Regierungskrise in Großbritannien:Johnson wankt - und kämpft

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Der britische Premier Boris Johnson verlässt am Mittwochmittag seinen Amtssitz in der Downing Street und begibt sich zu einer Befragung ins Unterhaus. (Foto: Frank Augstein/dpa)

Der britische Premier verliert binnen weniger Stunden zwei Minister und etwa 40 weitere Amtsträger. Zurücktreten will er nach wie vor nicht, stattdessen entlässt er ein wichtiges Kabinettsmitglied. Nun droht ein neues Misstrauensvotum.

Von Alexander Mühlauer, London

Nach den Rücktritten zweier wichtiger Minister und etwa 40 weiterer Amtsträger will der britische Premier Boris Johnson um seinen Verbleib kämpfen. Die Aufgabe eines jeden Premierministers, der ein starkes Mandat habe, sei es weiterzumachen, sagte Johnson am Mittwoch im britischen Parlament. "Und das ist das, was ich tun werde." Der Premier versprach, das Land weiter durch schwierige Zeiten zu bringen, so wie er das bereits während der Corona-Pandemie gemacht habe.

Im Laufe des Mittwochabends legten mehrere Kabinettsmitglieder dem Premier nahe, sein Amt aufzugeben. Darunter waren Innenministerin Priti Patel, Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng und Verkehrsminister Grant Shapps. Bereits zuvor hatte Wohnungsbauminister Michael Gove Johnson aufgefordert, zurückzutreten. Der Premier wollte davon aber nichts wissen. Stattdessen entließ er Gove laut Medienberichten noch am Abend.

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Bei seinem Auftritt im Unterhaus hatte sich Johnson zuvor auch von Tory-Seite heftige Kritik an seinem Führungsstil anhören müssen. "Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass das Problem an der Spitze zu finden ist, und das wird sich nicht ändern", sagte der am Dienstagabend zurückgetretene Gesundheitsminister Sajid Javid. Er rief seine ehemaligen Kabinettskollegen indirekt dazu auf, Johnson zu stürzen: "Nichts zu tun, ist eine aktive Entscheidung. Diejenigen von uns, die in einer Position dazu sind, haben die Verantwortung, etwas zu ändern." Lange habe er den Beteuerungen Johnsons geglaubt, aber nun sei der Punkt erreicht, an dem es genug sei.

Ausgelöst wurde die Regierungskrise in London durch die Rücktritte von Gesundheitsminister Javid und Finanzminister Rishi Sunak am Dienstagabend. Ihnen folgten binnen 24 Stunden etwa 40 konservative Amtsträger, darunter einige Staatssekretäre. Als Grund für die Rücktrittswelle gilt das Verhalten des Premiers in der sogenannten Pincher-Affäre. Johnson hatte dem Tory-Abgeordneten Chris Pincher ein Fraktionsamt anvertraut, obwohl ihm Vorwürfe der sexuellen Belästigung bekannt waren, was Johnson jedoch zunächst leugnete. Erst in der vergangenen Woche war Pincher zurückgetreten, weil er betrunken zwei Männer begrapscht haben soll. Johnson erklärte am Mittwoch, dass er ein solches Verhalten nicht dulde und dass der Fall von einer unabhängigen Kommission untersucht werde.

Inwieweit Johnson sein eigenes Schicksal noch selbst in der Hand hat, war zunächst unklar. Am Mittwochabend tagte das mächtige 1922-Komitee, das Gremium bestimmt darüber, welche Regeln für ein Misstrauensvotum gegen den Tory-Parteichef gelten. Johnson hatte erst vor einem Monat eine solche Abstimmung nur knapp überstanden. Gemäß den bislang geltenden Regeln der Konservativen Partei darf für die Dauer von zwölf Monaten nach dem Votum kein neuer Versuch unternommen werden. Doch die Forderungen, diese Vorgehensweise zu ändern, wurden am Mittwoch immer lauter. Im Laufe des Abends entschied das 1922-Gremium, am kommenden Montag eine neue Komiteespitze zu wählen. Danach könnte es zu einer Regeländerung und damit einem erneuten Misstrauensvotum kommen. Johnsons Gegner wollen noch vor der parlamentarischen Sommerpause in diesem Monat abstimmen.

Johnson zeigte sich davon unbeeindruckt und ließ über eine Sprecherin ausrichten, dass er weiterhin davon überzeugt sei, die Mehrheit seiner Fraktion hinter sich zu haben. Ob es zu einem weiteren Misstrauensvotum gegen Johnson kommt, hängt wohl vor allem davon ab, ob die Mehrheit der konservativen Abgeordneten der Meinung ist, mit Johnson die nächste Unterhauswahl gewinnen zu können. Der Premierminister versuchte am Mittwoch, daran keinen Zweifel aufkommen zu lassen. Er werde das liefern, was das britische Volk zu Recht von ihm verlange, und die nächste Wahl gewinnen, sagte er im Parlament.

Dem Vernehmen nach plant Johnson eine Art Befreiungsschlag. In Westminster heißt es, er soll parteiinternen Kritikern in Aussicht gestellt haben, möglichst bald die Steuern zu senken. Der neue Finanzminister Nadhim Zahawi sagte am Mittwoch in der BBC, dass er die Pläne seines Vorgängers, die Körperschaftsteuer von 19 auf 25 Prozent zu erhöhen, überprüfen werde. Laut britischen Medien will Johnson auch die Steuerlast für Bürgerinnen und Bürger senken, um seine schlechten Umfragewerte zu verbessern.

Wie stark Johnson mittlerweile an Rückhalt verloren hat, zeigte sich am Mittwoch auch in der konservativen Presse. Die regierungsfreundliche Daily Mail schrieb, dass es nun selbst für einen wie Johnson schwierig werde, aus dieser Situation herauszukommen. Die Times forderte den Premier auf, zum Wohl des Landes zurückzutreten. Jeder Tag, den er im Amt bleibe, verstärke das Chaos, Johnson habe keine Autorität mehr. Nach Meinung der Times ist das Spiel nun vorbei, "Game over".

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