Sanktionen gegen Russland:Ungarn brüskiert die EU

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Neue Freunde innerhalb der EU hat Ungarns Premier Viktor Orbán mit seiner Haltung sicher nicht gewonnen, aber er hat sich durchgesetzt. (Foto: Bart Maat/Imago)

Auf Druck aus Budapest verzichten die Mitgliedsländer auf geplante Sanktionen gegen den Patriarchen der russisch-orthodoxen Kirche.

Von Nicolas Freund und Matthias Kolb, Brüssel/München

Um die Zustimmung Ungarns für das sechste Sanktionspaket gegen Russland zu bekommen, haben die anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union am Donnerstagnachmittag zugestimmt, den Patriarchen der russisch-orthodoxen Kirche nicht mit Strafmaßnahmen zu belegen. Kyrill I. ist nach Ansicht der 26 anderen Regierungen "einer der prominentesten Unterstützer" des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und sollte mit einem Einreiseverbot in die EU belegt werden. Zudem sollten eventuell vorhandene Bankkonten Kyrills gesperrt werden.

Nachdem die Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel zu Beginn der Woche eine "politische Einigung" über die nächsten Maßnahmen gegen Russland erzielt hatten, hatte Ungarn am Mittwoch bei einer Sitzung der EU-Botschafter zum Ärger seiner Partner ein Veto eingelegt und die Streichung von Kyrills Namen zur Bedingung gemacht. Sobald die am Donnerstag von den Botschaftern angenommenen Rechtstexte im Amtsblatt der EU veröffentlicht sind, treten die Sanktionen in Kraft.

So wird es zum Jahresende verboten sein, russisches Öl mit Tankschiffen in die EU einzuführen, wodurch 90 Prozent der russischen Öl-Importe gestoppt werden. Zudem wird das größte russische Finanzinstitut, die Sberbank, ebenso wie zwei weitere Geldhäuser vom globalen Überweisungssystem Swift abgekoppelt werden. Der Unmut über das Verhalten von Ungarns Premier Viktor Orbán, der vor Beginn des Krieges eine große Nähe zu Russlands Präsident Wladimir Putin zeigte, ist auch deswegen so groß, weil er beim Öl-Embargo Ausnahmen erhalten hat: So darf sein Land ebenso wie Tschechien und die Slowakei weiter über die "Druschba"-Pipeline versorgt werden. Ein EU-Diplomat sagte der SZ: "Ungarn hat die letzten Sympathien seiner ehemaligen Freunde in Osteuropa verspielt."

Unterdessen versucht Putin auf diplomatischem Weg, Russland als verantwortungsvollen Staat darzustellen. An diesem Freitag trifft er in Sotschi Macky Sall, den Vorsitzenden der Afrikanischen Union und Präsidenten des Senegal, um über Getreide und Dünger aus Russland für afrikanische Länder zu sprechen. Wegen des Krieges und der blockierten Häfen kann die Ukraine kein Getreide exportieren, Russland hält seine Exporte bewusst zurück. Beide Länder gehören zu den größten Getreideproduzenten der Welt, in vielen Ländern Afrikas und anderen Regionen droht wegen steigender Preise und gleichzeitig stattfindender Dürren eine Hungersnot.

Die Verhandlungen finden auf Einladung Putins statt, und es kann gut sein, dass Russland ernsthaft versuchen wird, eine Hungersnot abzuwenden. Das ist aber nicht nur aus humanitären Gründen im Interesse des Kremls. Moskau versucht seit Jahren, politisch und wirtschaftlich in Afrika an Einfluss zu gewinnen, und könnte die selbst erzeugte Lebensmittelkrise für diese Ziele nutzen.

In der Ukraine nehmen die Gefechte indessen wieder an Intensität zu. Die Stadt Sjewjerodonezk zu großen Teilen von der russischen Armee eingenommen sein. Russland würde damit fast die gesamte Region Luhansk kontrollieren. Auch aus Lwiw, Odessa und anderen Teilen des Landes werden wieder Angriffe mit Marschflugkörpern und Luftangriffe gemeldet. Der Westen der Ukraine galt zuletzt als vergleichsweise sicher.

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