Rettung der Bergarbeiter:Viva Chile!

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Lateinamerika ist im Bewusstsein der Welt als Schauplatz von Krisen und Kriegen verankert. Dass Chile bei der Rettung der Bergleute ein mustergültiges Bild abgeben hat, ist kein Zufall: Chile steht heute besser da als viele Staaten der EU.

Sebastian Schoepp

Seit es die Länder Lateinamerikas gibt, also seit gut zweihundert Jahren, sind sie im Bewusstsein der Welt die meiste Zeit als Schauplätze von Kriegen, Katastrophen und Krisen verankert gewesen. In den letzten Jahren geriet Lateinamerika dann fast völlig ins geopolitische Abseits, der Fokus richtete sich auf andere Gegenden, in denen nach den Regeln der internationalen Nachrichtenkonjunktur gewichtigere Dinge passierten.

Der chilenische Präsident Sebastián Piñera war seit der Katastrophe von San Jose an vorderster Front an der Rettungsaktion beteiltigt - und konnte sich so stets auch ins rechte Licht rücken. (Foto: dpa)

Nun kommt die Weltnachricht des Jahres 2010 ausgerechnet aus Lateinamerika - und es ist eine gute Nachricht. Das Besondere dabei ist, dass es sich nicht um einen Fußballsieg oder den Gewinn eines Schriftstellerpreises handelt, also sogenannte leichte Themen, in denen Lateinamerika stets punkten konnte. Nein, die Rettung der 33 Bergleute in Chile ist eine technische und humanitäre Meisterleistung, Gebiete also, auf denen man diesen Ländern sonst nicht allzu viel zutraut.

Wer Lateinamerika besser kennt, weiß jedoch, dass die Rettungsaktion weder ein "Wunder" war noch die große Ausnahme von der Regel. Sie ist Konsequenz einer stetigen Weiterentwicklung, die in Chile und anderen Ländern stattgefunden hat.

Fast alle haben enorme Fortschritte gemacht. Chile weist im 200. Jahr seines Bestehens ein besseres Wirtschaftswachstum und weniger Korruption auf als viele Staaten der EU. Der technische Standard und der Ausbildungsstand der Fachleute sind hoch, nicht nur im Bergbau.

Chilenische Spezialisten halfen schon bei der Bergung der Opfer des Erdbebens in Haiti, das Land ist zum Wirtschaftsmotor geworden, dessen Kraft auch die umliegenden Länder antreibt. Es ist stabil und gereift. Die Wahl des Konservativen Sebastián Piñera Anfang 2010 nach fast zwei Jahrzehnten Linksregierungen, die wiederum auf eine blutige Diktatur folgten, zeigt, dass politische Wechsel inzwischen möglich sind, ohne dass das ganze System wankt.

Es ist also kein Zufall, dass Chile bei der Rettung der Bergleute ein mustergültiges Bild an Zuversicht und Disziplin abgeben hat. Kaltblütig im Handeln, überschwänglich beim Feiern, ob über oder unter Tage. Zwar kamen Maschinen und Helfer aus aller Welt zum Einsatz, doch gemanagt hat das südamerikanische Land die Rettung selbst.

Dass nun der Präsident den Ruhm einheimst, dass es sein Gesicht ist, das Stolz und Freude nach außen übermittelt, wollen ihm die meisten Chilenen gerne gönnen. Es wird erstmal nicht nach Fehlern gesucht, die er gemacht haben könnte.

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Alle 33 zurück im Leben: Die ganze Welt nimmt Anteil an der Rettung der chilenischen Bergleute. Als der letzte Kumpel aus der Rettungskapsel steigt, brechen die Menschen vielerorts in Chile in Tränen aus.

Die Bergung in Bildern

Piñera hat gelernt aus den Erfahrungen des schweren Erdbebens, das Chile zur Zeit seines Amtsantritts erschütterte und bei dem er keine so gute Figur abgab. Nun traf er den richtigen Ton, auch als er den Rettern Zuversicht und Selbstvertrauen einimpfte. Das und nichts anderes war seine Aufgabe.

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Während hierzulande nun eifrig erörtert wird, welche seelischen Probleme auf die Bergleute zukommen, konzentriert sich Chile aufs Jubeln. Man muss sich um die Geretteten vielleicht auch weniger Sorgen machen, als es die auf allen Kanälen präsenten deutschen Krisenpsychologen meinen. Lateinamerika vergisst seine Helden im Allgemeinen nicht so schnell.

Dass auch ein Bolivianer darunter ist, hat sogar den zähen Grenzstreit mit dem Nachbarland auf einen Schlag zum Verstummen gebracht. "Viva Chile!", rief Carlos Mamani, als er aus der Rettungskapsel stieg. Das hat seit dem Salpeterkrieg im 19. Jahrhundert kein Bolivianer mehr gerufen. Dann umarmte er seinen Präsidenten Evo Morales, der draußen neben Piñera stand und sich immer mal wieder dessen Handy lieh.

Dass lateinamerikanische Präsidenten zusammenhalten können, selbst wenn sie in entgegengesetzten politischen Lagern stehen, das haben im Übrigen bereits die Krisentreffen des jungen südamerikanischen Staatenbundes Unasur gezeigt, der sich bei der Ablehnung von Putschen oder Putschversuchen in Honduras oder Ecuador als unerwartet konstruktiv erwiesen hat.

Die Ethik der Rettung

Wird Chile nun niemals mehr dasselbe Land sein, wie Sebastián Piñera nach der Rettung versprach? Werden die Arbeitsbedingungen und die Löhne besser, werden die enormen sozialen Unterschiede abgebaut, die Ureinwohner im Süden künftig weniger diskriminiert? Man wird sehen. Kritiker könnten einwenden, Chilenen hätten wie alle Lateinamerikaner die Fähigkeit, in großen Momenten voll aufzugehen, um die Nachhaltigkeit sei es oft nicht gut bestellt. Doch allein, dass Chilenen aller Lager trotz ihrer traumatischen Geschichte und der tiefen politischen Spaltung in diesem Moment zusammenstehen konnten, spricht dafür, dass eine große Veränderung bereits stattgefunden hat.

Und was kann die Welt davon lernen? Der chilenische Schriftsteller Antonio Skármeta formulierte die Hoffnung, dass sich die Ethik dieser Rettung und das Mitgefühl auf andere Krisengebiete übertragen lasse.

Darin hat Chile ein Beispiel gegeben. Darüber hinaus gibt es praktischere Aspekte: Der chilenische Kupferbergbau befindet sich seit dem linksgerichteten Präsidenten Salvador Allende in Staatseigentum. Obwohl es seiner liberal-konservativen Grundeinstellung eigentlich widerspricht, hat Präsident Piñera stets betont, von Privatisierungen Abstand nehmen zu wollen.

Er fährt damit - gegen den Welttrend - dieselbe Linie wie seine sozialistische Vorgängerin oder die erfolgreichen Nachbarn in Argentinien und Brasilien. Das hat sich ausgezahlt. Die Staatsfirma Codelco übernahm die Koordination, alles war in einer Hand, was die Rettung entscheidend beschleunigt hat. Das ist vor allem bemerkenswert, wenn man zurückdenkt, wie sich die US-Regierung und der private BP-Konzern bei der Schließung des Öl-Lecks im Golf von Mexiko gegenseitig zerfleischten.

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