Rechtschreibung:Lob der Fibel

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Wie gut können Kinder heute noch mit der Hand schreiben? (Foto: Jens Kalaene/dpa)

Wie lernen Schüler am besten schreiben? Die Autoren einer neuen Studie sagen: mit der herkömmlichen Methode. Das bedeutet zwar nicht das Ende der Anlauttabelle, wird aber trotzdem Folgen für den Unterricht haben.

Von Paul Munzinger, München

Kindern lesen und schreiben beizubringen ist vielleicht die wichtigste Aufgabe der Schule. Entsprechend umstritten ist die Frage, wie das am besten gelingt. Auf die klassische Art, mit der Fibel, die den Kindern Buchstabe für Buchstabe beibringt, mit Struktur und System? Oder mit reformpädagogischen Konzepten, nach denen sich die Kinder das Schreiben selbst aneignen sollen, möglichst frei und kreativ? Eine Studie von Bonner Forschern gibt auf diese Frage nun eine erstaunlich klare Antwort - und schlägt damit Wellen bis ins politische Berlin.

Anhand der Rechtschreibleistungen von mehr als 3000 Grundschülern in Nordrhein-Westfalen haben die Forscher um die Psychologin Una Röhr-Sendlmeier drei Methoden verglichen: einerseits die Fibel, andererseits die Konzepte "Lesen durch Schreiben" und "Rechtschreibwerkstatt". Das Ergebnis: Kinder, die mit der Methode "Lesen durch Schreiben" gelernt haben, machten am Ende der vierten Klasse 55 Prozent mehr Fehler als Kinder, die mit der Fibel unterrichtet wurden; bei der "Rechtschreibwerkstatt" waren es sogar 105 Prozent mehr Fehler.

Die Studie zu diesen Zahlen liegt noch nicht vor. Bislang gibt es nur die Ergebnisse, über die zunächst Spiegel Online berichtet hatte. Sie werden nun heftig diskutiert, bestätigen sie doch die massive Kritik, der die Methode "Lesen durch Schreiben" seit Jahren ausgesetzt ist. Vielen gilt sie als eine Ursache für das schlechte Abschneiden deutscher Schüler bei Lese- und Schreibtests. Jeder Fünfte erreicht in der Rechtschreibung die Mindestanforderungen nicht; fast ebenso viele können am Ende der Grundschule nicht richtig lesen, Tendenz steigend. Auch deshalb dürfen Lehrer in Schleswig-Holstein "Lesen durch Schreiben" seit diesem Schuljahr nicht mehr anwenden, so wie bereits in Baden-Württemberg und Hamburg. Nordrhein-Westfalen will die Methode nur noch in der ersten Klasse erlauben.

Bildungsministerin Karliczek fordert, die Studie schnell in die Praxis umzusetzen

Der Deutsche Lehrerverband fordert nun ein bundesweites Verbot. "Es geht jetzt darum, möglichst schnell weiteren Schaden von unseren Grundschulkindern abzuwenden", sagte dessen Präsident Heinz-Peter Meidinger. Selbst Bundesbildungsministerin Anja Karliczek meldete sich zu Wort. Die Ergebnisse der Studie müssten nun schnell in der Praxis Anwendung finden, forderte die CDU-Politikerin.

"Lesen durch Schreiben", auch "Reichen-Methode" genannt, wurde in den 80er-Jahren von dem Pädagogen Jürgen Reichen entwickelt. Er propagierte ein Ende des Buchstabenbüffelns. Die Kinder sollten sich das Schreiben selbst erschließen, indem sie Sprache in Schrift verwandeln. Zentrales Hilfsmittel ist die Anlauttabelle. Sie zeigt für jeden Buchstaben ein Bild: einen Affen für A, einen Hund für H. Fehler sollen die Lehrer nicht verbessern, um die Kinder nicht zu demotivieren. Die "Rechtschreibwerkstatt" dagegen stellt den Kindern Material zur Verfügung, das sie individuell und ohne Zeitvorgaben bearbeiten.

In Reinform komme die Reichen-Methode allerdings kaum zum Einsatz, sagt der emeritierte Siegener Bildungsforscher Hans Brügelmann. Er ist selbst ein Befürworter des freien Schreibens - in Anlehnung an, aber auch in Abgrenzung von Reichen, weil dessen Ansatz die Rechtschreibung vernachlässige. In der Praxis werde heute auch auf Fehler hingewiesen. Auch beim Lernen mit der Fibel herrschten Mischformen vor. Beispiel Hamburg: Dort ist die Reichen-Methode zwar verboten, die Anlauttabelle aber laut Bildungssenat "gut und gewünscht".

Es sei verantwortungslos, sagt Brügelmann, dass die Forscher Zahlen in die Welt setzten, aber nicht die Studie. So bleibe unklar, wie die Methoden unterschieden würden; auch sei nichts über die Schüler bekannt. Studienautorin Röhr-Sendlmeier hält dagegen: Die Schulen seien selbst gefragt worden, nach welcher Methode sie lehrten. Und die Ausgangslage der Schüler habe man durchaus berücksichtigt - mit dem Ergebnis, dass die Fibel gerade Kindern mit geringen Vorkenntnissen helfe: "Es werden weniger Kinder abgehängt." Die Studie soll in den nächsten Wochen veröffentlicht werden.

© SZ vom 19.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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