Regierungsumzug vor 20 Jahren:Von Bonn nach Berlin

24 Züge mit 50.000 Kubikmeter Inhalt auf einer 650 Kilometer langen Reise: So startete die Regierung vor 20 Jahren ihren Umzug von Bonn nach Berlin. Sechs der Ministerien haben ihren Hauptsitz in der alten Haupstadt behalten, sodass zahlreiche Beamte pendeln müssen. Aber wie lange noch?

in Bildern.

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(Foto: dapd)

"Bonn oder Berlin?" Die Frage nach dem künftigen Regierungssitz brachte vor 20 Jahren viele Bürger - vor allem aber zwischen Rhein, Sieg und Siebengebirge - in Rage. Heute mag einem die damalige Aufregung kaum verständlich sein. Monatelang demonstrierten wütende Bewohner in Bonn mit Transparenten und bösen Sprüchen gegen vermeindlich unloyale Politiker und gierige Berliner. Einige hatten Angst, das Ansehen in der Welt zu verlieren. Der ehemalige Bundesminister Horst Ehmke (SPD) erblickte gar eine "Neuauflage preußisch-deutscher Mystik". Andere sahen den Föderalismus in Gefahr. Doch Berlin hatte die Prominenz auf der Seite: Die Minister folgten bei der Abstimmung weitgehend dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU), der für Berlin votierte. Im Bild: das Bonner Wasserwerk - das Ausweichquartier des Deutschen Bundestages von 1986 bis 1992.

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(Foto: AP)

Aber wie kam es überhaupt zu dieser Wahl zwischen Bonn und Berlin? Von 1701 an war Berlin bereits die Hauptstadt von Preußen und schließlich seit 1871 die des Deutschen Reiches. Erst durch die deutsche Teilung wurde Bonn provisorische Hauptstadt der BRD. Der Ostteil Berlins blieb Hauptstadt der DDR. Nach dem Mauerfall 1989 (Bild) und der im Einigungsvertrag festgelegten gesamtdeutschen Hauptstadt Berlin musste also eine gemeinsame Lösung für den Regierungssitz der wiedervereinten Bundesrepublik Deutschland her. So begann der Wettkampf zwischen Bonn und Berlin. Denn es wäre kein Novum gewesen, Hauptstadt und Regierungssitz räumlich getrennt zu lassen: Auch in den Niederlanden und in Bolivien ist dies der Fall.

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(Foto: DPA)

Als am 20. Juni 1991 das Ergebnis der Abstimmung verkündet wird, jubeln die Berlin-Fans (Bild), die Bonn-Anhänger sind entsetzt. Rita Süssmuth (CDU) präsentiert im Bonner Wasserwerk die Ergebnisse: "Abgegebene Stimmen 660, davon gültige Stimmen 659. Für den Antrag Bundesstaatslösung (Bonn-Antrag) 320 Stimmen, für den Antrag Vollendung der Einheit Deutschlands (Berlin-Antrag) 337 Stimmen, zwei Enthaltungen." Das Berlin-Ergebnis wird später auf 338 Stimmen korrigiert.

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Damit der neue Regierungssitz auch im Glanz erstrahlen kann, wird ein Jahr später ein bundesoffener Realisierungswettbewerb "Umbau Reichstagsgebäude zum Deutschen Bundestag" ausgeschrieben. Im Februar 1993 werden drei Entwürfe prämiert und im Sommer des gleichen Jahres wird der britische Prizker-Preisträger Sir Norman Foster (Foto) beauftragt, seinen Wettbewerbsvorschlag zu überarbeiten. Nach dem überarbeiteten Entwurf des Architekten soll das Reichstagsgebäude eine moderne gläserne Kuppel bekommen, die von innen begehbar sein wird.

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(Foto: AP)

Ein Luftbild vom 20. Juli 1998: So sah die Baustelle um den am Spree-Ufer gelegenen Reichstag in Berlin aus. Neun Monate später wurde der Reichstag ...

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(Foto: dpa)

... vom damaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse eröffnet. Strahlend hielt der SPD-Politiker bei dem Festakt den symbolischen Schlüssel für das Reichstagsgebäude in den Händen, den er von dem Architekten Sir Norman Foster überreicht bekommen hatte.

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(Foto: DPA)

Dann startete auch schon der gigantische Umzug. Bis zum 31. Juli 1999 rollten 24 Züge mit sämtlichen Inhalt des Bundestages von Bonn nach Berlin. Das entspricht etwa 50.000 Kubikmeter Umzugsgut, darunter etwa 36.000 Bücher sowie 11.000 Meter Akten. Die Abgeordneten und ihre Mitarbeiter ziehen in Berlin zunächst in Übergangsquartiere in 16 verschiedenen Gebäuden ein. Das Foto vom 11. Juni 1999 zeigt den Mitarbeiter eines Umzugsunternehmens vor dem Bundestagsgebäude in Bonn.

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(Foto: AP)

Offizieller Arbeitsbeginn von Parlament und Regierung in Berlin war der 1. September 1999. Der Bundestag nahm am 6. September im umgebauten Reichstagsgebäude seine Arbeit auf und feiert am Tag darauf sein 50-jähriges Bestehen. Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder bei einer Pressekonferenz zum offiziellen Arbeitsbeginn von Parlament und Regierung in Berlin.

