Sanktionen gegen Russland:"Die Bevölkerung wird am meisten leiden"

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Ein Gazprom-Arbeiter kontrolliert in der Station Sudzha nahe der ukrainischen Grenze die Gasleitung. Der russische Staatskonzern hat mit Nachdruck vor möglichen Störungen bei Gaslieferungen nach Europa gewarnt. (Foto: dpa)

Was kümmern Putin die Sanktionen? Der US-Ökonom Gary Hufbauer untersucht seit Jahrzehnten, ob Wirtschaftsstrafen zur Lösung von Konflikten beitragen. Ein Interview über historische Erfolge, Missgriffe und mögliche russische Reaktionen, die einigen EU-Ländern kalte Winter bescheren könnten.

Von Johannes Kuhn, San Francisco

In der Ukraine-Krise haben USA und EU russische Funktionäre mit Wirtschaftssanktionen belegt. Doch wie wirksam sind solche Druckmittel? Der US-Ökonom Gary Hufbauer analysiert mit einer Forschergruppe seit mehr als 20 Jahren die Folgen von Sanktionen und hat dabei Konflikte seit 1914 ausgewertet. Im Interview mit Süddeutsche.de spricht er über die aktuellen Maßnahmen gegen Russland.

Süddeutsche.de: Mr. Hufbauer, selbst US-Präsident Barack Obama sagt zu den aktuellen Sanktionen gegen Russland: "Wir wissen nicht, ob das funktionieren wird." Können Sie ihm mit Ihrem historischen Wissen weiterhelfen?

Gary Hufbauer: Die Erfolgsaussichten sind gering, befürchte ich. Wir haben mehr als 200 Fälle aus den vergangenen 100 Jahren ausgewertet. Sanktionen waren in einigen Fällen erfolgreich, aber nur selten, wenn große Länder wie Russland betroffen waren.

Was spielt jenseits der Größe eine Rolle?

Wir haben es mit einem zentralisierten, zur Autokratie neigenden Land zu tun. In der Bevölkerung genießt die Ukraine-Politik des Kreml große Unterstützung. Das ist wichtig, denn politischer Wille zur Veränderung ist nicht automatisch von der wirtschaftlichen Lage abhängig. Hinzu kommt: Die Sanktionen sind nicht besonders stark, eher symbolisch, wenn wir uns Extrembeispiele wie Nordkorea und Iran ansehen. Der Westen hatte wohl auf Folgeeffekte auf den Finanzmärkten gehofft. Die Börsenkurse sind um 15 Prozent nach unten gegangen, der Rubel hat zehn Prozent nachgegeben. Das ist zu verkraften.

Ist es in einer globalisierten Wirtschaft überhaupt möglich, einem Land wie Russland gezielt über Sanktionen zu schaden?

Die Frage ist: Wie stark möchten die Länder, die solche Maßnahmen verhängen, selber leiden? Ich habe nicht das Gefühl, dass in Westeuropa die Bereitschaft besonders groß ist. Jede Sanktion trifft auch das eigene Land, Finanzinstitutionen zum Beispiel oder ganze Unternehmensbranchen. Und je weiter man eskaliert, desto größer schmerzt es selber. Und Russland kann natürlich auch Sanktionen verhängen.

Wie könnten diese aussehen?

Natürlich ist da das Gas, das könnte im Winter unangenehm kalt für einige EU-Länder werden. Dann ist da das Metall Palladium, das für Auto-Katalysatoren wichtig ist - Russland exportiert 75 Prozent des weltweiten Bedarfs. Auch bei der Nickel-Versorgung ist das Land ein wichtiger Akteur. Und natürlich ließe sich auch das Vermögen westlicher Firmen und Banken einfrieren, das in Russland lagert.

Im Moment sind die Sanktionen des Westens noch auf Akteure begrenzt, die direkt an der Ukraine-Krise beteiligt sein sollen oder Putin nahestehen. Was ist die Strategie dahinter?

Ganz einfach: Mehr als 99 Prozent aller Russen spielen für die Politik dort keine Rolle. Putins Umfeld hat dort größeren Einfluss - und er dürfte auch selber einen Teil seines Vermögens in den Firmen-Konglomeraten stecken haben. Wenn nun sein Umfeld betroffen ist, könnte es auf ihn mäßigend einwirken. Wir sprechen hier aber nicht von einer Abkehr von seiner Politik, sondern davon, dass Putin langsamer und weniger aggressiv vorgeht.

Die USA haben - anders als die EU - auch die Wirtschaftselite ins Visier genommen. Verspricht das aus westlicher Sicht Erfolg?

Gary Hufbauer ist Senior Fellow am Peterson Institute for International Economics in Washington. Er hat zahlreiche Bücher und Aufsätze über Sanktionen, Welthandel und internationale Steuerfragen verfasst. Von 1974 bis 1979 war er mit einer kurzen Unterbrechung in leitender Funktion im US-Finanzministerium tätig. (Foto: Peterson Institute Pressroom, oH)

Betroffene Unternehmer, die selber keine Geschäftsinteressen in der Ostukraine verfolgen, könnte das zum Umdenken bringen. Große russische Firmen haben Abnehmer und Zulieferer im Westen, die durch den Druck auf ihre Geschäftspartner verunsichert werden und mittelfristig womöglich finanziellen Schaden erleiden.

Nach all dem zu urteilen, was Sie über Logik und Wirkung von Sanktionen wissen: Wie geht es weiter?

Aus meiner Erfahrung glaube ich, dass der Konflikt noch einige Jahre dauern wird. Putin wird sich davor hüten, Truppen jenseits von Spezialeinheiten einzusetzen und eher auf eine langsame Zermürbung setzen. Der Westen wird größere Unternehmen und Banken mit Sanktionen belegen, das Verhältnis wird sich nach und nach verschlechtern. Das russische Wirtschaftswachstum ist gering, und es wird durch weitere Sanktionen über eine langen Zeitraum weiter schrumpfen, weil das Land auf westliche Investitionen angewiesen ist. Wird das Putin treffen? Nein. Die Oligarchen? Ein bisschen. Die russische Bevölkerung wird am meisten darunter leiden.

Gibt es Beispiele aus der jüngeren Zeit, in denen Sanktionen funktioniert haben?

Ja, denken Sie an Südafrika gegen Ende der Apartheid. Oder, aus US-Sicht, an kleinere Länder wie Guatemala, Haiti, El Salvador. Europa hat in Ländern wie Kamerun oder Äquatorialguinea gute Erfahrungen gemacht, durch Sanktionen gewaltsame Umstürze zu bremsen. Die derzeitige Gesprächsbereitschaft Irans ist ebenfalls eine Folge der Sanktionen - auch wenn es noch zu früh ist, hier von einem echten Erfolg zu sprechen.

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