Als in Kiew zu Beginn dieser Woche die Barrikaden noch rauchten, die Toten identifiziert und die Verwundeten behandelt wurden und EU-Diplomaten erstmals den ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch uneingeschränkt für das Blutvergießen verantwortlich machten, da erinnerte in Moskau Wladimir Putins Sprecher Dmitrij Peskow an die heilige Doktrin der russischen Außenpolitik: "Das oberste Prinzip besteht darin, sich in die Ereignisse in Kiew nicht einzumischen", sagte Peskow, "das haben wir immer wieder gesagt, und daran hält sich der Kreml."
Allerdings gibt es eine ganze Reihe von Anzeichen dafür, dass Moskau durchaus nicht tatenlos zuschaut, wie sich die Situation im Bruderland entwickelt. Und das sind nicht nur der bekannte Milliardenkredit und der großzügige Rabatt beim Gaspreis, mit dem der Kreml die Ukraine in letzter Sekunde vor dem Bankrott rettete, an dessen Rand er sie zuvor mit einem Handelsstopp erst gebracht hatte.
Moskau agiert hinter den Kulissen
Anders aber als die EU beschränken sich die Russen nicht auf symbolische Gesten bei Besuchen in Kiew. Vielmehr nehmen sie Einfluss hinter den Kulissen, über die Medien und mit Hilfe der Geheimdienste.
Mehrmals sei in den vergangenen Wochen Wladislaw Surkow in der Ukraine gewesen, berichten ukrainische Medien. Surkow ist einer der Strippenzieher Putins. Über Jahre hinweg hat er die politischen Prozesse in Moskau aus dem Hintergrund gesteuert. Er gilt als Schöpfer der Kreml-Jugend "Naschi" und der Schein-Opposition "Gerechtes Russland".
Kreml für Szenario nach dem Muster Georgiens?
Nachdem sein System bei den Wahlen im Winter 2011/2012 offensichtlich versagt hatte und Putin eine Weile angeschlagen wirkte, war er kurz von der Bildfläche verschwunden. Im September kehrte er zurück in den Kreml - als Berater des Präsidenten, zuständig für die von Georgien abgetrennten Gebiete Südossetien und Abchasien.
Beobachter in der Ukraine und in Russland sehen seine Besuche als Indiz dafür, dass der Kreml in der Ukraine ein Szenario nach dem Muster Georgiens anstreben könnte: Wenn das Land sich von Moskau ab- und Europa zuwendet, sollen wenigstens einzelne Gebiete unter russischer Kontrolle gehalten und damit eine echte Integration nach Europa blockiert werden. Die jüngste Eskalation könnte dazu beitragen.
Nach dem georgischen Muster würde ein ohnehin im Land bestehender Konflikt zugespitzt, schreibt die Kiewer Zeitung Serkalo Nedeli. Wenn dann Gewalt ins Spiel komme, könne Russland auf Bitten der prorussischen Seite zu Hilfe kommen, wie im Fünf-Tage-Krieg in Südossetien während der Olympischen Spiele in Peking 2008.
Prorussische Gruppen auf der Krim
Der innere Konflikt in der Ukraine zwischen den zu Russland neigenden Regionen östlich des Dnjepr und den nach Europa orientierten Regionen im Westen hat sich in den vergangenen Wochen verschärft. Besonders auf der Halbinsel Krim, die erst 1954 von Nikita Chruschtschow der ukrainischen Sowjetrepublik zugesprochen wurde, haben sich zuletzt zahlreiche prorussische Organisationen gegründet, die sich für eine Trennung von Kiew aussprechen, sollten dort "Faschisten" einen Umsturz wagen.
Als solchen aber stellen die russischen Fernsehsender Erster Kanal, Rossija und NTW die Ereignisse in Kiew dar. Einer Erhebung der Stiftung Demokratische Initiative zufolge beziehen 22 Prozent der Ukrainer ihre Nachrichten überwiegend aus dem russischen Fernsehen.