Prozess:38 000 Pistolen und ein Angebot

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Prozessauftakt in Kiel: Sig-Sauer-Manager vor Gericht. (Foto: Carsten Rehder/dpa)

Sig Sauer lieferte Waffen nach Kolumbien. Nun stehen drei Manager deshalb vor Gericht.

Von Thomas Hahn, Kiel

Der Friedensaktivist Björn Dau steht vor dem Landgericht in Kiel und ist so empört wie die anderen Demonstranten auch. Sie haben schon gehört, was sich zugetragen hat drinnen, in Raum 232, beim viel beachteten Prozessauftakt gegen drei Manager des Waffenfabrikanten Sig Sauer wegen des Verdachts des illegalen Waffenhandels. Die drei, darunter Firmen-Miteigentümer Michael Lüke und Ron Cohen, Chef der US-Niederlassung, sollen dafür mitverantwortlich sein, dass Pistolen aus Deutschland an den Ausfuhrbestimmungen vorbei im Bürgerkriegsland Kolumbien landeten. Die Staatsanwaltschaft hat den Angeklagten angeboten, es bei Bewährungsstrafen mit Auflagen zu belassen, wenn sie ein Geständnis ablegen. "Beschämend ist das", sagt Dau, 68. "Angesichts eines solchen kapitalen Verbrechens mit Bewährungsstrafen davonzukommen, das halte ich für völlig daneben."

Diese Meinung ist unter den Gegnern der Waffenindustrie ziemlich verbreitet gewesen am Dienstag nach dem relativ kurzen ersten Termin der Hauptverhandlung in diesem Wirtschaftsstrafverfahren, das erhebliche Konsequenzen haben könnte für den ältesten deutschen Rüstungskonzern mit Stammsitz in Eckernförde. An diesem Mittwoch um 15 Uhr wird die Verhandlung fortgesetzt. Gut möglich, dass die Angeklagten sich dann auf das Angebot der Staatsanwaltschaft einlassen und mit Aussicht auf eine niedrige Strafe Einblicke gewähren in eine Geschäftswelt, die Waffen ohne Rücksicht auf Verluste verkauft. Bis zu fünf Jahre Haft drohen Lüke und Cohen bei einem Schuldspruch ohne Deal. Wenn sie reden, bliebe davon jeweils eine Bewährungsstrafe von 18 oder 22 Monaten übrig plus Auflagen, die mit Geld zu bezahlen wären. Verlockend? Oder müssten Lüke und Cohen dann zu viel preisgeben über die Gepflogenheiten des Waffenkommerzes?

Der Prozess geht auf eine Recherche von Süddeutscher Zeitung und NDR zurück, wonach Sig-Sauer-Waffen aus Deutschland über die USA nach Kolumbien kamen, obwohl die Bestimmungen des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) solche Lieferungen in das südamerikanische Land ausschlossen. Die Anklage weicht nur wenig von jener ab, welche die Staatsanwaltschaft Anfang April 2018 erhoben hatte. Zunächst ermittelte sie gegen fünf Verdächtige, die zwischen April 2009 und Juni 2012 mehr als 180 unrechtmäßige Lieferungen von Pistolen des Typs SP 2022 angebahnt haben sollten.

Der Anwalt des Unternehmens verweist auf die US-Regierung. Sie habe die Waffen weiterverkauft

Jetzt geht das Gericht dem Verdacht nach, "dass die drei Angeklagten in unterschiedlichem Umfang für die Ausfuhr von mehr als 47 000 Pistolen von Deutschland in die USA zwischen April 2009 und April 2011 verantwortlich sind, von denen in der Folge mehr als 38 000 Pistolen nach Kolumbien weiterveräußert wurden". Der Termin am Dienstag hätte deutlich länger gedauert, wenn der Staatsanwalt sein Vorhaben durchgezogen hätte, beim Verlesen der Anklage jede einzelne Lieferung mit Stückzahl, Preis und Seriennummern vorzutragen. Der Vorsitzende Richter unterbrach ihn. Der Gesamt-Verkaufswert der Lieferungen zeigt die Dimensionen des Geschäfts anschaulich genug: 16 Millionen Dollar. Im Falle eines Schuldspruchs wird Sig Sauer die Summe an den deutschen Staat zurückzahlen müssen.

Sig Sauer sagt, der besagte Waffenhandel sei nicht illegal gewesen. Firmen-Anwalt Gerald Goecke ist am Dienstag auch in der Verhandlung und steht anschließend für Klarstellungen aus Sicht des Unternehmens und "zum Schutz der Mitarbeiter" zur Verfügung. Nach seiner Auffassung hätte die Bafa die besagte Waffenausfuhr auch genehmigt, wenn sie von der Kolumbien-Connection gewusst hätte. Diese sei nämlich von der US-Regierung bedient worden im Rahmen eines internationalen Waffen-Verkaufs-Programms. Sig Sauer Deutschland habe wie üblich an Sig Sauer USA geliefert. Sig Sauer USA habe die Pistolen an die US-Regierung verkauft, welche die Ware wiederum offiziell an Kolumbien weiterverkauft habe.

Es steht viel auf dem Spiel für Sig Sauer. Wahrscheinlich mehr als die 16 Millionen Dollar. Das Unternehmen lebt von staatlichen Großaufträgen, die bei einer Verurteilung in Gefahr geraten könnten. Vielleicht fällt dem Miteigentümer Lüke ein Geständnis deshalb doch nicht so leicht. Michael Lüke gilt als starker Mann hinter Sig Sauers Waffengeschäft. Wenn er zugibt, an den Behörden vorbei Waffen verkauft zu haben, wäre das wie ein Blick in die schwarze Seele des Traditionsunternehmens.

Falls Michael Lüke und seine Mitangeklagten doch gestehen, könnte der Prozess schneller zu Ende sein, als auf der Terminrolle veranschlagt. Statt im Juni vermutlich schon im April. Falls nicht, kann man sich auf eine detailreiche Hauptverhandlung mit öffentlichem Urkunden-Studium und Zeugen aus den USA gefasst machen. Landgerichtssprecherin Rebekka Kleine sagt: "Dann wird der Prozess lang." Friedensaktivisten wie Björn Dau bekämen mehr Zeit, sich die Waffen-Lobby aus der Nähe anzusehen.

© SZ vom 27.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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