Russlands Einfluss auf die Ukraine:Hinter den Kulissen

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Im Februar 2014 erreichten die Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Regierungskräften auf dem Maidan in Kiew ihren blutigen Höhepunkt. (Foto: Brendan Hoffman/Getty)

Wie an unsichtbaren Fäden hängend scheinen Viktor Janukowitsch und seine Freunde die Interessen des mächtigen Nachbarn Russland zu verfolgen. Die jetzigen Ausschreitungen spielen dabei Putin in die Hände: Jetzt könnte Moskau auf Bitten der prorussischen Seite der Ukraine zu Hilfe kommen.

Von Julian Hans, Moskau

Als in Kiew zu Beginn dieser Woche die Barrikaden noch rauchten, die Toten identifiziert und die Verwundeten behandelt wurden und EU-Diplomaten erstmals den ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch uneingeschränkt für das Blutvergießen verantwortlich machten, da erinnerte in Moskau Wladimir Putins Sprecher Dmitrij Peskow an die heilige Doktrin der russischen Außenpolitik: "Das oberste Prinzip besteht darin, sich in die Ereignisse in Kiew nicht einzumischen", sagte Peskow, "das haben wir immer wieder gesagt, und daran hält sich der Kreml."

Allerdings gibt es eine ganze Reihe von Anzeichen dafür, dass Moskau durchaus nicht tatenlos zuschaut, wie sich die Situation im Bruderland entwickelt. Und das sind nicht nur der bekannte Milliardenkredit und der großzügige Rabatt beim Gaspreis, mit dem der Kreml die Ukraine in letzter Sekunde vor dem Bankrott rettete, an dessen Rand er sie zuvor mit einem Handelsstopp erst gebracht hatte.

Moskau agiert hinter den Kulissen

Anders aber als die EU beschränken sich die Russen nicht auf symbolische Gesten bei Besuchen in Kiew. Vielmehr nehmen sie Einfluss hinter den Kulissen, über die Medien und mit Hilfe der Geheimdienste.

Mehrmals sei in den vergangenen Wochen Wladislaw Surkow in der Ukraine gewesen, berichten ukrainische Medien. Surkow ist einer der Strippenzieher Putins. Über Jahre hinweg hat er die politischen Prozesse in Moskau aus dem Hintergrund gesteuert. Er gilt als Schöpfer der Kreml-Jugend "Naschi" und der Schein-Opposition "Gerechtes Russland".

Kreml für Szenario nach dem Muster Georgiens?

Nachdem sein System bei den Wahlen im Winter 2011/2012 offensichtlich versagt hatte und Putin eine Weile angeschlagen wirkte, war er kurz von der Bildfläche verschwunden. Im September kehrte er zurück in den Kreml - als Berater des Präsidenten, zuständig für die von Georgien abgetrennten Gebiete Südossetien und Abchasien.

Beobachter in der Ukraine und in Russland sehen seine Besuche als Indiz dafür, dass der Kreml in der Ukraine ein Szenario nach dem Muster Georgiens anstreben könnte: Wenn das Land sich von Moskau ab- und Europa zuwendet, sollen wenigstens einzelne Gebiete unter russischer Kontrolle gehalten und damit eine echte Integration nach Europa blockiert werden. Die jüngste Eskalation könnte dazu beitragen.

Nach dem georgischen Muster würde ein ohnehin im Land bestehender Konflikt zugespitzt, schreibt die Kiewer Zeitung Serkalo Nedeli. Wenn dann Gewalt ins Spiel komme, könne Russland auf Bitten der prorussischen Seite zu Hilfe kommen, wie im Fünf-Tage-Krieg in Südossetien während der Olympischen Spiele in Peking 2008.

Prorussische Gruppen auf der Krim

Der innere Konflikt in der Ukraine zwischen den zu Russland neigenden Regionen östlich des Dnjepr und den nach Europa orientierten Regionen im Westen hat sich in den vergangenen Wochen verschärft. Besonders auf der Halbinsel Krim, die erst 1954 von Nikita Chruschtschow der ukrainischen Sowjetrepublik zugesprochen wurde, haben sich zuletzt zahlreiche prorussische Organisationen gegründet, die sich für eine Trennung von Kiew aussprechen, sollten dort "Faschisten" einen Umsturz wagen.

