Prozess:An der Rampe von Auschwitz

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Oskar Gröning (94) war von 1942 bis 1944 in der Häftlingsgeldverwaltung des KZ Auschwitz tätig. Ihm wird Beihilfe zum Mord in 300 000 Fällen vorgeworfen. (Foto: Ronny Hartmann/dpa)

Die Staatsanwalt fordert dreieinhalb Jahre Haft für den ehemaligen SS-Mann Gröning.

Von Hans Holzhaider

Lüneburg - Im Prozess gegen den ehemaligen SS-Unterscharführer Oskar Gröning hat die Staatsanwaltschaft für den Angeklagten eine Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 300 000 Fällen gefordert. Ein Teil dieser Strafe soll allerdings wegen einer rechtsstaatswidrigen Verzögerung des Verfahrens als verbüßt gelten. Falls das Gericht diesem Antrag folgt, könnte es die Reststrafe zur Bewährung aussetzen, so dass der 94-jährige Angeklagte, unabhängig von seiner Haftfähigkeit, nicht mehr ins Gefängnis müsste.

Gröning war von 1942 bis 1944 in der Häftlingsgeldverwaltung des KZ Auschwitz eingesetzt. Die Anklage umfasste jedoch nur seine Tätigkeit während der sogenannten Ungarnaktion von Mai bis Juli 1944, während der 437 000 ungarische Juden nach Auschwitz deportiert und 320 000 von ihnen unmittelbar nach ihrer Ankunft in den Gaskammern ermordet wurden. Dieses Geschehen, sagte Staatsanwalt Jens Lehmann, gehe an die Grenzen des menschlichen Vorstellungsvermögens und sei mit den Mitteln des Strafrechts nur schwer zu fassen. Gleichwohl seien aber die Morde während der Ungarnaktion juristisch als eine Haupttat zu beurteilen, zu der Gröning auf verschiedene Art Beihilfe geleistet habe. Er habe mehrmals in SS-Uniform mit umgeschnallter Pistole Dienst an der Rampe getan, wo die Juden zum Tod in der Gaskammer selektiert wurden, und sei damit "zum Teil der Drohkulisse geworden, die Widerstand gar nicht erst aufkommen ließ". Er sei ein Glied in der Kette derjenigen gewesen, die für die Beseitigung des Gepäcks von der Rampe sorgten, damit die nächsten Ankommenden über das ihnen zugedachte Schicksal getäuscht würden. Er sei sich auch der Heimtücke und der Grausamkeit dieser Tötungen bewusst gewesen. Zu seinen Gunsten spreche die untergeordnete Rolle, die er innerhalb der Lagerorganisation spielte, sein weitgehendes Geständnis und die Tatsache, dass er sich trotz seines Alters erkennbar bemüht habe, sich dem Verfahren zu stellen. Als rechtsstaatswidrig wertet die Staatsanwaltschaft, dass sich ein früheres Ermittlungsverfahren gegen Gröning über acht Jahre - von 1977 bis 1985 - hinzog, obwohl es sehr viel schneller hätte erledigt werden können. "Gröning hätte auch damals schon angeklagt werden können", sagte Lehmann.

Auch der Nebenklägervertreter Thomas Walther bekundete Gröning "Respekt" dafür, dass er sich mit 94 Jahren diesem Verfahren gestellt habe. Trotzdem seien Grönings Äußerungen für die Angehörigen der in Auschwitz Ermordeten eine "große Enttäuschung" gewesen, weil er es nicht fertiggebracht habe, den Massenmord beim Namen zu nennen. "Demut und Reue sind leere Worthülsen, wenn man nicht sagt, was genau bekannt wird", sagte Walther. So habe Gröning "nach außen hin das Bild des innerlich anständigen SS-Mannes bewahrt".

© SZ vom 08.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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