Israel:Netanjahu entlässt neuen Innenminister schon wieder

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Die Bewegung gewinnt an Fahrt: Beim dritten Protestwochenende gegen die rechte Regierung gingen deutlich mehr Menschen auf die Straßen als zuvor. (Foto: Corinna Kern/Reuters)

Ein Gericht hat den vorbestraften Arye Deri für amtsuntauglich erklärt. Indes gehen mehr als 110 000 Menschen in Tel Aviv gegen die Politik der rechten Regierung auf die Straße.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Diese Stadt ist Staus gewohnt, doch ein solches Gedränge auf einer der breiten Zufahrtsstraßen ins Zentrum hat Tel Aviv schon lange nicht mehr erlebt: Auf der Kaplan-Straße, die vorbeiführt am Verteidigungsministerium und dem Hauptquartier der Armee, steht eine wogende Menschenmenge dicht an dicht. Fahnen werden geschwenkt, Protestschilder hochgehalten, und wo sonst die Hupkonzerte der Autos nerven, erschallen nun die Sprechchöre nach "Demokratie".

Mehr als 110 000 Menschen zählt die Polizei an diesem lauen und lauten Winterabend allein in der Mittelmeer-Metropole. Tausende demonstrieren zudem noch andernorts gegen die Politik der neuen Regierung von Premierminister Benjamin Netanjahu - in Jerusalem, in Haifa, in Beerscheba. Es ist das dritte Protestwochenende in Folge, und nach 30 000 Teilnehmern beim ersten und 80 000 beim zweiten Mal gewinnt die Bewegung eindeutig an Fahrt.

Jene oft apathisch, resigniert oder eskapistisch erscheinende Hälfte der israelischen Bevölkerung, die bei der Wahl am 1. November knapp dem geschlossen auftretenden rechts-religiösen Bündnis unterlegen war, kommt in den Mobilisierungsmodus. Alte und Junge sind auf der Straße zu sehen, manche tragen Kinder auf den Schultern, und weil man hier schließlich in Tel Aviv ist, führen ein paar auch ihre Hunde Gassi zum Protest.

Der Protest richtet sich gegen die Pläne der Regierung, das Oberste Gericht zu entmachten - aber nicht nur

Die meisten sind von den Plänen der Regierung für eine Justizreform auf die Straße getrieben worden, mit der das Oberste Gericht entmachtet und die Gewaltenteilung ausgehebelt werden soll. Doch auch noch andere Themen sind präsent und brisant: Banner sind zu sehen gegen die Besatzung der Palästinensergebiete, und während die einen zur Rettung der israelischen Demokratie aufrufen, fordern andere gleich die Rettung des Planeten. Zwischendrin werden Aufkleber verteilt mit der Aufschrift: "Sei einfach Mensch".

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Es ist ein buntes Bündnis, das zusammengeschweißt wird vom gemeinsamen Gefühl der Bedrängnis. Die Risse in Israels Gesellschaft sind gewiss schon lange zu sehen. Doch mit der neuen Regierung an der Macht drohen daraus Gräben zu werden - zwischen den Linken und den Rechten, zwischen den Religiösen und den Säkularen, zwischen Tel Aviv und Teilen des restlichen Landes.

In solchen Zeiten orientiert man sich gern an unabhängigen moralischen Instanzen, an denen, die nachdenken oder vordenken, und so ist beim Tel Aviver Protest dem Schriftsteller David Grossman die Hauptrede zugedacht. Aufrüttelnd, aber nicht unbedingt aufbauend spricht er von einer "dunklen Zeit", die über das Land gekommen sei. "Unser Haus brennt", ruft Grossman und beklagt, dass sich so viele im eigenen Land nicht mehr zu Hause fühlen.

Unter den Demonstranten sind inzwischen auch die Oppositionsführer

Auch die Spitzen der Opposition im Parlament haben sich eingefunden. Jair Lapid von der Zukunftspartei, der bislang den Demonstrationen angeblich deshalb ferngeblieben war, weil ihm ein Rednerauftritt verweigert wurde, findet nun einen Weg, im Getümmel den Reportern seine Botschaft zu übermitteln: "Heute sind die gekommen, die Israel lieben und sich für einen jüdischen und demokratischen Staat einsetzen", sagt er. "Wir werden nicht aufgeben, bis wir gewonnen haben."

Die Regierung in Jerusalem wird darob nicht gleich in Panik verfallen, doch die Nachrichten vom anschwellenden Protest können auch Netanjahu nicht gleichgültig sein. Zudem hat er gerade mit einer ersten Doppelkrise seiner erst drei Wochen alten Regierung zu kämpfen.

Am Sonntag hat er "schweren Herzens" seinen Innenminister Arye Deri von der ultraorthodoxen Schas-Partei entlassen, der in der vorigen Woche vom Höchsten Gericht unter anderem wegen eines Steuerbetrugsfalls für amtsuntauglich erklärt worden war. Deri war zuvor noch ungerührt zur wöchentlichen Kabinettssitzung erschienen. Leer geblieben sind dort allerdings die Plätze der Minister von den Religiösen Zionisten, die mit diesem Boykott auf eine vom Verteidigungsminister angeordnete Räumung eines illegalen Siedlungsaußenpostens reagierten.

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