Regensburg:Am Siedepunkt

Lesezeit: 4 min

„Ich bin einfach verbittert“, sagt Joachim Wolbergs vor Gericht, als ihn die Richterin sanft darum bittet, sich ein wenig zusammenzureißen. (Foto: Armin Weigel/dpa)

Vor Gericht klagt der Angeklagte Joachim Wolbergs erst mal alle anderen an. Der suspendierte Oberbürgermeister der Stadt Regensburg und die Frage, wann aus Zusammenarbeit Kumpanei wird.

Von Andreas Glas und Annette Ramelsberger

Er hat die Schnauze voll, und das lässt er jetzt auch alle spüren. "Es ist eine Sauerei, diesen Vorwurf zu konstruieren", ruft er der Staatsanwältin zu, die ihn wegen Korruption angeklagt hat. Der Mann gestikuliert wild, sein Kopf ist rot. "Sie haben ja Glück, dass ich nichts mehr zu melden habe", droht er. "Wenn ich mal wieder in einer Position sein sollte, in der ich was zu sagen habe, dann würde ich anweisen, gegen Sie auf Amtshaftung zu klagen." Die Staatsanwältin sieht den Mann fassungslos an.

Da sitzt der suspendierte Oberbürgermeister der Stadt Regensburg auf der Anklagebank und klagt selbst an. Nicht nur die Staatsanwältin, sondern alle: die politischen Gegner, die Medien, alle, die gegen ihn sind. Weil er sich im Recht fühlt und unschuldig verfolgt. Doch vielleicht sind bei ihm auch nur die Koordinaten verrutscht für das, was man darf. Und was nicht.

Joachim Wolbergs, 47, SPD, sagt: Das, wofür er angeklagt sei, sei alles ganz normal. Alle machten es so, die CSU, die SPD, das sei kein "Regensburg-Phänomen", sondern üblich in der ganzen Republik. Aber ausgerechnet er werde vor Gericht gezerrt, er werde vernichtet. Wolbergs hat Spenden von einem Bauunternehmer bekommen, 475 000 Euro, schön aufgeteilt in lauter 9900-Euro-Tranchen, damit der Spender nicht genannt werden muss. Sie flossen in seinen Wahlkampf.

Bestechung und Bestechlichkeit wirft die Staatsanwaltschaft Bauträger und Oberbürgermeister vor, Verstöße gegen das Parteiengesetz, wettbewerbswidrige Absprachen. Ein riesiges Baugebiet, das Nibelungenareal, soll im Gegenzug für die Wahlkampfunterstützung an den Bauträger gegangen sein. Alles sehr komplex.

Im Grunde aber geht es in Regensburg um recht einfache Fragen. Wo verläuft die Grenze zwischen Nähe und Distanz? Wo schlägt das bürgernahe Versprechen "Wir helfen uns gegenseitig" um ins strafbare "Eine Hand wäscht die andere"? Wo wird aus guter Zusammenarbeit Kumpanei?

Zwei Männer sitzen da auf der Anklagebank, bei einem geht es um alles, beim anderen nicht

Der Kölner Klüngel ist legendär, in Wuppertal stand der OB vor Gericht, weil ein Unternehmer 500 000 Euro spendete. Am Ende wurde er freigesprochen. In Regensburg wurde der OB direkt aus dem Amt heraus in Untersuchungshaft genommen - und in das Hochsicherheitsgefängnis Straubing gebracht, wo die Lebenslänglichen sitzen. Sechs Wochen war er dort.

Dass dieser Mann nun vor Gericht wütet, ist fast verständlich. Die Staatsanwältin bittet vorsichtig darum, der Angeklagte wolle doch von persönlichen Angriffen absehen. Die Richterin sagt milde, sie wolle nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen, sie habe Verständnis für beide Seiten. Wolbergs verspricht, sich zusammenzureißen. Er sagt: "Ich bin einfach verbittert."

