Im Sommer 2016 veröffentlichte Rainer Wendt ein Buch mit dem Titel "Deutschland in Gefahr", es wurde zum Bestseller. Darin zeichnet er das Bild eines untergehenden Staates. Hunderttausende Flüchtlinge, schreibt er, kämen nach Deutschland, "die unsere Kultur nicht kennen oder zutiefst verachten". Die Politiker, die "parlamentarischen Besserwisser" und "Vertreter der Willkommenskultur", hätten gut reden. Der Zorn der Menschen wachse täglich. "Ich kann jeden verstehen, der sagt, dies ist überhaupt kein Rechtsstaat mehr."
Gestatten: der designierte neue Staatssekretär im Innenministerium von Sachsen-Anhalt. Zumindest über das Wochenende. Bis Sonntagabend. Bis dahin sollte Rainer Wendt, 62 Jahre alt, in dem Bundesland den gesamten Apparat der Sicherheitsbehörden dirigieren, Schutzpolizei, Kripo, Verfassungsschutz. So hatte es die Staatskanzlei von Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) am Freitag bekanntgegeben. Doch am Sonntagabend zog die CDU ihr Angebot an Wendt zurück, wie er der SZ telefonisch bestätigte.
Seit 2007 steht Wendt an der Spitze der kleinen, aber lautstarken Deutschen Polizeigewerkschaft, der DPolG. Er hat dort allerlei scharfe innenpolitische Forderungen erhoben, beispielsweise die Ausrüstung der Polizei mit Gummigeschossen oder die Anwendung des Erwachsenenstrafrechts auf Heranwachsende. Beschwerdeführer vor dem Bundesverfassungsgericht hat er als "Karlsruhe-Touristen" verspottet. Schon 2008 hat ihm dies eine Ehrung als Schöpfer des "Unworts des Jahres" eingetragen.
Ein Vierteljahrhundert lang im Schichtdienst bei der Schutzpolizei
Ein als Provokateur und Rechtsausleger bekannter Beamter sollte auf Wunsch der Union Innenstaatssekretär werden? Da war doch etwas. Genau, so ähnlich war es vor gut einem Jahr bei Hans-Georg Maaßen gewesen, dem früheren Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) wollte ihn, der für große Teile des politischen Spektrums zur Reizfigur geworden war, zum Staatssekretär berufen. Die SPD als Koalitionspartnerin hat es damals bereut, dass sie sich nicht frühzeitig gegen Maaßens Beförderung gesträubt hat. Vielleicht auch deshalb sind die Genossen in Sachsen-Anhalt jetzt früh laut geworden gegen Rainer Wendt. Die SPD hat bereits ihr Veto angekündigt, die Grünen auch. Daraufhin hat die CDU ihr Angebot an Wendt zurückgezogen.
Als Verwaltungsexperte hat Wendt wenig Erfahrung. Das unterscheidet ihn von Maaßen. Wendt ist in Duisburg aufgewachsen, mit 16 Jahren ist er zu Polizei gegangen. Ein Vierteljahrhundert lang hat er im Schichtdienst bei der Schutzpolizei gearbeitet, zuletzt als Gruppenleiter. 1997 wurde er Landesvorsitzender der DPolG. Dass seine Karriere bei der Polizei nach 2007 richtig anzog, hatte dann nicht mit seiner Leistung dort zu tun. Seit 2007 ist er hauptberuflich Gewerkschafter, das heißt nicht mehr als Polizist tätig. Trotzdem wurde er von der Polizei weiter bezahlt, sogar befördert. 2008 beurteilte der Polizeipräsident von Mönchengladbach ihn mit der Bestnote, obwohl Wendt in diesem Zeitraum keinen Dienst geleistet hatte, 2010 wurde Wendt sogar auf eine höher dotierte Stelle beim Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste versetzt. Eine interne Ermittlung des Innenministeriums von Nordrhein-Westfalen erklärte dieses für Wendt sehr angenehme, für die Steuerzahler aber wenig sinnige Arrangement im vergangenen Jahr für rechtswidrig.
Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf sah von einer Anklage wegen Untreue ab, kurz gesagt, weil Wendt es nicht habe besser wissen können. Schließlich habe sein Arbeitgeber mitgemacht. Die Idee war einst in der damaligen schwarz-gelben Landesregierung unter Jürgen Rüttgers (CDU) entstanden. Man wollte das CDU-Mitglied Rainer Wendt gegenüber der eher SPD-nahen Konkurrenz aus der Gewerkschaft der Polizei (GdP) stärken.
Wendt, der es bislang höflich ablehnt, sich zur Diskussion um seine Person zu äußern, hat im politischen Raum zuletzt einigen Zuspruch gefunden. Allerdings nicht vorrangig in seiner CDU. Im Gespräch mit dem Pegida-nahen Magazin Compact 2015 sprach Wendt davon, dass die "Machokultur" junger Muslime "fast zu den genetischen Grundbausteinen dieser Kultur" gehöre. Später bedauerte er diesen Ausdruck. Er traf sich mit der AfD-Fraktion in Sachsen zu Gesprächen, Frauke Petry lobte ihn öffentlich, vor den Landtagswahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern warb die Partei sogar mit seinem Gesicht. Gegen seinen Willen, wie er betonte.