Andrea Röpke beschäftigt sich seit 20 Jahren intensiv mit der rechtsextremen Szene. Die 51-Jährige drehte Beiträge über Neonazi-Veranstaltungen, zeigte, wie Kinder in einem Zeltlager nach Vorbild der Hitlerjugend gedrillt wurden. In ihrem aktuellen "Jahrbuch rechter Gewalt" dokumentiert sie rechte Übergriffe und beschreibt an einzelnen Fällen, wie Rechtsextreme gezielt eine Stimmung des Hasses schaffen.
SZ: Die Zahl rechter Übergriffe ist explodiert, in Ihrem "Jahrbuch rechte Gewalt" haben Sie über ein Jahr lang 1000 Fälle dokumentiert. Sie reichen von Beleidigungen über Brandstiftung bis hin zu schwerer Körperverletzung. Im Alltag werden solche Meldungen nur noch mit einem Schulterzucken bedacht. Warum gibt es nicht mehr Empörung?
Andrea Röpke: Es ist schwierig für Menschen in dieser schnelllebigen Zeit den Überblick zu behalten. Schockierende Meldungen gibt es jeden Tag und es fehlt die Zeit, sich intensiver damit zu beschäftigen. Die Folge ist Resignation. In dem wir die Fälle klassisch in einem Buch zusammengefasst haben, findet zunächst einmal eine Entschleunigung statt. Der Leser kann in Ruhe nachlesen, nach seiner Region suchen. Damit geben wir den Taten wieder ein Forum, damit sie nicht in Vergessenheit geraten.
Die schiere Zahl der Fälle wirft die Frage auf: Hat Deutschland nicht nur ein Problem mit islamistischem, sondern auch mit rechtem Terror?
Auf jeden Fall. Trotz allem leben wir privilegiert in einem sicheren Land, nur leider gilt das nicht für alle Menschen. Es gibt mittlerweile viele Orte in der Bundesrepublik in denen Rechte die Jagd eröffnet haben - auf Menschen, die ihnen nicht passen. Chemnitz zum Beispiel erklärten Neonazis zu ihrer befreiten Zone. Tatsächlich wurde das Büro einer Linkenpolitikerin dort 22 Mal im letzten Jahr angegriffen, sie musste es räumen. In Bautzen patrouillieren rechte Jugendliche auf den Straßen, um Flüchtlinge und alternative Jugendliche einzuschüchtern. Immer wieder kommt es zu Angriffen. Allerorts werden Menschen wegen ihrer Hautfarbe zusammengeschlagen. Über 140 Mal wurden Flüchtlingseinrichtungen attackiert. Dieser alltägliche Terror verschwindet im Schatten der schrecklichen Taten von Islamisten, wie dem Terroranschlag am Breitscheidplatz.
Sie beschäftigen sich seit mehr als 20 Jahren mit Rechtsextremismus und Rassismus. Was hat sich seitdem veränder?
Leute schimpfen heute an der Supermarktkasse über Merkel. Es ist cool "Patriot" zu sein, das lautstark zu zeigen. In der S-Bahn geht es gegen die "Volksverräter". Frauen, Studenten, Rentner tragen einen Hass in sich, der auch in Gewalt umschlagen kann. Bürgermeister bekommen Morddrohungen von bisher unauffälligen Bürgern. Das ist eine ganz andere Intensität als früher. Einstige Neonazi-Parolen wurden vom wütenden Bürger von nebenan längst übernommen.
Da, wo der Hass in Gewalt umschlägt, haben Neonazis Vorarbeit geleistet und Strukturen aufgebaut. Ein gutes Beispiel dafür ist Sachsen, dort hat rechte Gewalt um 90 Prozent zugenommen. In Schneeberg zum Beispiel, gelegen im Erzgebirgskreis, einer Gegend mit nicht mal einem Prozent Ausländeranteil. Dort sollte eine Flüchtlingsunterkunft errichtet werden. Schon frühzeitig gründete ein NPD-Mitglied etwa 2013 eine Bürgerinitiative im Internet, scharte Sympathisanten um sich, dann wurde der Protest auf die Straße getragen. Ich war vor Ort, der Marktplatz war voller Menschen. Pärchen gingen eingehakt, ganze Familien waren unterwegs. Es schien ein spontaner Protest gegen Flüchtlinge, doch beim genauen Hinsehen erkannte man NPDler als Redner auf der Bühne, rechte Türsteher als Ordner, Neonazis schrieen die Parolen vor.