In der Reihe hinter Wolbergs sitzt der Spender Volker Tretzel. Er verzieht nur ein wenig den Mund, halb indigniert, halb mitleidig. Mehr ist da nicht. Zwei Männer auf der Anklagebank. Der eine so entspannt, dass er sich gelassen zurücklehnt. Der andere so angespannt, so geladen, so voller Emotionen, dass er sich kaum im Griff hat. Zwei Männer, denen das Gleiche vorgeworfen wird: Der eine soll dem anderen Vorteile verschafft haben, weil er sich etwas davon versprach. Der andere soll diese Vorteile angenommen haben. Aber bei dem einen geht es um alles, bei dem anderen nicht. Der OB ist erledigt, selbst wenn er nur eine Bewährungsstrafe bekommt. Er braucht einen Freispruch. Das Geschäft des Bauunternehmers aber wird weiterlaufen, selbst wenn er verurteilt wird. Es gibt dieses Sprichwort: Geld macht nicht glücklich, aber es beruhigt.

Volker Tretzel ist 76 Jahre alt, drahtig, schlank. Man könnte ihn zehn Jahre jünger schätzen. Er besitzt eine Yacht, ein Privatflugzeug, und bis vor Kurzem hatte er auch einen Fußballverein, den Jahn Regensburg, der in der zweiten Bundesliga spielt. An ihm hielt Tretzel 90 Prozent der Anteile. Bei Tretzel geht es in diesem Prozess nur darum, dass seine Anwälte ihn möglichst geräuschlos aus der Gefahrenzone lotsen.

Auf dem Richtertisch türmen sich Gutachten zu einem riesigen Stapel. Es ist eine Materialschlacht

Wolbergs sucht die offene Feldschlacht, Tretzel setzt auf die Materialschlacht. Eine ganze Riege von Anwälten umstellt ihn. Man lässt es an nichts fehlen: Ein eigener Anwalt soll die Medien in Schach halten, ein Stenograf jedes Wort vor Gericht mitschreiben. Tretzels Anwälte präsentieren gleich am ersten Tag ein Gutachten nach dem anderen. Eines, das zeigen soll, dass Tretzel das Nibelungenareal nicht zu günstig, sondern sogar zu teuer von der Stadt Regensburg gekauft hat. Angeblich hat er 1,7 Millionen zu viel gezahlt. Dann ein Gutachten, das zeigen soll, dass es angeblich nicht gegen geltendes Recht verstößt, dass der ebenfalls angeklagte Chef der SPD-Stadtratsfraktion die Firma Tretzel heimlich am Ausschreibungstext mitschreiben ließ. Sie sollte Änderungswünsche "in Rot" eintragen. Und dass es nicht unrechtmäßig ist, dass Wolbergs den Stadtrat über diese Einflussnahme nicht informiert hat. Ein Frankfurter Strafrechtler nimmt qua Gutachten den Haftbefehl gegen Tretzel und Wolbergs auseinander. Ein Ordinarius aus Erlangen zerpflückt die Abhöraktionen gegen die Angeklagten. Gute Juristen können alles begründen - und das Gegenteil, Tretzel hat sich die besten geholt. Wie ein riesiger Stapel türmen sich die Gutachten auf dem Richtertisch.

Schon hat das Gericht in seinem Eröffnungsbeschluss die Anklage von Bestechung und Bestechlichkeit auf Vorteilsgewährung und Vorteilsannahme heruntergedimmt. Aber die Angeklagten wollen mehr: einen Freispruch. 70 Prozesstage hat das Gericht angesetzt, Minimum. Und läuft es schlecht für Wolbergs, droht ihm ein zweites und ein drittes Verfahren. Wegen seiner Nähe zu zwei weiteren Bauunternehmern. Die Staatsanwälte ermitteln gegen ihn - aber inzwischen auch gegen die politische Konkurrenz: seinen Amtsvorgänger von der CSU, den CSU-Kreischef und einen CSU-Stadtrat. Immer geht es um die Nähe zwischen Politik und Bauträgern. Offenbar war das, was in Regensburg geschah, kein reines System Wolbergs.

Der Angeklagte Wolbergs sieht es ohnehin so: Tretzel, der Bauunternehmer, habe "gespendet, weil er mich mochte. Und weil er immer gesagt hat: Sie werden ein guter Oberbürgermeister für die Stadt". So einfach kann man es sich machen.

© SZ vom 27.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: