Israel:Die Konfrontation in Israel spitzt sich zu

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Am "Tag des Widerstands" demonstrieren landesweit Menschen in Israel gegen die geplante Justizreform. (Foto: Corinna Kern/Reuters)

Aus Sorge um die Demokratie demonstrieren Zehntausende gegen die Verabschiedung eines Teils der umstrittenen Justizreform. Laut einer Umfrage befürchten viele im Land einen Bürgerkrieg.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Das Land ist in Aufruhr, und überall kann man das sehen, überall ist es zu hören: Mit lauten Sprechchören, die nach "Demokratie" rufen, mit Trommeln und mit Tröten und unter ohrenbetäubendem Lärm sind am Dienstag wieder Zehntausende durch Israels Straßen gezogen. Die Protestbewegung hat zu einem "Tag des Widerstands" aufgerufen gegen die Pläne der rechts-religiösen Regierung zum Umbau des Justizsystems. Gerungen wird darum schon seit Monaten, doch nun nähert sich die Stimmung dem Siedepunkt, in aller Dramatik. Einer Umfrage des TV-Senders Channel 12 zufolge fürchten 67 Prozent der Israelis inzwischen, dass ein Bürgerkrieg ausbrechen könnte in ihrem Land.

Die Fronten sind seit Langem klar, doch nun haben sie sich noch einmal verhärtet: Auf der einen Seite steht die Regierung des Premierministers Benjamin Netanjahu, der in Sachen Justizumbau seit Monaten einen Zickzack-Kurs fährt. Im März hatte er unter dem Druck von Massenprotesten die Reformpläne gestoppt zugunsten einer Kompromisssuche mit der Opposition. Nun aber scheint er unter dem heftigen Druck seiner Koalitionspartner bereit zu sein, zumindest den ersten Teil durchzudrücken - ein Gesetz, das dem Obersten Gericht das Recht nehmen würde, Entscheidungen der Regierung als "unangemessen" zurückzuweisen. Schon in der nächsten Woche, unmittelbar vor der Sommerpause, soll es in zweiter und dritter Lesung endgültig vom Parlament verabschiedet werden.

Die Protestbewegung blockierte Straßen, belagerte Bahnhöfe und stürmte die Börse in Tel Aviv

Genau das zu verhindern - mit allen Mitteln des zivilen und gewaltlosen Widerstands -, hat sich die Protestbewegung auf die Fahne geschrieben. Mit den blau-weißen Fahnen des israelischen Staats in der Hand wollen die Menschen notfalls die ganze Woche hindurch demonstrieren. An der Entschlossenheit der breit gefächerten Bewegung, die nun schon in der 29. Woche mobilmacht, sollte niemand mehr zweifeln.

Am Dienstag tauchten die Demonstranten überall dort auf, wo sie Aufmerksamkeit erhoffen und aufrütteln konnten: Sie stürmten die Börse in Tel Aviv, um auf die Gefahren für Israels Wirtschaft, vor allem den Hightech-Sektor, durch den geplanten Staatsumbau hinzuweisen. Sie zogen zu den Rabbinatsgerichten, um vor dem Umbau der Demokratie in Richtung eines jüdischen Gottesstaats zu warnen. Landesweit blockierten sie Straßen und belagerten Bahnhöfe.

Besonders laut war der Protest auch vor dem Hauptquartier des Gewerkschaftsdachverbands Histadrut. Mit 800 000 Mitgliedern ist er ein gewaltiger Machtfaktor in Israel mit seinen zehn Millionen Einwohnern. Im März war die Ausrufung eines Generalstreiks einer jener Faktoren gewesen, die Netanjahu Einhalt geboten hatten. Nun aber zögert die Gewerkschaftsführung und erbost damit Demonstranten wie Avner Itai. "Sie sollten eigentlich Anführer sein bei den Protesten, doch sie tun nichts", schimpft er. "Das ist dumm."

Der 89-jährige Avner Itai, neben ihm sein Sohn, geht fast jede Woche zu den Protesten. Er fordert die Gewerkschaften dazu auf, sich stärker einzubringen. (Foto: Peter Münch)

Avner Itai ist 89 Jahre alt, zu den Demonstrationen geht er fast jede Woche. "Aber ich muss ein bisschen auf meine Gesundheit achten", sagt er. Er steht für all jene, die das Land aufgebaut haben - und nun fürchten, dass ihnen die Demokratie genommen wird von einer rechten Regierung, die Blaupausen für ihre Umbaupläne in Staaten wie Ungarn oder Polen finden kann.

Jenseits der Gewerkschaft oder der Wirtschaft gibt es allerdings noch einen weit sensibleren Punkt, an dem die Protestbewegung die Regierung empfindlich treffen kann: die Armee. Sie war bislang stets der größte gemeinsame Nenner im jüdischen Staat, seine Existenzgarantie angesichts der Feinde ringsum. Doch nun wirft der Konflikt um die Justizreform auch einen dunklen Schatten auf das Verhältnis zwischen Regierung und Streitkräften. Tausende Reservisten drohen damit, ihren Reservedienst zu verweigern, sollte die Regierung ihre Pläne nicht stoppen.

Viele Piloten sind dabei und andere Angehörige von Eliteeinheiten, von deren Reservedienst die Schlagkraft der Armee entscheidend abhängt. Die Angst, dass Israel dann nur noch bedingt abwehrbereit sein könnte, hatte Netanjahu im März noch schwer beeindruckt. Nun aber scheint er auch diese Drohung ignorieren zu wollen. "Gesetzeswidrig" nennt er jetzt eine solche Verweigerung des Reservediensts und rückt dies in die Nähe eines Putsches. "In einer Demokratie", so erklärt er, "ist das Militär der gewählten Regierung unterstellt und nicht umgekehrt."

Wie aufgeheizt die Stimmung ist im Land, das war am Dienstag auf den Straßen zu spüren. Da gerieten die Demonstranten nicht nur mit der Polizei aneinander. Auch mit Passanten oder Autofahrern auf blockierten Straßen gab es bisweilen hitzige Auseinandersetzungen. Israel ist ein tief gespaltenes Land, und kaum einer ist noch zu sehen, der Brücken baut.

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