Ein langer Autokorso lärmte am Wochenende durch Sarajevo, die Hauptstadt des chronisch uneinigen Staatsgebildes Bosnien-Herzegowina, die Fahrer hupten in einer Mischung aus Aufruhr und Trauer. Der Protestzug war eine lärmende Solidaritätskundgebung für Bogić Bogičević, den Mann, mit dem viele Bürger von Sarajevo die Hoffnung auf einen Aufbruch in eine neue, post-nationalistische Ära verbunden hatten.
"Du bist unser Bürgermeister", das stand auf riesigen Plakaten unter Bogičevićs Porträt - doch die Beschwörung wird wohl nichts nützen. Bogičević, dessen Amtsantritt als Bürgermeister nur noch eine Formalie zu sein schien, hat erklärt, er werde nicht länger zur Verfügung stehen. Angesichts der "politischen Spiele", wie man sie vergangene Woche erlebt habe, sehe er dafür keine Basis mehr.
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Bogić Bogičević gilt vielen als Legende, seit er im März 1991 dem nationalistischen Präsidenten Serbiens Slobodan Milosevic ein entschlossenes "Nein" entgegenhielt. Bogičević war damals Vertreter Bosniens in der jugoslawischen Staatspräsidentschaft - und sagte Nein zu den Plänen, den Ausnahmezustand zu verhängen, Nein zu den immer aggressiveren serbisch-nationalistischen Umtrieben in Belgrad. "Ich bin zwar Serbe, aber nicht von Beruf", hielt Bogičević dem später zum mutmaßlichen Kriegsverbrecher gewordenen Milosevic entgegen. Bis heute gilt er als einer der wenigen Politiker in Bosnien, die über jeden Verdacht von Nationalismus, Bestechlichkeit und Vetternwirtschaft erhaben sind.
Entsprechend groß war das Aufsehen auch im Ausland, als im November vergangenen Jahres bei den Kommunalwahlen in Bosnien-Herzegowina die bei vielen Bürgern als korrupt verrufene Partei der demokratischen Aktion (SDA) ihre langjährige Mehrheit in Sarajevo verlor, überflügelt von einem Bündnis aus vier Parteien, die sich dann auf Bogičević als ihren Mann fürs Bürgermeisteramt einigten.
Bei einer zweiten Abstimmung wird Bogičević gewählt - doch er mag nicht mehr
Seine Wahl durch den Stadtrat am vergangenen Mittwoch galt schließlich als reine Formalie - doch überraschend kamen bei der geheimen Abstimmung nicht genügend Stimmen für eine Mehrheit zusammen. In einem Brief an die Parteispitze der Sozialdemokraten, denen Bogičević angehört, schrieb er, offenbar sei seine Kandidatur zu einem "Stolperstein innerhalb der Vierer-Koalition" geworden. Die Uneinigkeit des Bündnisses, die sich jetzt bei der Abstimmung offenbart habe, zeige, dass er wohl doch nicht der "erwünschte Kandidat" sei.
Als ginge es darum, das Gegenteil zu beweisen, stimmte der Stadtrat dann am Freitag noch einmal ab - und diesmal wählte einer Mehrheit Bogičević zum Bürgermeister. Doch der ließ sich nicht mehr umstimmen. Nachdem die Stadt den Nachmittag lang auf seine Antwort fieberte, erklärte der am Abend, sein Rückzug sei endgültig, und er könne sich auch nicht erklären, warum der Stadtrat überhaupt ein zweites Mal über ihn abgestimmt habe. Das Votum sei nichts als "Maskerade".
In einem Brief an die Bürger von Sarajevo, den verschiedene Medien veröffentlichten, bedankte sich Bogičević für den "massiven Rückhalt", den er in diesen "schwierigen Momenten" erfahren habe. Momente, in denen "einige ehrlose Politiker versucht haben, mich auf ihr Niveau der Amoralität herabzuziehen." Zugleich lobte er die Proteste der Bürger, die nicht nur für ihn demonstriert hätten, sondern auch gegen die "in vielfacher Hinsicht kriminelle Politik, die in unserer Stadt seit Jahren verfolgt wird und in der die Bürger klein gehalten werden." Sein Rückzug, für den er sich "schweren Herzens" entschieden habe, sei für ihn die "einzig ehrenvolle Antwort auf jene Versuche, mich menschlich und politisch zu erniedrigen".
Die Ernüchterung in Sarajevo dürfte noch lange nachhallen. "Dies ist eine große politische und moralische Schande für die ganze Stadt", schrieb etwa der bosnische Regisseur Dino Mistafić auf Twitter.