Prozess:Lebenslange Haft für früheren Krankenpfleger

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Das Gericht spricht Niels Högel wegen Mordes an 85 Patienten schuldig - und stellt die besondere Schwere der Schuld fest.

Von Peter Burghardt, Annette Ramelsberger, Oldenburg

Das Landgericht Oldenburg hat den früheren Krankenpfleger Niels Högel wegen der größten Mordserie der deutschen Nachkriegsgeschichte zu lebenslanger Haft verurteilt. Am Donnerstagvormittag erging in der Weser-Ems-Halle das Urteil. Wegen 100 Morden war Högel angeklagt worden, für 85 Taten wurde er nun schuldig gesprochen.

15 Fälle konnten ihm nicht eindeutig nachgewiesen werden, er wurde in diesen Fällen nach dem Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" freigesprochen. Der Vorsitzende Richter Sebastian Bührmann stellte in seiner Begründung die besondere Schwere der Schuld fest und sagte in seinem Schlusswort: "Lebenslang kann auch ein Leben lang bedeuten." Er machte dem Angeklagten deutlich, dass die Kammer sich für eine möglichst lange Verbüßung der Strafe ausspricht. Sie verhängte auch ein lebenslanges Berufsverbot.

In diesem vierten und umfangreichsten Mordprozess gegen Högel ging es um Todesfälle zwischen 2000 und 2005 in den Kliniken Oldenburg und Delmenhorst, wo Högel auf Intensivstationen arbeitete. Er spritzte Patienten lebensbedrohliche Medikamente, um sie danach zu reanimieren. Viele von ihnen starben. Es sei ein Verfahren gewesen, "das jeglichen Rahmen sprengt und jede Vorstellung übersteigt", sagte Richter Bührmann, er sei sich wie ein "Buchhalter des Todes" vorgekommen. Vermutlich hat Högel noch viel mehr Menschen getötet als bekannt wurde.

Sicherungsverwahrung hat das Gericht nicht angeordnet, sie würde weder Haftverlängerung noch Haftverschärfung bedeuten. Doch die Kammer legte Högel zusätzlich zu den bewiesenen Verbrechen zur Last, dass er beim letzten Prozess 2015 die meisten Morde, alle 36 in Oldenburg, verschwiegen und auch diesmal mehrfach gelogen hatte. Bührmann sprach von Nebel, der über der Wahrheit liege, was die Aufklärung erschwert habe und für die Angehörigen und Nebenkläger sehr belastend sei.

Der Richter kritisierte die Verantwortlichen im Klinikum Oldenburg, die den verdächtigen Högel mit einem guten Zeugnis weggelobt hatten. Sie hätten Unwillen gezeigt, den Fall aufzuklären, sich abgesprochen und auffallend viel vergessen. Er warf Pflegern, Ärzten und dem Geschäftsführer des Krankenhauses Oldenburg Vertuschung vor. Gegen vier Ärzte und Pfleger des Klinikums wird nun wegen Meineids ermittelt. Gegen Ärzte des Klinikums Delmenhorst ist bereits Anklage erhoben worden: wegen Tötung durch Unterlassen. Sie hatten Högel noch im Dienst gelassen, als sie ihn bereits auf frischer Tat ertappt hatten. Der Prozess steht Ende des Jahres an.

Schon 2015 war Högel wegen fünf Taten zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Erst während dieses Verfahrens gestand der Krankenpfleger dann, mehr als 30 Menschen getötet zu haben - oft nachts und selbst dann, wenn nebenan Visite war. Eine Sonderkommission ließ 134 Leichen exhumieren und deckte die Dimension des Serienmordes auf. Im Gefängnis sitzt der 42-jährige Högel seit zehn Jahren.

© SZ vom 07.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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