, haben sich bisher zurückgehalten, ebenso die USA. In Washington hieß es, beide Seiten müssten das Problem gemeinsam auf diplomatische Weise lösen. "Wir können das nicht für sie tun", teilte eine Sprecherin des US-Außenministeriums mit. Ähnlich wie die wichtigsten kanadischen Medien lobt die Washington Post die Trudeau-Regierung. Sie erkenne, dass Demokratie und Meinungsfreiheit universale Werte seien.

© SZ vom 10.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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