Rechtsextreme Übergriffe:Nachts fliegen die Pflastersteine

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Verschmierte Fassaden und gesprengte Briefkästen: Immer mehr Wahlkreisbüros werden Opfer nächtlicher Übergriffe von Rechtsextremen. Die Zahl hat sich vervierfacht - die Betroffenen sind machtlos.

Hanna Ziegler

Ein großer schwarzer Klecks prangt auf dem Eingang des Altbaus an der Lübschen Straße in Wismar. In kleinen Bahnen rinnt der feuchte Teer nach unten. Auf dem Treppenabsatz liegen weiße Daunenfedern wie aus einem aufgeplatzten Kissen verteilt. Neben den dunklen Sprenkeln auf der hellen Altbaufassade steht in großen Lettern "Pech gehabt".

"Es ist ein unsichtbarer Feind, wie soll man sich da wehren?" Rechtsextreme nehmen immer mehr Wahlkreisbüros ins Visier. (Foto: ap)

Hinter der Fassade befindet sich ein Wahlkreisbüro der Linken. Teeren und federn, eine mittelalterliche Strafe, offenbar wiederentdeckt von jungen Rechtsextremen. 26 Mal wurden in diesem Jahr allein in Mecklenburg-Vorpommern Anschläge auf Wahlkreisbüros verübt. Im gesamten Vorjahr waren es acht. "Anschläge, die gegen demokratische Parteien gerichtet sind, sind ein neues Phänomen. In den letzten ein bis zwei Jahren haben sie sich immens ausgeweitet", sagt der Berliner Rechtsextremismus-Forscher Hajo Funke.

Eingeschlagene Fensterscheiben, beschmierte Fassaden, gesprengte Briefkästen, verklebte Schlösser. In dieser Hinsicht zeigen sich die jungen Nationalisten ausnahmsweise vielfältig. Nicht nur die Linke muss Anschläge fürchten. Mittlerweile sind sämtliche Parteien, die im Bundestag sitzen, Ziele der Rechten. Ihr Feindbild: sämtliche Demokraten.

Die Täter bleiben meist unentdeckt. Ein paar Wochen nach der Anzeige liegt in der Regel ein Brief der Staatsanwaltschaft im Briefkasten. Das Verfahren wurde eingestellt - erfolglos. "Es ist ein unsichtbarer Feind, wie soll man sich da wehren?", fragt André Schubert. "Wir reparieren den Schaden und zeigen ihn an. Mehr können wir nicht tun." Schubert ist Mitarbeiter im Wahlkreisbüro des Linken-Politikers Gregor Gysi. Pflastersteine krachten bereits dreimal durch die Schaufenster des Büros in Berlin-Niederschöneweide. Weitere sieben Anschläge wurden in den vergangenen vier Jahren verübt.

Rund 60 Anschläge hat es in diesem Jahr bisher auf Wahlkreisbüros von Unna bis nach Rostock gegeben. Hochgerechnet bedeutet das eine Vervierfachung im Vergleich zum Vorjahr. "Die Aktivitäten sind dort am stärksten, wo die NPD als Kader stark aufgestellt ist. Das ist vornehmlich in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Teilen von Nordrhein-Westfahlen so", sagt Funke.

Ein Schreiben des Staatsanwalt landete in der Rubrik "Satire"

Knapp die Hälfte der bundesweiten Sachbeschädigungen wird bis Mitte Juni allein in Mecklenburg-Vorpommern begangen. Elf Mal trifft es die Linke, neun Mal die SPD. Hier an der Ostsee pflegt der stellvertretende Landesvorsitzende der NPD, David Petereit, ein gut funktionierendes Netzwerk.

Auf seiner Homepage veröffentlichte er die Adressen von Bürgerbüros unter dem Titel "Demokraten gibt es auch in deiner Stadt". Die Staatsanwaltschaft Schwerin hat in diesem Service die Aufforderung zu einer Gewalttat gesehen. Das Schreiben des Staatsanwalts veröffentlichte Petereit unter der Rubrik "Satire". Darunter posteten Nutzer ungerührt weitere Anschriften der verhassten Demokraten.

Nein, einen Hehl macht der Politiker nicht aus seiner rechten Gesinnung. Über einen Internet-Versand vertreibt er Nützliches - etwa Teleskop-Schlagstöcke und Heftchen, die Titel tragen wie "Volk in Bewegung". Es sind Zeichen ihrer Ablehnung gegen die rechtsstaatlichen Prinzipien.

"Anschläge werde teilweise sogar offen angekündigt", berichtet Politikwissenschaftler Funke. Die Entwicklung zeige "eine Frühform des Terrorismus". Es müsse nur noch eine kleine Schwelle überschritten werden, bis auch Personen angegriffen würden, sagt Funke.

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