Regionalwahl in Frankreich:Le Pen steht vor Wahl-Triumph

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Ihr Lohn winkt am Sonntag: Front-National-Führerin Marine Le Pen im Regionalwahlkampf. (Foto: Philippe Huguen/AFP)
  • Am Sonntag finden in Frankreich die Regionalwahlen statt.
  • Marine Le Pen von der rechtsextremen Partei Front National wird wohl triumphieren
  • In einigen Gegenden ist die Partei bereits so stark, dass sie es im Wahlkampf ruhig angehen lässt

Von Christian Wernicke, Villers-Cotterêts

So tritt sie selten vor das Volk - so matt, so leise. Marine Le Pen, die sonst allzeit kämpferische Vorsitzende von Frankreichs Front National, flüstert an diesem Abend ins Mikrofon. Auch jetzt, da sie ihren Anhängern verspricht, sie werde eines Tages "den islamischen Fundamentalismus ausrotten". Oder später, da sie den Mächtigen in Paris vorwirft, "dass sie eben nicht alles getan haben, um uns vor den Terroristen zu beschützen".

Ihre Sätze klingen merkwürdig sanft, wie in Watte gepackt. Behutsam geht Marine Le Pen hin und her auf der Holzbühne im Gemeindehaus von Villers-Cotterêts, unendlich müde wirkt sie, da sie sich eine zottelige Strähne aus dem Gesicht streicht und zum Ende kommt: "Am Sonntag werden wir einen schönen Sieg feiern." Immerhin, sie lächelt.

Selbstverständlich, die 200 Zuhörer im Saal haben die Rede ihrer Partei-Präsidentin artig beklatscht. Und Franck Briffaut, der lokale Bürgermeister, strahlt, seit ihn Le Pen eine knappe Stunde zuvor mit Küsschen begrüßte. Aber es gibt auch Kritik: "Diesmal hat Marine nicht alles gegeben", mault eine beleibte Dame beim Apero: Es gibt Kartoffelchips, dazu Weißwein aus Plastikbechern.

Die Rechtsextremen erwarten den Sieg in der ersten Runde - das wäre historisch

Es war Le Pens letzter Auftritt vor dem Urnengang, sie ist ausgelaugt. Der Lohn winkt am Sonntag, sämtliche Umfragen prophezeien Historisches: Frankreichs Rechtsextremen winkt der Sieg im ersten Durchgang der Regionalwahlen. In sechs der 13 Regionen wird ihr Front National wohl vorn liegen, Le Pen selbst wird einen persönlichen Triumph einfahren: Als Spitzenkandidatin in der Krisen-Region Nord-Pas-de-Calais-Picardie dürfte sie die Traummarke von 40 Prozent der Stimmen durchbrechen.

Die Terroranschläge bescheren ihr Rückenwind, seit dem 13. November steigen alle FN-Prognosen. Falls Le Pen genau einen Monat später, am 13. Dezember, auch die Stichwahl und die Macht in der Region gewinnt, dann, so deutet es die 46-jährige Populistin, wäre dies "ein Meilenstein" auf ihrem Weg in den Élysée-Palast. 2017 sind Präsidentschaftswahlen.

Im Department Aisne hat sich der FN vorgenommen, sogar jede zweite Stimme zu ergattern - "50 Prozent, mindestens!" brüllte der lokale Kandidat als Zielwert in den Saal. Villers-Cotterêts, dieses beschauliche Städtchen 80 Kilometer nordöstlich von Paris, ist eine Hochburg der Rechtsextremen. Im Schloss drüben im großen Park verfügte im Jahr 1539 der französische König Franz I. per Edikt, dass fortan allein das Französische die Amtssprache in seinem Reich sein möge.

Heute ist der Ort tiefste Provinz. Eine "peri-urbane Zone" nennen Franzosen solche Kleinstädte, in denen nebeneinander Bauern, örtliche Handwerker, einfache Arbeiter und Angestellte leben, die sich die hohen Mieten in den Metropolen nicht leisten können. Eine knappe Stunde dauert die Bahnfahrt nach Paris. "Wir sind alles und nichts - weder ländlicher Raum noch Banlieue", sagt Franck Briffaut, der Bürgermeister von Villers-Cotterêts. Marine Le Pen drückt es drastischer aus: "Dies sind die vergessenen Territorien der Republik!"

Die etablierten Parteien, das geißelt die FN-Vorsitzende immer wieder, hätten diese bodenständigen Menschen längst vergessen. Die Republikaner dächten nur an "die Privilegierten", die Sozialisten würden derweil nur die Vorstädte bedienen - jene "schwierigen Quartiers", in denen die vielen Ausländer und Muslime hausen. "Aber", so fragt Le Pen ihre Zuhörer, "habt ihr es nicht auch schwer? Wer denkt an euch?" Die Zuhörer nicken. Eine Million Arme zählt Le Pen in der Region, aber Frankreichs Arbeitgeber und Deutschlands Kanzlerin wollten dennoch drei Millionen Zuwanderer ins Land holen - um die Löhne zu drücken "und eine neue Sklaverei" zu etablieren. Da wallt Beifall auf.

Im FN-Stammland muss sie sich nicht verausgaben

Le Pen spricht all dies gelassen aus. Sie muss sich hier nicht in Rage reden wie sonst in den TV-Diskussionen. Villers-Cotterêts ist FN-Stammland. Hier muss sie sich nicht verausgaben wie Mitte der Woche in Nîmes, da sie ihren Landsleuten die nationale Apokalypse ausgemalt hat für den Fall, dass der FN nicht gewinnen sollte: "Wenn wir scheitern, wird der Totalitarismus die Macht in unserem Land übernehmen", behauptete Le Pen. Denn, so die FN-Chefin weiter, dann kämen ja noch mehr Muslime ins Land, und dann "wird die Scharia unsere Verfassung ersetzen, der radikale Islam wird an die Stelle unserer Gesetze treten, allen Frauen wird die Burka aufgezwungen." Diese O-Töne bestimmten noch am Tag danach alle Kanäle.

Briffaud, der nette Bürgermeister von Villers-Cotterêts, sieht die Lage genauso. Seit 1977 ist der drahtige 57-jährige Ex-Soldat schon FN-Mitglied. Er bewunderte Vater Jean-Marie, und er sagt: Ich kannte Marine, als sie noch so klein war." Seit Frühjahr 2014 regiert Briffaud im Rathaus. Im Januar hat er miterlebt, wie der Terror durch seine Gemeinde zog: Die beiden Kouachi-Brüder, die Attentäter auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo, hatten sich im nahen Wald versteckt, martialisch hochgerüstete Hundertschaften von Polizei und Gendarmerie durchforsteten die Gegend.

Einen "Bürgerkrieg" nennt er die Stunden von Angst und Ausgangssperre, da habe er an sein altes Idol denken müssen, an Vater Le Pen: "Der hat das alles schon vor 40 Jahren vorhergesagt - und wurde verhöhnt." Im März dieses Jahres, als Briffaud bei den Departements-Wahlen kandidierte, haben ihn seine braven Bürger mit 58 Prozent in den Kreistag gewählt.

Franck Briffaud wähnt sein Land im Abwehrkrieg - gegen "eine muslimische Expansion". Nein, er werde "nicht denselben Fehler wie Madame Merkel machen" und etwa scharenweise Flüchtlinge in seiner Stadt aufnehmen.

© SZ vom 05.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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