Sachsen und NSU-Skandal:Dritter Geheimdienst-Chef tritt ab

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Sachsens Verfassungsschutz-Präsident Boos zieht überraschend die Konsequenzen aus den Ermittlungspannen im Fall der Zwickauer Terrorzelle. Er ist der dritte führende Verfassungsschützer, der wegen des NSU-Skandals sein Amt verliert.

Die Pannen bei der Verfolgung des Zwickauer Neonazi-Trios haben einen weiteren führenden Verfassungsschützer das Amt gekostet. Sachsens Verfassungsschutzpräsident Reinhard Boos wird auf eigenen Wunsch zum 1. August versetzt, wie Landesinnenminister Markus Ulbig (CDU) im Dresdner Landtag mitteilte.

Reinhard Boos ist der dritte führende Verfassungsschützer, der wegen der NSU-Affäre sein Amt verliert. (Foto: dpa)

Boos ist bereits der dritte Chef einer Geheimdienstbehörde, der wegen Fehlern bei den NSU-Ermittlungen gehen muss. Auch der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, und Thüringens Behördenchef Thomas Sippel gaben bereits vorzeitig ihre Ämter ab.

Boos stand seit 2007 an der Spitze des Landesamtes für Verfassungsschutz und war zuvor bereits von 1999 bis 2002 Präsident der Behörde. Hintergrund seines vorzeitigen Abgangs sind jetzt aufgetauchte Protokolle einer Telefonüberwachung des Bundesamts für Verfassungsschutz von Ende 1998.

"Eklatantes Fehlverhalten"

Die Überwachung fand nach Angaben des Landesinnenministeriums im mutmaßlichen Umfeld der Neonazi-Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) statt, um nach dem Abtauchen des Trios Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe an Informationen zu kommen. Die Gruppe wird für bundesweit neun Morde an Migranten sowie an einer Polizistin verantwortlich gemacht. Zwar hatte die Parlamentarische Kontrollkommission für den Geheimdienst (PKK) des Landtags laut Ulbig Kenntnis von der Maßnahme. Die Existenz der Protokolle sei aber neu. Was genau in den Protokollen festgehalten wurde, bleibt jedoch zunächst unklar.

Wie ein Sprecher des Innenministeriums sagte, wurden die Dokumente im Umfang eines Aktenordners bei Räumarbeiten im Zuge der Umstrukturierung eines Referates gefunden. Ulbig sprach im Landtag von einem "eklatanten Fehlverhalten" einzelner Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz. Es seien unverzüglich disziplinarische Schritte eingeleitet worden. Boos bedauere den Vorfall und sei "tief enttäuscht", sagte der Minister. Unter diesen Umständen könne er das Amt nicht mehr mit dem gebotenen Vertrauen weiter führen.

In der vergangenen Woche erst hatte Ulbig "Defizite" beim Informationsaustausch zum Rechtsextremismus in Sachsen eingeräumt. Zugleich hatte er aber Boos noch sein Vertrauen ausgesprochen und erklärt, dem Landesverfassungsschutz sei kein "pflichtwidriges Unterlassen" vorzuwerfen.

Aufklärung und Transparenz gefordert

Die Opposition im Landtag forderte derweil weitergehende Konsequenzen. Die Politik des Vertuschens, Verschweigens und Verleugnens in Sachsen werde frühestens dann ein Ende haben, wenn Innenminister Ulbig "als oberster Aufklärungs-Verhinderer ebenfalls seinen Hut nimmt", erklärte PKK-Mitglied Kerstin Köditz von der Linksfraktion.

Miro Jennerjahn von der Grünen-Fraktion forderte Ulbig auf, dem sächsischen NSU-Untersuchungsausschuss in der Sondersitzung am Donnerstag alle noch fehlenden Unterlagen vorzulegen und dem Ausschuss Rede und Antwort zu stehen. Wenn der Innenminister nicht schleunigst für Transparenz sorgen könne, müsse er die politische Verantwortung für die Pannen übernehmen.

Die innen- und rechtspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Sabine Friedel, kritisierte, die sächsische Staatsregierung verweigere seit Monaten jegliche Aufklärung und Aufarbeitung. "Was wir heute erleben, ist der Preis für dieses Nichtstun", erklärte sie.

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