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(Foto: dpa)

Durch den Umzug musste für Bonn ein Ausgleich her. So wurden Fördergelder in Höhe von 1,5 Milliarden Euro in Verkehrswege, Universitäten und den Kulturstandort investiert, damit Bonn den finanziellen Verlust wettmachen konnte. Außerdem darf die Stadt seither den einmaligen Titel "Bundesstadt" führen. Dieser Platzwechsel zur Vollendung der Einheit bedeutete für viele Beamte, Abgeordnete und Politiker zunächst eine Trennung von Heimat und Familie. Aber nicht für alle - denn sieben Bundesministerien blieben in Bonn und haben auch elf Jahre nach dem Umzug - abzüglich des 1998 aufgelösten Post- und Telekommunikationsministeriums - immer noch ihren formellen Hauptsitz dort. Rund 45 Prozent der Ministerialbeschäftigten arbeiten noch am Rhein, darunter auch für die zweiten Dienstsitze der Berliner Ministerien in Bonn.

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(Foto: dpa)

Auch das Verteidigungsministerium ist in Bonn zu finden, und zwar auf der Hardthöhe. Dort arbeiten circa 3000 Mitarbeiter. Auch der Sitz der Führungsstäbe der Teilstreitkräfte der Bundeswehr befindet sich in Bonn. In diesem Bild von 2010 spricht der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg mit dem neuen Inspekteur des Heeres, Generalmajor Werner Freers, auf der Hardthöhe.

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(Foto: dpa)

Bundesministerin Ilse Aigner war aufgrund der Ehec-Krise in letzter Zeit viel unterwegs. Auch in epidemiefreien Zeiten könnte sie viel reisen - und zwar zwischen Bonn und Berlin. Denn das Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz hat ebenfalls noch in Bonn seinen formellen Hauptsitz, genauso wie ...

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(Foto: ddp)

... das Gesundheitsressort unter der Leitung von Daniel Bahr (FDP). Im Bild sieht man das Richtfest für das Bundesgesundheitsministerium in Bonn im Januar 2007. Eine Krone hängt vor dem Neubau mit 13 Obergeschossen, das circa 28 Millionen Euro gekostet hat. Außerdem ist noch das Entwicklungs- und das Umweltministerium in Bonn zu finden.

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(Foto: Reuters)

Da die Regierungsfunktionen auf zwei Städte aufgeteilt sind, müssen Tausende Beamte hin- und perpendeln. Täglich landen mehrere Flugzeuge aus Köln/Bonn kommend auf dem Flughafen Berlin-Tegel. Die Flugstrecke ist gut gebucht -  3,3 Millionen Euro werden laut einer Berechnung des Bundesfinanzministeriums in diesem Jahr vorraussichtlich für Flugkosten ausgegeben. Doch im Vergleich zu Angaben zum Haushaltsjahr 2010 haben sich die Gesamtkosten für dieses Jahr um geschätzte 1,48 Millionen Euro auf 9,16 Millionen Euro verringert. Grund dafür ...

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(Foto: REUTERS)

... ist der Trend zum Platzwechsel. Das belegt der jüngste "Teilungskostenbericht" des Bundesfinanzministeriums. In dem Bericht, der die Kosten der Arbeitsteilung zwischen Bonn und Berlin beleuchtet, heißt es: Im Jahr 2000 arbeiteten noch 10.470 von 17.226 Bundesministeriumsmitarbeitern (inklusive Bundeskanzler- und Bundespresseamt) in Bonn; im Jahr 2010 waren es von insgesamt 18.207 Mitarbeitern nur noch 8.328.

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(Foto: dpa)

Viele Politiker aus Regierung und Opposition stört seit längerem die Splittung der Regierung. Sie halten die knapp zehn Millionen Euro, die jedes Jahr für Dienstreisen zwischen den beiden Städten ausgegeben werden, für überflüssig. So hält etwa Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) die Zeit für einen Komplettumzug nach Berlin für gekommen. Es sei nicht vernünftig, wenn eine Regierung auf zwei Städte aufgeteilt ist, sagte er der Passauer Neuen Presse. Deshalb sei es "sinnvoll, die Regierungsfunktionen in den nächsten Jahren Schritt für Schritt zusammenzuführen". Die Beamten könnten sehr viel effektiver arbeiten, wenn sie nicht immer wieder Zeit im Flugzeug, im Auto oder im Zug verbringen würden, so der Grundtenor der Kritiker.

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(Foto: AFP)

Zahlreiche Politiker sprechen sich jedoch gegen einen kompletten Umzug der verbliebenen Ministerien von Bonn nach Berlin aus. Sie fürchten, das Ansehen der Bundesstadt Bonn könnte Schaden nehmen. Für ein entsprechendes Gesetz, das Voraussetzung für einen vollständigen Umzug wäre, gebe es unter den Abgeordneten keine Mehrheit, sagte Bundestagsvizepräsident Eduard Oswald (CSU) der Wochenzeitung Das Parlament.

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(Foto: dpa)

Auch Wolfgang Schäuble werde sich in der Frage eines kompletten Regierungsumzuges "nicht besonders stark" engagieren, kündigte er an. Denn seine Verdienste um Berlin hat er sich ohnehin längst erworben. Der heutige Finanzminister hatte mit einer leidenschaftlichen Rede in der sogenannten - und in ihrem Begriff bezüglich eines Regierungsumzuges irreführenden - Hauptstadtdebatte des Bundestages am 20. Juni 1991 den entscheidenden Impuls für den Beschluss zugunsten Berlins gegeben. In der Abstimmung unterlag Bonn mit knappen 17 Stimmen Berlin.

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