Russland zur Zarenzeit:Rasputin, der Dämonisierte

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Mit seinen stechenden Augen und theatralischen Auftritten entwickelte Rasputin eine hypnotische Suggestionskraft. (Foto: dpa)

Rasputin mischte als Vertrauter der Zarenfamilie in der Politik mit, er erschreckte und faszinierte mit bohrendem Blick und bizarren Aussagen. Ende 1916 wurde er grausam ermordet.

Von Tobias Sedlmaier

Es ist der Morgen des 17. Dezember 1916 nach dem Julianischem Kalender, der in Russland damals noch gilt (nach dem Gregorianischen Kalender der 30. Dezember). Im klirrend kalten St. Petersburg herrscht Unruhe. Erste Gerüchte bestätigen sich drei Tage später - Rasputin, der Wandermönch mit den magnetischen Augen, dem schwarzen, strähnigen Haar und struppigen Bart, seit einigen Jahren Heiler und Vertrauter der Zarenfamilie, wird als steifgefrorener Leichnam aus einem Eisloch der kleinen Newa gezogen.

Keine zwei Jahre später wird sich seine düstere Prophezeiung erfüllen, dass mit seinem Tod auch die 300 Jahre dauernde Dynastie der Romanows ihr Ende finden werde. Zar Nikolaus II. wird mit seiner Gemahlin Alexandra und fast der gesamten Familie Romanow während der Oktoberrevolution in Jekaterinenburg von den Bolschewiki exekutiert.

Seitdem ist Rasputin eine Legende, ein Mythos, größer noch als der Zar selbst. Spielfilme zeigen ihn als abstoßenden Unhold, grausam, gerissen, größenwahnsinnig. In einem ihrer Hits besingt die Pop-Gruppe Boney M. Rasputins angeblich maßlose Libido. Bergeweise Bücher arbeiten sich an seinem politischen Einfluss und der elektrisierenden Aura ab, rätseln über angeblich heilende Kräfte. Und natürlich die seltsamen Umstände seines Todes, die man eher einem Zombiefilm zuschreiben würde.

Priester und Psychiater der Zarenfamilie

Dabei hatte sich bei Grigori Jefimowitsch Rasputins Geburt 1869 nicht abgezeichnet, dass der Sohn wohlsituierter Bauern jemals etwas mit der politischen Bühne oder etwaigen Verschwörungen zu tun haben sollte. Zu weit abseits vom Weltgeschehen lag das westsibirische Nest Pokrowskoje, in dem Rasputin aufwuchs, zu gewöhnlich waren seine ersten Lebensjahre als herumstreunender Nichtsnutz, der noch nicht einmal ordentlich lesen und schreiben gelernt hatte.

Auch Berichte über Marienerscheinungen, die der Junge mehrfach in seiner Jugend gesehen haben wollte, waren nichts Außergewöhnliches im unendlich weiten Russland, durch das viele sogenannte Stareze zogen, selbsternannte Gottesmänner. Ein solcher wurde auch Rasputin in jugendlichem Alter; mehr als 15 Jahre lang begab er sich auf Pilgerreise durch ganz Russland bis hin zum Berg Athos. Nach der Heirat gelangte er 1903 erstmals nach St. Petersburg, wo Zar Nikolaus II. in seinem nahe gelegenen Wohnsitz Zarskoje Selo residierte.

In einer Zeit weitgreifender politischer Umwälzungen, mit dem Aufstieg des Panslawismus und mystisch-völkischer Sekten, war der autokratische Monarch kein geeigneter Herrscher. Nikolaus galt als verschlossen und rückwärtsgewandt, wankelmütig und halsstarrig zugleich, unentschlossen und sorglos im Umgang mit den sozialen Problemen der Zeit, für die er in seinem grenzenlosen Antisemitismus hauptsächlich die Juden verantwortlich machte. Seine Gattin, die deutschstämmige Alexandra, präsentierte sich kaum geschickter, sie war abweisend, unsicher und nervös.

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Von den größten Sorgen der Zarenfamilie wusste die Öffentlichkeit jedoch nichts: Der 1904 geborene Thronfolger Alexei litt an der Bluterkrankheit und lebte damit unter starken Schmerzen und ständiger Todesgefahr. Der Einzige, der gegen die tückische Erkrankung etwas auszurichten vermochte, schien Rasputin zu sein.

Über das höfische Umfeld war er in den Kreis der Zarenfamilie gelangt, die ihn immer dann in den Palast rief, wenn der junge Zarewitsch dem Ende nahe war. Der Mönch setzte sich ans Bett, betete und murmelte stundenlang Beschwörungen. Es half jedes Mal; allerdings wohl weniger durch magische Kräfte als durch eine Kombination aus Glück und der beruhigenden Wirkung auf die Zarin und das Kind. Rasputin wurde durch seine hypnotische Suggestionskraft, die unverfrorene bäuerliche Direktheit und seine theatralischen Gesten für die Zarenfamilie "Priester und Psychiater" in einem, wie Simon Sebag Montefiore schreibt.

Alkohol und Ausschweifungen

Weniger Einfluss als häufig behauptet hatten "die dunklen Mächte" am Hof dagegen auf die tatsächliche Politik von Nikolaus. Rasputins Ratschläge waren oft pragmatisch und wurden ebenso wenig berücksichtigt wie die von anderen Vertrauten. Zwar durfte der Mönch bei der Besetzung von Ministerposten mitreden - diese wurden vom Zaren jedoch ohnehin für bedeutungslos erachtet.

Während des Ersten Weltkriegs sprach sich Rasputin für einen Separatfrieden mit Deutschland aus, was ihm schnell den Ruf eines deutschen Spions einbrachte. Ebenso wurden seine alkoholbedingten Ausschweifungen und Verfehlungen in der Klatschpresse breitgetreten, die ihm außerdem nie stattgefundene Affären mit Hofdamen andichtete. Wenn überhaupt, vergnügte er sich mit Prostituierten.

Doch die öffentliche Abneigung gegen den Wüstling wuchs. Im Herbst 1916 beschloss ein Grüppchen von Verschwörern, angeführt vom Bohemien Felix Jussupow, der aus einer der reichsten Familien des Landes stammte, den umstrittenen Mönch loszuwerden.

Eine plausible unter den vielen Versionen dieser Mordnacht, die zur Legende geworden ist, erzählt es so: Rasputin folgte trotz aller Warnungen einer fingierten Einladung in den Palast Jussopows. Dort verspeiste der Starez mit Zyankali vergiftete Sahnetörtchen und trank dazu literweise Wein. Doch Rasputin starb nicht. Daraufhin feuerte Jussopow stümperhaft mit der Pistole mehrmals in die Brust des Mönchs. Doch das regungslose Bündel am Boden war immer noch nicht tot. Einmal sollte Rasputin noch die stechenden Augen aufreißen, ehe ein Kopfschuss endgültig sein Leben beendete.

Der Körper wurde danach im Fluss versenkt. Bei der Obduktion aber konnten keine Spuren von Gift nachgewiesen werden.

© SZ vom 17.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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