Kolumbien:Land in Flammen

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Im Belagerungszustand: Das südwestliche Cali ist das Zentrum der Proteste in Kolumbien. (Foto: LUIS ROBAYO/AFP)

Busse brennen, Schüsse fallen, es gibt Tote und Vermisste. Die Proteste in Kolumbien werden unübersichtlicher, und die Sorge vor einer Rückkehr des Bürgerkriegs wächst.

Von Christoph Gurk

Am Ende kam der Präsident dann doch. Es war früher Montagmorgen, als Iván Duque in Cali landete. Die Stadt im Südwesten von Kolumbien hat sich in den vergangenen Tagen zum Zentrum der landesweiten Proteste entwickelt. Beobachter sprechen von einem Belagerungszustand: Demonstranten haben Straßensperren errichtet, an denen es immer wieder zu Gewalt kommt, weil bewaffnete Gruppen eine Aufhebung der Blockaden fordern. Bewohner berichten dazu, dass wegen streikender Lkw-Fahrer auch Benzin und selbst Nahrungsmittel knapp werden.

Trotz der angespannten Lage blieb Präsident Duque lange in der Hauptstadt Bogotá. Erst Montagmorgen kam er zu einem Blitzbesuch in die Stadt. Die Ordnung in Cali müsse wiederhergestellt werden, hatte der Präsident kurz davor auf Twitter geschrieben, mit einem "größtmöglichen Aufmarsch der Sicherheitskräfte". Nun stieg er, bekleidet mit einer Bomberjacke der Luftwaffe, aus dem Flugzeug und traf sich mit Militärangehörigen.

Seit nunmehr zwei Wochen toben die Proteste in Kolumbien. Entzündet hatten sie sich an einer umstrittenen Steuerreform, längst aber geht es um weit mehr als eine Abgabenerhöhung. So wie viele andere Länder Lateinamerikas auch steckte auch Kolumbien bereits vor der Corona-Pandemie in einer schweren Krise. Ein Drittel der Bevölkerung lebte schon unter der Armutsgrenze, dazu kommen Terror durch Drogenbanden und das Erbe eines jahrzehntelangen Bürgerkriegs.

Die Pandemie hat die Situation nun noch verschärft. Hunderttausende Geschäfte mussten schließen, die Wirtschaft schrumpfte, die Arbeitslosigkeit stieg auf teilweise fast 20 Prozent, Millionen Kolumbianer rutschten aus der unteren Mittelschicht in die Armut ab. In dieser Situation wollte die konservative Regierung neue Abgaben durchsetzen, die vor allem arme Kolumbianer und die Mittelschicht belastet hätten, während Unternehmen und Banken fast ungeschoren davongekommen wären. Ende April brachen deshalb landesweite Proteste aus. Längst ist die Steuerreform wieder vom Tisch, die Proteste aber halten an.

Mindestens 26 Tote

Es sind vor allem junge Menschen, die auf die Straße gehen. Viele fordern eine Abkehr von einer in ihren Augen allzu wirtschaftsfreundlichen Politik. Der seit 2016 stattfindende Friedensprozess soll gestärkt, die Polizei dagegen reformiert werden. Denn immer wieder kam es in der Vergangenheit zu schweren Fällen von Gewalt durch Beamte. Auch bei den derzeitigen Protesten soll die Polizei teils mit äußerster Brutalität vorgegangen sein.

Mindestens 26 Menschen sollen im Verlauf der Demonstrationen schon gestorben sein, sagt das kolumbianische Büro für Menschenrechte. Lokale Organisationen und internationale Beobachter gehen von einer fast doppelt so hohen Zahl aus. Dazu werden mindestens einhundert Menschen vermisst, es gibt Tausende Verletzte und Berichte über sexuelle Gewalt.

Die Regierung prangert ihrerseits Gewalt von Seiten der Demonstranten an. Tatsächlich ist die überwiegende Mehrheit der Proteste friedlich, dennoch kommt es aber auch immer wieder zu Ausschreitungen. Busse gehen in Flammen auf, Polizeiwachen und auch Beamte werden angegriffen, Geschäfte werden geplündert. Präsident Duque sagte, Guerillabanden steckten hinter den Protesten und warf ihnen "urbanen Terrorismus" vor. Zeitweise wurden sogar Soldaten auf die Straße geschickt.

Mittlerweile aber steigt der Druck auf die Regierung. Nationale und internationale Organisationen fordern eine Garantie für das Recht auf friedliche Proteste. Die Organisation Amerikanischer Staaten verurteilte die Fälle von "Folter und Mord, die von den Sicherheitskräften" begangen wurden. Und auch aus den USA, Kolumbiens wichtigstem Verbündeten, kommt zunehmend Kritik am harten Vorgehen der Regierung.

Nach seinem Besuch in Cali und dem Treffen mit dortigen Sicherheitskräften kam es darum am Montag auch zu Gesprächen mit dem nationalen Streikkomitee. Man sei gewillt, gemeinsam Lösungen zu finden, sagte Präsident Duque. Wie diese aussehen könnten, ist aber ungewiss. Zu vielfältig sind mittlerweile die Akteure, zu unterschiedlich ihre Forderungen.

Schon gibt es Ängste, dass der nie ganz zum Erliegen gekommene blutige Bürgerkrieg in Kolumbien erneut aufflammen könnte. Und zu dem Konflikt kommt auch noch das Coronavirus: Schon vor den Demonstrationen waren die Infektionszahlen so hoch wie noch nie seit Beginn der Pandemie. In manchen Krankenhäusern werden Berichten zufolge die Betten knapp. Die ohnehin nur schleppend vorankommende Impfkampagne könnte durch Streiks und Blockaden noch weiter gebremst werden.

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