Prozess:Einsilbig, aber freundlich lächelnd

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Wer ließ die kleine Jesidin im Irak verdursten? Vor Gericht sagt der mutmaßliche Täter aus - als Zeuge.

Von Annette Ramelsberger, München

Es ist eines der schrecklichsten Verbrechen, die man sich vorstellen kann: Ein IS-Kämpfer hält im Irak eine Jesidin und ihre kleine Tochter als Sklavinnen, er schlägt die Frau und irgendwann kettet er das Kind in praller Sonne an, so dass es stirbt. Der Mann, dem das vorgeworfen wird, ist am Donnerstag in München vor Gericht erschienen - freundlich lächelnd, allerdings recht einsilbig. Er ist nicht als Angeklagter hier, sondern als Zeuge. Als Zeuge im Prozess gegen seine Frau Jennifer W., 29. Die Bundesanwaltschaft wirft der Frau aus Lohne in Niedersachsen Sklaverei, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Mord durch Unterlassen vor, weil sie dem kleinen Mädchen nicht geholfen hat. Gegen ihren Mann bereitet die Bundesanwaltschaft eine Anklage vor. Und deshalb muss er sich jetzt als Zeuge auch nicht äußern, weil er sich damit selbst belasten würde. Dennoch ist sein Auftritt aufschlussreich.

Da kommt ein drahtiger Iraker herein, 27 Jahre alt, von Beruf Masseur, begleitet von drei schwerbewaffneten Polizisten. Er trägt Anstaltskleidung, olivgrüne Jacke mit neonfarbigem Rücken, so auffällig, dass er schwer unerkannt entkommen könnte. Ein Anhänger des Islamischen Staates, davon ist die Bundesanwaltschaft überzeugt. Unbefangen lächelt er in die Runde, nur seine Frau lächelt er nicht an. Die trägt an diesem Tag erstmals ihre sonst streng gebundenen Haare offen. Doch er blickt sie nur kurz an. Dann distanziert er sich maximal von ihr. Als der Richter den Mann mit dem Namen Taha al-J. fragt, ob er mit der Angeklagten verheiratet oder verlobt sei, antwortet er über den Dolmetscher: "Ich habe nur ein Kind von ihr."

Die Zeuginnen verstricken sich in Widersprüche. Jennifer W.s Schicksal hängt davon ab

Das Kind wurde in Falludscha gezeugt, in jener Zeit, als das Mädchen der Sklavin starb. Es lebt mittlerweile in Deutschland. Und Jennifer W. wollte mitsamt dem Kind 2018 wieder zurück zum IS. Sie war nur zur Geburt nach Deutschland zurückgekehrt.

Dass es sich bei Jennifer W. um eine überzeugte Islamistin handelt, ist ziemlich klar. Doch sonst ist nichts mehr klar in diesem Prozess. Anfangs stellte sich alles einfach dar. Taha al-J. hatte das Kind angekettet, es war verdurstet. So steht es in der Anklage. Aber nach der Aussage der Mutter des Mädchens, die überlebt hat und als Zeugin wochenlang vor Gericht aussagte, ist nichts mehr klar. Nicht, wie das Kind angekettet war, auch nicht, wie lang es in der Sonne war. Mal sagte die Frau, das Kind sei stundenlang in der Sonne gewesen, dann erklärte sie, es habe nur kurz gedauert. Dann sagte sie, sie könne die Uhr nicht lesen und wisse nicht, ob eine halbe Stunde länger sei als eine ganze.

Zudem wachsen die Zweifel, ob die Zeuginnen aus dem Irak unter dem Druck der Erwartungen ihre Erlebnisse noch schlimmer machen, als sie waren. So erklärte eine von ihnen in einem Düsseldorfer Verfahren zunächst, der Mann der Angeklagten habe sie nicht vergewaltigt und die deutsche Frau sei besser gewesen als die Iraker. In Deutschland angekommen, erklärte sie, der Mann habe sie jeden Tag vergewaltigt und die Frau habe gesagt, sie dürfe sich nicht verweigern. Die Verteidiger von Jennifer W. fordern nun, diese Diskrepanzen bei den jesidischen Zeuginnen aufzuklären. Immerhin hängt davon ab, ob Jennifer W. lebenslang in Haft kommt.

© SZ vom 15.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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