Rädelsführer waren hier aber klar Rechtsextreme. Sie greifen in Ihrem Buch auch den Fall eines einfachen Finanzbeamten auf, der in Schleswig-Holstein ein geplantes Flüchtlingsheim angezündet hat. Wie wird aus einem unbescholtenen Bürger ein Täter?
Oft findet sich zunächst im Netz eine Gruppe gegen ein Flüchtlingsheim zusammen, Kritiker werden ausgefiltert. Die Stimmung heizt sich an. In Escheburg in Schleswig-Holstein sollten sechs männliche Flüchtlinge einquartiert werden. Die Anwohner liefen Protest, ein einfacher Finanzbeamter drohte und steckte danach die Unterkunft in Brand. Oft fühlen sich diese Täter als Teil einer Gesinnungsfamilie, die etwas für den Erhalt der eigenen Kultur, der eigenen Nation, der eigenen Umgebung unternehmen, auch wenn es Straftaten sind. Es ist keiner da, der bremst. Der Finanzbeamte hat sich als Rädelsführer aufgespielt und war dann der Meinung, er müsste den Worten Taten folgen lassen. Im Prozess jammerte er und schämte sich.
In den neunziger Jahren haben Sie sich bei Treffen von Altnazis eingeschleust, später waren Sie bei Neonazifestivals, haben über Zeltlager für Kinder im Stil der Hitlerjugend berichtet. Alles eher konspirative Treffen, bei denen keine Öffentlichkeit erwünscht war. Hat sich die rechtsextreme Szene angesichts der aktuellen Stimmung geöffnet?
Jetzt, wo der Rassismus in der Bevölkerung zunimmt, greifen auch die Strategien von Neonazis um Außenwirkung. Diese heterogene braune Szene arbeitet nach beiden Seiten. Vor allem aber wollen sie den Medien gegenüber kontrollieren, was an die Öffentlichkeit gerät und was nicht. Ein gutes Beispiel ist Götz Kubitschek als Vordenker der Neuen Rechten. Er spricht bis zu einem gewissen Maß mit der Presse, gibt sich umgänglich. Doch wenn Journalisten ungefragt hinter die Kulissen seiner Machenschaften gucken, dann flippt er aus, wird aggressiv. Neonazis wollen schon mal gar nicht, dass man bei internen Schulungen vor Ort ist. Denn dort wird Tacheles geredet.
In der kommenden Woche wird über ein Verbot der rechtsextremen Partei NPD entschieden. Welche Rolle spielt die überhaupt noch?
Ich würde die Partei nicht unterschätzen. Ihr es ist immer wieder gelungen, sich neu zu strukturieren und sie hatte genug Zeit, sich auf ein Verbot vorzubereiten. Zudem darf man sich nicht nur auf die Partei als solche fokussieren, deren Funktionäre sind längst auch in anderen Strukturen aktiv, in Anti-Asyl-Initiativen, in Pegida-Ablegern. Das eigentlich Spannende ist jetzt, wie sich die rechtsextreme Szene insgesamt organisiert - sie wird ja derzeit von der aktuellen Entwicklung überholt, Pegida und die AfD haben ihre Parolen und zum Teil ihre Strategien übernommen. Zu befürchten ist ein neuer militanter und gefährlicher rechter Sumpf, der aufrüstet. Das Darknet zum Beispiel bietet heute ganz andere Möglichkeiten hat, an Waffen zu kommen.
Gibt es bereits Hinweise darauf?
Ja, laut den Sicherheitsbehörden immer wieder. Allein 2015 wurden über 500 Sprengsätze bei Neonazis gefunden. Die ersten relativ leicht enttarnten Gruppen wie Oldschool Society oder die Freitaler Gruppe sind nur die Spitze des Eisberges einer militanten Struktur, über die man noch zu wenig weiß.
Derzeit wird sehr stark darüber debattiert, wie wir uns vor Attentätern wie Anis Amri schützen können. Müssten wir nicht auch darüber sprechen, wie wir uns vor rechtem Terror schützen können?
Auf jeden Fall. Auf jeden Fall müssen wir den Opfern rechter Gewalt mehr Schutz bieten. Wenn Neonazis in der Lage sind, mit ihren brachialen Parolen und scheinbar einfachen Lösungen Menschen das Gefühl einer Sozialgemeinschaft zu geben, dann läuft definitiv was falsch. Aber es lässt sich gesellschaftlich einfacher über den islamistischen Terror reden, weil er in der Wahrnehmung von außen kommt. Unser Alltagsrassismus beginnt gleich vor der Tür. Wir können keine kriminellen Rechten ausweisen, sondern müssen uns intern auseinandersetzen, mit unseren eigenen Werten.