Reform der EU:Wie sich Europa verändern soll

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"Eine Neugründung Europas" fordert Frankreichs Wirtschaftsminister Emmanuel Macron - dafür seien auch Tabubrüche nötig. (Foto: Francois Lenoir/Reuters)
  • Deutschland unterstützt die französischen Forderungen nach einer tiefen Reform der Euro-Zone.
  • Kanzlerin Merkel will die Pläne zunächst mit Frankreichs Präsident Hollande bilateral konkretisieren.
  • Es geht um den schrittweisen Ausbau der Euro-Zone zu einer Wirtschafts- und Sozialunion.

Von Daniel Brössler, Brüssel, und Cerstin Gammelin, Berlin, Berlin/Brüssel

Die Bundesregierung unterstützt die Forderungen der französischen Regierung nach einer tiefen Reform der Euro-Zone einschließlich der Einrichtung eines eigenen Euro-Haushaltes. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte am Montag in Berlin, sie habe "schon vor Jahren darüber gesprochen" und freue sich, "dass diese Diskussion jetzt auch in Frankreich vertieft geführt werde.

Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) sagte im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung, der stufenweise Ausbau der Euro-Zone "hin zu einer Wirtschafts- und Sozialunion mit einer stärkeren Koordinierung und Harmonisierung der Wirtschafts- und Steuerpolitik" könne "die Basis sein für weiter reichende und langfristigere Zielvorstellungen wie die Errichtung eines Eurozonen-Budgets". Er unterstütze das Anliegen des französischen Wirtschaftsministers Emmanuel Macron, "eine offene Debatte über die Weiterentwicklung der Währungsunion und die Frage eines Euro-Zonen-Budgets zu führen".

"Wir müssen Reformen anpacken, die mit alten Gewohnheiten brechen"

Macron hatte am Montag in einem Interview mit der SZ die grundlegende Erneuerung der Europäischen Union gefordert. Deutschland und Frankreich müssten über ihren Schatten springen, sagte Macron. "Für uns Franzosen heißt das, wir müssen Reformen anpacken, die mit alten Gewohnheiten brechen." Auch von Deutschland verlangte er "Tabubrüche", freilich ohne die Bundesregierung direkt anzusprechen. Falls "die Mitgliedstaaten" zu keiner Form von Finanztransfers in der Währungsunion bereit seien, "können wir den Euro und die Euro-Zone vergessen". Konkret forderte Macron "eine starke europäische Wirtschaftsregierung für den Währungsraum mit einem eigenen Budget".

ExklusivEmmanuel Macron im Interview
:"Wir wollen eine Neugründung Europas"

Frankreichs Wirtschaftsminister fordert eine Euro-Wirtschaftsregierung und Finanztransfers für schwächere Länder, sonst könne man den Euro und die Euro-Zone vergessen.

Der Vorstoß Macrons ist Teil einer französischen Initiative zum weiteren Ausbau der Wirtschafts- und Währungsunion. Am 14. Juli hatte zunächst Staatspräsident François Hollande tief greifende Reformen gefordert. Paris sei bereit, einen Finanzminister und ein Euro-Budget einzurichten und dazu nationale Kompetenzen nach Europa abzugeben, hatte Hollande erklärt.

Merkel sagte am Montag, sie habe mit Hollande verabredet, die Pläne beider Länder zunächst bilateral zu konkretisieren. Man müsse darüber reden, was die Euro-Zone wirklich brauche, um die Ungleichgewichte zwischen den Staaten abzubauen. "Dann werden wir sehen, was die anderen Staaten dazu sagen", wies sie darauf hin, dass ein deutsch-französischer Vorstoß allein nicht ausreiche, um die Währungsunion zu reformieren.

Sie verwies zugleich auf frühere EU-Gipfel, auf denen sie bereits "von einem kleinen gemeinsamen Budget" gesprochen habe, "um Länder bei der Erlangung ihrer Wettbewerbsfähigkeit zu unterstützen". Allerdings sei sie vor zwei Jahren damit gescheitert, dieses Budget unter den europäischen Staats- und Regierungschefs durchzusetzen. Dieses Scheitern vor Augen, werde sie in der aktuellen Diskussion darauf verzichten, "weitere Zeitvorgaben zu machen".

Merkel hatte 2012 vorgeschlagen, ein Euro-Budget einzurichten, aus dem soziale Notlagen in solchen Euro-Ländern gemildert werden sollten, die Reformen durchziehen. Im Gegenzug sollten die Euro-Staaten verbindliche Reformpläne unterschreiben - was diese ablehnten.

Auf Kritik stieß der Vorstoß Macrons bei deutschen Abgeordneten im Europaparlament. "Krisenstaaten brauchen weiterhin die konkrete Motivation für Reformen und Haushaltskonsolidierung. Eine reine Transferunion böte keine Erfolgskontrolle mehr", sagte Herbert Reul (CDU), der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament. Direktzahlungen anstatt von Krediten kämen "nicht infrage". Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber warf Macron vor, er wolle unbequeme Regeln abschaffen und eine Transferunion errichten.

Merkel und Gabriel warnen vor übertriebenen Hoffnungen

Udo Bullmann, Vorsitzender der Europa-SPD, lobte die Vorschläge Macrons zur Wirtschaftspolitik, kritisierte aber den Vorstoß zur Schaffung eines Euro-Gruppen-Parlaments. Macron mache "einen für die französische Debatte typischen Fehler". Ein Euro-Zonenparlament müsse "nicht mehr erfunden werden, das Europäische Parlament kann schon heute als voll funktionstüchtiges Parlament alle Fragen der Euro-Zone zufriedenstellend regeln und demokratisch kontrollieren". Es müsse nur die "Zukunftsblockade durch die EU-Mitgliedstaaten" überwunden werden.

Wie hoch das jetzt diskutierte Euro-Budget ausfallen könnte, ist bisher offen. Von französischer Seite werden ein bis drei Prozent des Bruttosozialprodukts angepeilt. Die Bundesregierung wollte sich nicht festlegen. Ihre Zustimmung gilt als unwahrscheinlich. Um zusätzlich ein Prozent des deutschen Bruttosozialproduktes in ein Euro-Budget zu überweisen, würde beispielsweise eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um zwei Prozentpunkte erforderlich.

Merkel und Gabriel warnten vor übertriebenen Hoffnungen. Sie gehe davon aus, "dass wir eher einen kontinuierlichen Entwicklungspfad erleben werden", sagte Merkel. Mit der Bankenunion und der Kapitalunion seien wichtige Schritte getan. Gabriel forderte, "dass wir uns von der theoretischen Debatte lösen und konkrete Schritte besprechen".

© SZ vom 01.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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