Als solchen aber stellen die russischen Fernsehsender Erster Kanal, Rossija und NTW die Ereignisse in Kiew dar. Einer Erhebung der Stiftung Demokratische Initiative zufolge beziehen 22 Prozent der Ukrainer ihre Nachrichten überwiegend aus dem russischen Fernsehen.

Eifrigster Verfechter der Föderalisierung in der Ukraine selbst ist Viktor Medwedschuk, ein Anwalt und Unternehmer - und persönlicher Freund von Wladimir Putin. Laut einem Bericht der Ukrainska Prawda teilt er mit dem russischen Präsidenten nicht nur eine Vergangenheit im KGB, Putin soll 2004 auch Taufpate von Medwedschuks Tochter gewesen sein.

Schon seit einigen Monaten werde in kremlnahen Kreisen eine Föderalisierung der Ukraine diskutiert, sagt die Politikwissenschaftlerin Lilia Schewzowa vom Moskauer Carnegie-Zentrum. In Fachzeitschriften wie Russia in Global Affairs werde sie als beste Alternative gepriesen, um eine Entwicklung wie einst in Jugoslawien zu verhindern. Hinter dem harmlos klingenden Wort verberge sich mehr: "Wenn Janukowitsch die Kontrolle verliert, könnte Kiew den westlichen Regionen den Laufpass geben, oder die russisch geprägten Regionen links des Dnjepr erklären ihre Unabhängigkeit und schließen sich der Zollunion mit Russland an."

Moskau weist Einflussnahme von sich

Bei den Besuchen Surkows in der Ukraine ging es offiziell um den Bau einer Brücke über die Meerenge von Kertsch, die die Krim mit Russland verbinden soll. "Jeder, der sich in Russland etwas mit Politik beschäftigt, kann darüber nur lachen", sagt Schewzowa.

Dass sich russische Spezialeinheiten an einer Niederschlagung des Aufstands beteiligen könnten, hat Moskau wiederholt empört zurückgewiesen. Dennoch wird der Vorwurf von den Protestierenden immer wieder erhoben. Zuletzt hatte der entführte und misshandelte Dmytro Bulatow den Verdacht geäußert, seine Peiniger seien Russen gewesen. Beweisen kann er es allerdings nicht.

Enge Zusammenarbeit der Geheimdienste

Für eine enge Zusammenarbeit des russischen Geheimdienstes FSB mit seinem ukrainischer Pendant SBU gibt es mindestens zwei Beispiele: Der eine Vorfall liegt zwei Jahre zurück. Als nach Massenprotesten und Fälschungsvorwürfen leichte Zweifel an einer Wiederwahl Putins zum Präsidenten aufkamen, nahm der SBU im Februar 2012 in Odessa mehrere Männer fest. Das russische Fernsehen strahlte Videos aus, auf denen die Festgenommenen offenbar unter Druck bekannten, sie hätten einen Anschlag auf Putin geplant.

Im Oktober desselben Jahres verschwand dann der russische Oppositionelle Leonid Raswosschajew, nachdem er sich in einem Büro der Vereinten Nationen in Kiew über die Möglichkeiten hatte beraten lassen, Asyl zu beantragen. Tage später tauchte er in den Händen russischer Ermittler in Moskau wieder auf, die ein Geständnis präsentierten, er habe einen Umsturz geplant. Raswosschajew widerrief und berichtete, er sei in Kiew von russischen Geheimdienstleuten überwältigt, nach Moskau verschleppt und dort gefoltert worden.

Ukrainische Regierung will von nichts wissen

Während die UN und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Erklärung forderten, gab sich die ukrainische Regierung ahnungslos. Jeder, so könnte man in Anlehnung an die Formulierung der Ukraine-Expertin Schwewzowa sagen, der sich mit der Politik in der Ukraine beschäftigt, kann darüber nur lachen.

Weniger indes über Berichte ukrainischer Medien vom Mittwoch, denen zufolge Janukowitsch in der Nacht vergeblich versucht haben soll, Putin telefonisch zu erreichen. Dessen Sprecher Peskow dementierte, strikt nach dem Prinzip der Nicht-Einmischung: Davon sei ihm "nichts bekannt".

© SZ vom 20.02.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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