Sturm aufs Regierungsviertel:Bolsonaro distanziert sich von Ausschreitungen in Brasília

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Jair Bolsonaro, der ehemalige Präsident Brasiliens, hatte seine Niederlage bei der Wahl im Herbst vergangenen Jahres nie eingestanden und blieb auch der Amtseinführung seines Nachfolgers Lula fern. (Foto: EVARISTO SA/AFP)

Der Ex-Präsident Brasiliens verurteilt das Vorgehen seiner Anhänger. Bundeskanzler Scholz schreibt von einem "Angriff auf die Demokratie" und solidarisiert sich mit Amtsinhaber Lula.

Der ehemalige brasilianische Präsident Jair Bolsonaro hat den Angriff seiner radikalen Anhänger auf das Regierungsviertel in der Hauptstadt Brasília verurteilt. "Friedliche Demonstrationen sind Teil der Demokratie. Plünderungen und Überfälle auf öffentliche Gebäude, wie sie heute stattgefunden haben, fallen jedoch nicht darunter", schrieb der rechte Ex-Staatschef am Sonntag (Ortszeit) auf Twitter. "Während meiner gesamten Amtszeit habe ich mich stets an die Verfassung gehalten und die Gesetze, die Demokratie, die Transparenz und unsere heilige Freiheit geachtet und verteidigt."

Der neue Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hatte erst vor einer Woche sein Amt angetreten. Er warf Bolsonaro vor, seine Anhänger aufgestachelt zu haben. "Sie nutzten die sonntägliche Stille, als wir noch dabei waren, die Regierung zu bilden, um zu tun, was sie taten. Es gibt mehrere Reden des ehemaligen Präsidenten, in denen er dies befürwortet. Dies liegt auch in seiner Verantwortung und in der Verantwortung der Parteien, die ihn unterstützt haben", sagte Lula.

Bolsonaro verbat sich die Anschuldigungen. "Ich weise die Vorwürfe zurück, die der derzeitige Chef der brasilianischen Regierung ohne Beweise erhebt", schrieb er. Der Ex-Militär hatte mit seiner Familie Brasilien bereits zwei Tage vor dem Ende seiner Amtszeit verlassen und war in die USA gereist.

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Sicherheitschef von Brasília entlassen

Unterdessen ist der Sicherheitschef der Hauptstadt Brasília, Anderson Torres, noch am Abend entlassen worden. "Ich habe die Entlassung des Sicherheitsministers des Bundesdistrikts beschlossen und gleichzeitig alle Sicherheitskräfte auf die Straße geschickt, um die Verantwortlichen festzunehmen und zu bestrafen", schrieb der Gouverneur des Bundesbezirks, Ibaneis Rocha, auf Twitter.

Der entlassene Torres gilt als Anhänger von Bolsonaro, dem er zuvor als Justizminister diente. Der rechte Präsident Bolsonaro war im vergangenen Oktober dem Linkspolitiker Lula in der Stichwahl unterlegen und zum Jahreswechsel aus dem Amt geschieden. Ausdrücklich erkannte er seine Niederlage nie an. Radikale Anhänger des Ex-Militärs hatten bereits nach der Wahl immer wieder gegen Lulas Sieg protestiert und die Streitkräfte des Landes zu einem Militärputsch aufgerufen.

Stürmung des brasilianischen Parlaments
:Lula in Brasília: "Putschisten" werden bestraft

Die Polizei hat die Bolsonaro-Anhänger in der Hauptstadt gestoppt, der amtierende Präsident reist daraufhin ins Regierungsviertel. Parallelen zum Sturm aufs US-Kapitol drängen sich auf. Die Bilder von der Attacke.

Von Oliver Klasen und Leonard Scharfenberg

Mehrere Stunden nach den Angriffen sprach die Polizei von etwa 200 Festnahmen. Die Sicherheitskräfte suchten weiter nach Beteiligten der Angriffe und setzten die Festnahmen fort, sagte Justizminister Flavio Dino am Sonntagabend (Ortszeit) auf einer Pressekonferenz. "Das ist Terrorismus, das ist ein Staatsstreich. Wir sind sicher, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung das nicht will", sagte Dino. "Es wird ihnen nicht gelingen, die brasilianische Demokratie zu zerstören. Kriminelle werden wie Kriminelle behandelt."

Scholz spricht von einem "Angriff auf die Demokratie"

Am Montagmorgen reagierte Bundeskanzler Olaf Scholz auf die Geschehnisse in Brasília. Die gewalttätigen Attacken im Regierungsviertel seien "ein Angriff auf die Demokratie, der nicht zu tolerieren ist", schrieb der Sozialdemokrat auf Twitter. Er stehe an der Seite des brasilianischen Präsidenten und der Bevölkerung. Zuvor hatte bereits Bundesaußenministerin Baerbock, ebenfalls auf Twitter, ihre Solidarität ausgedrückt.

Besonders schnell reagierten die Regierungschefs aus anderen amerikanischen Ländern auf die Geschehnisse in Brasília. US-Präsident Joe Biden nannte die Stürmung des Parlaments nach Angaben seiner Sprecherin "ungeheuerlich". Der Nationale Sicherheitsberater Bidens, Jake Sullivan, schrieb auf Twitter: "Die Vereinigten Staaten verurteilen jeden Versuch, die Demokratie in Brasilien zu untergraben." Präsident Biden beobachte die Situation genau. "Unsere Unterstützung für die demokratischen Institutionen Brasiliens ist unerschütterlich", so Sullivan.

Der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador sprach von einem "Putschversuch", der "verwerflich und undemokratisch" sei. "Lula ist nicht allein, er hat die Unterstützung der fortschrittlichen Kräfte seines Landes, Mexikos, des amerikanischen Kontinents und der Welt", so López Obrador. "Diejenigen, die versuchen, den Willen der Mehrheit zu missachten, gefährden die Demokratie und verdienen nicht nur die entsprechenden rechtlichen Sanktionen, sondern auch die absolute Ablehnung der internationalen Gemeinschaft", meldete sich indes der argentinische Präsident Alberto Fernández zu Wort.

Reaktionen aus Europa

Auch in Europa, wo es schon später Abend war, als die Ereignisse in Brasília bekannt wurden, gab es zügig Reaktionen. Der Außenbeauftragte der Europäischen Union, Josep Borell, teilte noch am Abend der Unruhen mit, die EU verurteile die "antidemokratischen Akte der Gewalt", die im Herzen von Brasília stattgefunden hätten.

Präsident Lula könne auch auf die uneingeschränkte Unterstützung Frankreichs zählen, sicherte der französische Präsident Emmanuel Macron auf Twitter zu. "Der Wille des brasilianischen Volkes und der demokratischen Institutionen muss respektiert werden!" Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez nutzte ebenfalls Twitter, um Lula seine Solidarität zu bekunden. "Meine ganze Unterstützung gilt dem Präsidenten Lula und den Institutionen, die vom brasilianischen Volk frei und demokratisch gewählt wurden. Wir verurteilen den Angriff auf den brasilianischen Kongress aufs Schärfste und fordern die sofortige Rückkehr zur demokratischen Normalität", so Sánchez.

"Was in Brasilien geschieht, kann uns nicht gleichgültig sein", schrieb Italiens ultrarechte Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Die Bilder von Einbrüchen in die Büros der Institutionen seien inakzeptabel und unvereinbar mit jeder Form von demokratischem Dissens. "Eine Rückkehr zur Normalität ist dringend erforderlich, und wir erklären uns mit den brasilianischen Institutionen solidarisch", so Meloni.

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